von Friederike Teller | Headerbild: Leonie Ziem
Impulse feministischer Ökonomie
Manchmal stolpere ich über diese unsichtbare Grenze, die sich quer durch unsere Tage zieht. Wie ein dünner Faden trennt sie Arbeit von Freizeit ab. Auf der einen Seite: Autos bauen, Verträge aufsetzen und Geld anlegen. Dann plötzlich, nur Sekunden entfernt: Putzen, den Abwasch machen, Einkaufen, sich um Menschen kümmern. Irgendwo dazwischen: Das hier, also Texte schreiben und neunmalkluge Ratschläge erteilen. Seit der Industrialisierung ist Arbeit eine Ware und Lohnarbeit die treibende Kraft des Kapitalismus geworden. Doch es gibt bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten. Wer entscheidet wo die trennende Linie zwischen Arbeit und Freizeit verläuft?
Das Private geht uns alle an
Eine mögliche Grenzziehung ist zwischen den Tätigkeiten im öffentlichen und denen im privaten Sektor. Auf Kinder aufpassen zu Hause – ganz klar privat. Das Geld verwalten, welches in Einrichtungen zur Kinderbetreuung investiert wird – öffentlich. Doch denkt man an den Beruf des*der Kindergärtner*in wird es schon schwieriger. Vielleicht kümmert ein Mensch sich dann sowohl in der Arbeits-, wie auch in der Freizeit um Kinder. In unserem kapitalistischen Denken ist das alles ganz logisch: Die Trennung zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit scheint klar. Lohnarbeit ist, wofür es einen Vertrag gibt, was man aus einer gewissen Verpflichtung heraus tut. Wie absurd wäre es, auch für das Erziehen von Kindern zu Hause Geld zu bekommen? Oder anders: Wie absurd wäre es für das Erziehen von Kindern, für den Energie, Zeit und qualifizierte Kompetenzen notwendig sind, kein Geld zu bekommen, nur weil es Zuhause getan wird? Für all diese Tätigkeiten gibt es den englischen Begriff der care-Arbeit. Es ist ein wichtiges Anliegen der feministischen Wirtschaftskritik, diese Arbeit gerechter zu verteilen und stärker gesellschaftlich zu entlohnen.
Das Problem: Da ist diese unangenehm altmodisch riechende Geschlechter-Asymmetrie. Auch bezahlte care-Tätigkeiten werden häufiger von Frauen ausgeführt. Krankenschwestern, Kindergärtnerinnen, Putzfrauen sind Berufe, die wir ganz selbstverständlich in der weiblichen Form beschreiben. Frauen* arbeiten im Schnitt 4,5 Stunden pro Tag unbezahlt im Bereich der care Arbeit, wie eine Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kürzlich veröffentlichte. Denn auch zu Hause sind es meistens sie, die Erziehung, Pflege und Hausarbeiten übernehmen – echte Hausfrauen eben. Nur ein Viertel der unbezahlten Arbeit wird durchschnittlich von Männern geleistet. Diese care-Arbeit ist weder im öffentlichen, noch im privaten Bereich gesellschaftlich besonders anerkannt. Das merkt man besonders daran, dass sie unverhältnismäßig schlecht, im Falle von Krankenpfleger*innen, oder gar nicht, wenn du mit den zu Pflegenden verwandt bist, bezahlt wird. Diese Arbeit wird als selbstverständlich abgetan. Selten wird über die geschlechtergerechte Verteilung der Aufgaben diskutiert. Lächeln, schweigen, weiterkümmern. Kein Wunder also, dass Frauen* noch immer 21% weniger verdienen als Männer. Nicht nur weil sie für gleiche Arbeit im Schnitt 6% schlechter bezahlt werden als Männer. Sondern auch, weil sie für viele Arbeiten gar nicht bezahlt werden und deutlich häufiger schlecht bezahlte Arbeiten ausführen.
Er arbeitet, sie arbeitet nicht, kein Mensch fragt was.
Zum Glück dürfen seit 1977 in (West-)Deutschland Frauen* auch ohne Erlaubnis des Mannes „arbeiten“, unabhängig davon, ob dies nach Ansicht des Mannes mit den „Pflichten in Ehe und Familie“ vereinbar ist. Leider ändert sich das Verständnis deutlich langsamer, dass Männer nun auch ohne Erlaubnis der Frauen* „Pflichten in Ehe und Familie“ übernehmen dürfen. 2016 arbeiteten von gleichqualifizierten Männern und Frauen im Alter zwischen 30 und 50 nur 39% der Frauen*, gegenüber 88% der Männer in Vollzeit. Diese Ungleichheiten werden durch die Ehe verstärkt und zeigen ihre drastischen Auswirkungen im sogenannten Gender Pension Gap, welches ungefähr bei 53% liegt. Dieses beschreibt die Rentenunterschiede zwischen Männern und Frauen*. Dabei unterscheiden sich in Sachen Gehaltsunterschiede zwischen Mann und Frau* Ost- und Westdeutschland noch immer deutlich. In den neuen Bundesländern liegt das Gender Pay Gap nur bei 8% und auch das Gender Pension Gap ist so deutlich geringer.
