Schwangerschaftsabbruch #4: Wo wir stehen.

Text: Celine Giese | Kunst: Nora Boiko & Luisa Kohnen

Du bist ungewollt schwanger? Dann schwirren gerade bestimmt viele Fragen durch deinen Kopf. Abgesehen von praktischen Frage geht es auch ums große Ganze: Wie wirkt sich die Pandemie auf Schwangerschaftsabbrüche aus? Was fordern die Parteien im Deutschen Bundestag?

Dieser Text ist der letzte Teil der Reihe zum Thema Schwangerschaftsabbrüche. Anfang des Jahres bestätigte ein deutsches Gericht: Ärzt*innen dürfen nicht öffentlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren — Journalist*innen jedoch schon. Deshalb möchten wir im Rahmen dieser vierteiligen Reihe essenzielle Informationen über Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland zugänglich machen. Nach § 218 des deutschen Strafgesetzbuches handelt es sich bei Abtreibungen um eine Straftat, die nur unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Das ist aber nicht die einzige Hürde. In diesem Teil widmen wir uns Schwangerschaftsabbrüchen in Zeiten der Pandemie, den Positionierungen politischer Parteien und den Forderungen unterschiedlicher Organisationen.

© Nora Boiko & Luisa Kohnen

Obwohl Karolina K.* alle nötigen Vorkehrungen und Absprachen getroffen hatte, verlief der Schwangerschaftsabbruch bei ihr nicht einwandfrei: Ihre Anästhesistin hatte sie ein Medikament falsch absetzen lassen. Nach dem Eingriff wurde sie nicht angemessen versorgt und auf das Taxi, das sie nach Hause bringen sollte, musste sie so lange warten, dass sie schließlich lieber zu Fuß ging. Auch in Sachen Aufklärung muss noch viel passieren. „Meine Ärztin sagte mir vor der OP, dass sie das Baby nicht töten wolle. Eine andere Ärztin, zu der ich wegen einer durch den Eingriff im Arm entstandene Thrombose musste, weigerte sich mich weiter zu behandeln, als sie erfuhr, dass ich einen Schwangerschaftsabbruch hinter mir hatte. Manchen Menschen in unserem Umfeld haben mein Freund und ich gar nichts von dem Abbruch erzählt, um uns nicht mit ihrer Anti-Haltung in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche auseinandersetzen zu müssen“, schildert die Kunststudentin. Aufgrund der unangenehmen Erfahrungen, die eine Abtreibung mit sich bringen kann, sollte schwangeren Menschen der Zugang zu Informationen und die Entscheidung für einen Abbruch so einfach wie möglich gemacht werden.

Recht auf Abtreibung
Seit Jahren fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Etablierung eines weltweit geltenden Rechts auf Abtreibung. Denn Abtreibungsverbote führen nicht automatisch zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen. So werden in Ländern, die legale Abtreibungen ermöglichen, ähnlich viele Schwangerschaften pro Jahr abgebrochen wie in Staaten, die diese verbieten. Statt einem Rückgang an Schwangerschaftsabbrüchen sind Schwangere auf unsichere Methoden verwiesen, was zu etwa 47.000 Todesfällen jährlich führt. 5 Millionen Menschen erleiden im Zusammenhang mit unsicheren Abtreibungsmethoden zeitweise oder permanente Folgeschädigungen, einschließlich Infertilität (Unfruchtbarkeit).

Der Einfluss der Pandemie auf Schwangerschaftsabbrüche
Covid-19 hat die Situation in vielen Ländern noch einmal verschlimmert. Nach Ansicht der Vereinten Nationen könnten die Ausgangsbeschränkungen aufgrund der Covid-19-Pandemie zu sieben Millionen nicht geplanten Schwangerschaften führen. Circa 47 Millionen Schwangere in einkommensschwachen Ländern haben aufgrund von in der Krise unterbrochenen Lieferketten keinen Zugang zu modernen Verhütungsmitteln. Auch sexuelle Gewalt gegen Frauen nimmt zu, was mehr ungewollte Schwangerschaften zur Folge haben könnte. Da Schwangerschaftsabbrüche in der Pandemie nicht als medizinisch notwendig gelten, sind Kliniken nicht zu deren Durchführungen verpflichtet. So bleibt vielen Schwangeren die Möglichkeit auf einen Abbruch verwehrt.

