Schwangerschaftsabbruch #2: Bürokratische Realitäten

Text: Celine Giese | Kunst: Karolina K.

Du bist ungewollt schwanger? Dann gibt es bestimmt gerade sehr viele Fragen in deinem Kopf. Wer führt Abbrüche durch? Was hat es mit dem Beratungsgespräch auf sich? Wer übernimmt die Kosten?

Dieser Text ist der zweite Teil der Reihe zum Thema Schwangerschaftsabbrüche. Seit Anfang diesen Jahres hat ein Gericht bestätigt: Ärzt*innen dürfen öffentlich nicht über Schwangerschaftsabbrüche informieren — Journalist*innen jedoch schon. Deshalb möchten wir nun in einer vierteiligen Reihe essenzielle Infos über Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland darstellen. Nach § 218 des deutschen Strafgesetzbuches handelt es sich bei Schwangerschaftsabbrüchen um eine Straftat, die nur unter bestimmten Umständen straffrei bleibt. Das ist aber nicht die einzige Hürde. In diesem Teil widmen wir uns weiteren Bedingungen, in deren Rahmen sich Schwangerschaftsabbrüche als prekäre Unterfangen gestalten.

Erste Hürde: Die Beratungsregelung
Zum einen ist da das gesetzlich verlangte Beratungsgespräch: „Die Beratung dient dem Schutz des ungeborenen Lebens. Sie hat sich von dem Bemühen leiten zu lassen, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen und ihr Perspektiven für ein Leben mit dem Kind zu eröffnen“.

Die Erfahrung eines „pro life“ orientierten Beratungsgesprächs hat auch Karolina K.* gemacht und das, obwohl die Beratung der Beratungsstelle zufolge ergebnisoffen hätte sein sollen. Die Kunststudentin war unerwartet schwanger geworden und stand nun vor der Entscheidung, ob sie das Kind bekommen möchte. Im Gespräch mit dem sai magazin erzählt Karolina davon, wie ein Schwangerschaftsabbruch in der Realität abläuft. Bezogen auf das verpflichtende Beratungsgespräch erzählt sie: „Unsere Beraterin war definitiv nicht genügend informiert. Sie hat uns auf die Kinderbetreuung der Uni hingewiesen, welche wir als Studierende nutzen könnten. Doch diese wird einem nur für vier Stunden die Woche zugesichert. Was soll man damit anfangen? Diese Sichtweise, dass sich immer ein Weg finden lässt, erschien uns verblendet. So einfach ist das nun einmal nicht.“

Die Problematik der verpflichtenden Beratung
pro familia, die größte nicht-staatliche Organisation für Sexual-, Schwangerschafts- und Partnerschaftsberatung in Deutschland, wendet sich explizit gegen die verpflichtende Beratung im Kontext einer Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs – und übt damit Kritik an der Entmündigung von Schwangeren. Betont wird hingegen die Notwendigkeit umfassender und frei zugänglicher Beratungsangebote zu medizinischen Behandlungsmöglichkeiten beim Schwangerschaftsabbruch, ebenso wie zu den Themen Familienplanung, Sexualität und Partnerschaft. „Eine verpflichtende Beratung entmündigt die schwangeren Menschen, weil sie deren eigenständige Entscheidungsfähigkeit infrage stellt“, meint Dörte Frank-Boegner vom pro familia Bundesverband im Gespräch mit dem sai magazin. Es gebe keine Belege dafür, dass die Wartezeit und ein verpflichtendes Beratungsgespräch die Entscheidung für oder gegen einen Abbruch erleichterten. Vielmehr könnten diese negative Konsequenzen haben, insofern sie wertvolle Zeit und Ressourcen in Anspruch nehmen. Ein medikamentöser Abbruch ist nur bis zum 49. Tag nach der Empfängnis möglich. Ist eine Beratung nicht bis zum 46. Tag nach der Empfängnis erfolgt, schränken die verpflichtende Beratung und Wartezeit die Wahlmöglichkeiten der schwangeren Person demnach ein.

„Die Verpflichtung zu einem Beratungsgespräch erschwert unsere Arbeit, da das erste Anliegen der Schwangeren der Erhalt der, für einen Schwangerschaftsabbruch notwendigen, Bescheinigung ist. Erst wenn wir ihnen diese zugesichert haben und sie sich auf die Beratung einlassen, können wir ihnen tatsächlich weiterhelfen“, so Frank-Boegner. Eine Beratung ist nur dann sinnvoll, wenn die zu beratende Person diese auch tatsächlich in Anspruch nehmen möchte und sich darauf einlässt. Bei der verpflichtenden Beratung, wie der für einen Schwangerschaftsabbruch notwendigen, ist das nicht der Fall.

o.T., Karolina K., 2020, 50x70cm, Öl auf Leinwand

Beratungen online
Die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Kontaktbeschränkungen haben dafür gesorgt, dass die Beratungsstellen von Präsenz auf digitale Beratungen umsteigen mussten. Dieses Angebot möchte pro familia auch nach der Pandemie beibehalten. „Der fortschreitende Mangel an Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen, erschwert es den schwangeren Personen bereits einen Abbruch vornehmen zu lassen. Wir wollen ihnen zumindest die Wahrnehmung des Beratungsgespräches erleichtern.“, erklärt die Vorsitzende des Bundesverbandes. Denn auch diese stellt vor allem für schwangere Menschen in ländlichen Regionen oder solche, die in Lohn- oder Care-Arbeitskontexten zeitlich eingespannt sind, eine Schwierigkeit dar. pro familia setzt sich daher dafür ein, dass das Angebot digitaler Beratungen auch nach der Pandemie weiterhin bestehen bleibt.