Wie jung diese Selbstständigkeit des Arbeitens im Öffentlichen und Privaten für Frauen* noch ist, zeigt sich auch am Problem der mangelnden Infrastruktur. Es fehlt an Kita Plätzen in Arbeitsnähe, an der Möglichkeit für beide Geschlechter selbstverständlich mit einem kranken Kind zu Hause zu bleiben, an Kinderbetreuung sowie familienunfreundlichen Zeiten bei Veranstaltungen. Kurz: Es fehlt an der Normalität, dass sich Männer und Frauen in beiden Sphären hemmungslos hingeben dürfen. Oder verabschieden wir uns doch am besten gleich von der Dichotomie der Work-Life-Balance. Wenn Arbeit nicht Leben ist, müsste es schon der Tod sein.
Und wenn Frauen* aber doch wollen, was Männer mit Selbstverständlichkeit dürfen? Dann holen sie sich Unterstützung. Von Putzfrauen und Babysitterinnen – fast immer Frauen, natürlich. In Deutschland kommen diese meistens aus Ländern mit einem niedriegerem Lohnniveau, wie Polen und der Ukraine. Dieses Phänomen nennt sich Care Chain . So gelingt Frauen* in wirtschaftlich privilegierten Positionen zwar die scheinbare Vereinbarkeit von Beruf und Familie, allerdings stehen sie dabei auf den Schultern anderer Frauen*.
Und diese haben häufig eben auch Familien. Die Frage liegt nahe, wer denn da nun die unbezahlte Hausarbeit übernimmt. Selten sind es die Männer, viel eher übernehmen Großeltern und Tanten die Mutterrolle oder eben Frauen aus ebenfalls prekären Situationen. Diese Kette kennt kein Ende, verläuft aber auf einer klaren Grenze zwischen den Geschlechtern. Dies ist ein globales Phänomen und oft befinden sich die Frauen in rechtlichen Grauzonen und leben in einer verhängnisvollen Abhängigkeit zu ihren Arbeitgebenden.
Welche psychischen Folgen die sogenannte transnationale Mutterschaft für die Kinder und Mütter hat, ist noch sehr wenig erforscht. In der Ukraine spricht man von zwischen 7,5 bis 9 Millionen „sozialen Waisen“. Das sind Kinder, deren Mütter in einem anderen Land arbeiten müssen, um das Überleben der Familie zu Finanzieren. Das sind mindestens 7,5 Millionen Geschichten hinter den Zahlen, doch wer späht schon durch das Schlüsselloch und fragt was hinter Haustüren tatsächlich vor sich geht.
Es wird also Zeit unsere Idee von Arbeit grundsätzlich zu überdenken, schließlich beruht unsere Konzeption auf Jahrhunderten des Patriarchats. Doch wir müssen auch unser Denken und unsere Sprache revolutionieren. Dann erkennen wir vielleicht auch, dass im momentanen System beide Geschlechter und noch mehr Menschen aus sozial prekären Verhältnissen verlieren. Wir müssen Arbeiten endlich als eingeschlossenen Teil unseres Lebens verstehen und wertschätzen. Vielleicht durch das bedingungslose Grundeinkommen, durch eine 30 Stunden Woche oder eine Bezahlung von care Arbeit. Mindestens aber durch eine Frauenquote, sowie bessere Betreuungsinfrastruktur, Betreuungsgeld und eine geschlechtergerechtere Variante des Ehegattensplittings. Dieser Text ist ein wütendes Widerkauen der Forderungen, die spätestens seit den 70ern wesentliche Bestandteile der feministischen Bewegung sind. Doch gerade jetzt in einer offensichtlich tiefen Krise des Kapitalismus, ist die Zeit wieder reif, offen über unser System als Ganzes wie auch über unsere vergammelten Begriffsdefinitionen zu diskutieren.
**Disclaimer: Zu den vergammelten Begriffsdefinitionen gehört auch diese traurige Binarität der Geschlechter, welche dieser Text reproduziert. Natürlich gibt es viel mehr als zwei Geschlechter. Es wäre wunderbar, wenn sich der Diskurs auch dahin gehend öffnen würde und mehr wissenschaftliche Daten zur Situation von diversen Geschlechtern im kapitalistischen System erhoben werden würden.
Pingback: Jeder Tag ist der 8.März – sai