Wie stehen die Parteien im Bundestag zum Thema Abtreibung?
Im Bundestag sind die Positionen klar verteilt: Die Linke, Bündnis 90/DIE GRÜNEN, FDP und SPD fordern die Liberalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Das Verbot verletze das Selbstbestimmungsrecht Schwangerer, hindere Ärzt*innen an ihrer Arbeit und sei nicht mehr zeitgemäß. Der Staat solle sich aus persönlichen Entscheidungen heraushalten und Schwangeren in einer Notlage nicht auch noch zusätzliche Steine in den Weg legen, so die FDP.

Die SPD kritisierte die ursprünglich von Gesundheitsminister Jens Spahn geplante Studie zu etwaigen psychischen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen und weist auf die bereits zahlreich existierenden Studien zu diesem Thema hin. Von diesen kommen die meisten zu dem Schluss, dass Schwangere, die aus nicht-medizinischen Gründen abtreiben, keiner höheren psychischen Belastung ausgesetzt sind als Schwangere, die ein ungewolltes Kind austragen. Von der unangenehmen Situation, die eine solche Befragung kreiert hätte einmal abgesehen, wäre in einer solchen Studie sicherlich auch der Effekt der sozialen Erwünschtheit zu tragen gekommen: Allein weil die Schwangeren befürchten müssten kaltherzig zu wirken, hätten sie vermutlich gelegentliche Zweifel geäußert. Die Studie wurde dementsprechend umstrukturiert und soll nun nicht mehr die Auswirkungen eines Schwangerschaftsabbruches untersuchen, sondern sich auf die bessere Versorgung von ungewollt Schwangeren konzentrieren. Die neue geplante Studie „Erfahrungen und Lebenslagen ungewollt Schwangerer – Angebote der Beratung und Versorgung“ (ELSA) soll vom 01. November 2020 bis Ende Oktober 2023 herausfinden, wie sich die medizinische und psychosoziale Versorgung von ungewollt Schwangeren bedarfsgerecht anpassen lässt. Obwohl die SPD sich für die Abschaffung des § 219a ausspricht, stimmte sie dennoch gegen diese, da sie ihre Koalitionspartner*innen der CDU/CSU nicht übergehen wollte.

Diese sprechen sich nämlich, wie auch die AfD, für ein Abtreibungsverbot aus. Der Schutz des „ungeborenen Lebens“ steht für sie an erster Stelle. Weiter befürchten sie, „Werbung“ könnte Schwangere zu einem Abbruch ermutigen. Dabei versteht die AfD auch den Hinweis darauf, dass Abtreibungen durchgeführt werden, als Werbung. Und was verboten sei, dürfe nicht beworben werden.

© Nora Boiko

Forderungen von pro familia
Mit der Kampagne „150 Jahre Kriminalisierung sind genug; Schwangerschaftsabbruch – Recht statt Verurteilung“ möchte pro familia weitere Debatten in Politik und Gesellschaft anstoßen. In Anlehnung an bedeutsame Ereignisse in der Geschichte des Schwangerschaftsabbruches sollen unterschiedliche Aktionen durchgeführt werden, um so Aufmerksamkeit auf die Problematik in deutschen Kontexten zu lenken. Schließlich soll damit den Forderungen nach Streichung von § 218 und § 219 aus dem Strafgesetzbuch, dem ungehinderten und straffreien Zugang zu Informationen über Abbrüche und medizinischer Versorgung, die Aufnahme der Methoden eines Schwangerschaftsabbruchs in die medizinische Ausbildung und die Unterstützung der Beratungsstellen Kraft verliehen werden.