Zweite Hürde: Ärzt*innenmangel
Und das ist auch schon die nächste Hürde: In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der Ärzt*innen, die in Deutschland Schwangerschaftsabbrüche durchführen, um 40 Prozent gesunken. Mittlerweile existieren nur noch knapp 1200 Praxen, in denen Abtreibungen durchgeführt werden. Das hat unterschiedliche Gründe: Zum einen wäre da die mangelhafte bis nicht vorhandene Bearbeitung des Themas im Medizinstudium und zum anderen der Generationenwechsel. „Da die Methoden für einen Schwangerschaftsabbruch den Ärzt*innen im Studium nicht beigebracht werden, wusste ich nicht, ob ich mich in sichere Hände begebe. Ich habe es gehofft, aber sicher sein konnte ich mir nicht“, kritisiert Karolina die Situation. Vor allem im Kontext der zweiten Frauenbewegung in den 1970/80er Jahren war der Kampf um reproduktive Selbstbestimmung ein großes Thema. Ärzt*innen, die sich damals für Schwangerschaftsabbrüche eingesetzt haben, gehen nun in Rente und haben es oft schwer, Nachfolger*innen zu finden, die ebenso dazu bereit und ihn der Lage sind, Abtreibungen durchzuführen.

Dritte Hürde: Kostenübernahme
Auch die Kostenabrechnung mit der Krankenkasse erwies sich als arbeitsintensiv: Für jeden Termin musste Karolina bei der Krankenkasse anrufen und abklären, ob diese die Kosten übernehmen würde. „Erst als ich an eine Frau gelangte, die die Dringlichkeit meiner Situation erkannte, wurde mir schnell weitergeholfen.“ Je nach Abtreibungsmethode, Praxis, Versicherung und Schwangerschaftsfortschritt variieren die Kosten einer Abtreibung zwischen 200 und 570€. Wenn das Kind wegen zu befürchtender gesundheitlicher Gefährdung der Mutter oder in Folge einer Vergewaltigung abgetrieben wird, übernimmt in Deutschland die Krankenkasse die Kosten. Eine Abtreibung nach dem Beratungsmodell übernimmt die gesetzliche Krankenkasse nur unter bestimmten Bedingungen. Was die Krankenkasse bezahlt: Die ärztliche Beratung vor der Abtreibung, die Betreuung durch den*die Ärzt*in vor und nach dem Eingriff und die Behandlung von Komplikationen. Bei einer stationären Aufnahme im Krankenhaus muss ein Tagessatz selbst bezahlt werden.

Wann übernimmt die Krankenkasse Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung?
Wenn eine schwangere Person sozial bedürftig ist, hat sie Anspruch auf eine Kostenübernahme. Als sozial bedürftig gelten vom 01.07.2020 bis zum 30.06.2021 schwangere Personen, deren verfügbares monatliches Einkommen 1258€ nicht übersteigt und denen kein verwertbares Vermögen zur Verfügung steht. Für jedes im Haus der schwangeren Person lebende minderjährige Kind erhöht sich die Einkommensgrenze um 298€. Wenn die Kosten der Unterkunft der Schwangeren 368€ übersteigen, ist eine weitere Erhöhung der Einkommensgrenze bis 368€ möglich. Ob eine Krankenkasse die Kosten übernimmt, hängt ausschließlich von der Höhe des eigenen Einkommens ab, das Einkommen anderer Familienmitglieder spielt hierbei keine Rolle. Die Kostenübernahme muss jedoch vor dem Schwangerschaftsabbruch bei der Krankenkasse beantragt und von der Krankenkasse durch eine Bescheinigung bestätigt werden. Diese muss dem*der Ärzt*in, der*die den Schwangerschaftsabbruch durchführt, anschließend vorgelegt werden. Letztlich werden die Kosten vom jeweiligen Bundesland übernommen. Ein Abbruch muss hierbei nicht begründet werden.

Bei einer privaten Krankenkasse muss für die Übernahme der Kosten im Einzelfall nachgefragt werden. Alternativ kann auch hier die Kostenübernahme bei einer gesetzlichen Krankenkasse der Wahl im eigenen Wohnort beantragt werden, auch wenn man nicht über diese versichert ist. Einzige Voraussetzung dafür ist, dass das Einkommen und Vermögen der schwangeren Person die gesetzliche Grenze nicht überschreitet, sie Sozialhilfe bezieht oder Asylbewerberin ist.

Sollte die schwangere Person nach dem Schwangerschaftsabbruch krankgeschrieben werden, hat sie Anspruch auf eine Lohn- und Gehaltsfortzahlung. Hierbei ist sie nicht dazu verpflichtet, ihrem*r Arbeitgeber*in den Grund für ihr Fehlen zu nennen.

Nach dem Überschlagen ihrer finanziellen Situation sowie deren Veränderung durch ein Kind, zahlreichen Gesprächen mit der Krankenkasse zur Kostenübernahme und der Wahrnehmung des verpflichtenden Beratungsgesprächs trafen Karolina und ihr Freund die Entscheidung – gegen das Kind. Karolina vereinbarte einen Termin in der Tagesklinik, in der sie bereits zuvor um Informationen gebeten hatte.

Alles Weitere rund um Schwangerschaftsabbrüche könnt ihr im ersten und den folgenden Teilen der Reihe lesen.

*Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird nicht der vollständige Name genannt.


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