Auch Jana Kimmel, die am 08. März 2021 eine Ärztin, die Schwangerschaftsabbrüche in Schweden durchführt, begleiten durfte, fordert ein Umdenken in Deutschland:

„Den Tag heute verbringe ich damit, eine Ärztin bei ihrer Arbeit in einer Abtreibungsklinik zu begleiten. Dass dies genau auf den 8. März fällt, sehe ich als Zeichen und Motivation für das kommende Jahr. Ich sehe in das Gesicht dieser starken Frauen und möchte am liebsten aus meiner professionellen Rolle raus und ihnen meinen Respekt zollen. Mütter von bereits vier Kindern, depressive Frauen und junge Menschen, die ihren Kindern jetzt noch nicht das Leben bieten können, das sie gerne würden. Alles individuelle Geschichten, die in vielen Ländern weltweit und der EU ignoriert und bevormundet werden. Den Vergleich vom liberalen Schweden, wo ich dieses Jahr verbringe, mit Deutschland lässt uns wie im Mittelalter aussehen. Ich bekomme Gänsehaut bei der Vorstellung, wie sehr Frauen der Zugang zu selbstbestimmter Familienplanung erschwert wird.

In nicht allzu weiter Zukunft werde ich vielleicht an der Stelle der Ärztin stehen und als Gynäkologin Frauen durch verschiedene Lebensabschnitte begleiten. Oder vielleicht auch selbst begleitet werden müssen. Und den Kampf weiterführen.“

Grundsatzdebatte
In großen Teilen dreht sich die Debatte immer noch darum, ob ungeborenes Leben geschützt werden sollte oder ob Schwangerschaftsabbrüche legitim sind. Dabei ist das „Warum“ hinter den Abbrüchen aus medizinischen und feministischen Perspektiven nichtig: Die schwangere Person kann selbstbestimmt eine Entscheidung treffen und sollte sich dafür nicht rechtfertigen müssen. Sichere und legale Schwangerschaftsabbrüche sind auch aus menschenrechtlicher Perspektive essenziell. Kein Mensch wird je eine verantwortungsvollere Entscheidung treffen können, als die schwangere Person selbst.

Alles Weitere rund um die gesetzliche Lage zu Schwangerschaftsabbrüchen, die verpflichtende Beratung, Kostenübernahme und den Ablauf eines Schwangerschaftsabbruches könnt ihr in den ersten drei Teilen der Reihe lesen.


*Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird nicht der vollständige Name genannt.

  1. Ich werde, wie immer, mal versuchen etwas zu differenzieren. Das Problem ist (IMHO) nicht das Neue Leben, sondern die negativen Auswirkungen, welche konträr zur Selbstverwirklichung wirken. Diese wird durch die jeweils gegebenen Attraktoren (Psychologie) in jedem Moment neu konstituiert. Wenn man sich also ein wenig mit den aktuellen Konzepten (Strunk/Schiepek) beschäftigt kann man die eigene Persönlichkeit entfalten und somit auch nach eigenen Vorstellungen handeln. Sapere Aude!
    https://de.wikipedia.org/wiki/Pers%C3%B6nlichkeit
    https://www.welt.de/print/die_welt/politik/article13822533/Kant-kam-nicht-bis-China.html

  2. Als Frau, die sich für die Rechte auf reproduktive Gesundheit einsetzt, ist es wichtig, die aktuelle Situation des Schwangerschaftsabbruchs zu reflektieren. Wir müssen uns bewusst sein, dass die Gesetze und die öffentliche Meinung zu diesem Thema von Land zu Land variieren und oft kontrovers diskutiert werden. Es ist entscheidend, weiterhin für den Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen zu kämpfen, damit Frauen die Kontrolle über ihre eigene reproduktive Gesundheit haben.

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