Eine Kanzlerin ist nicht genug

 von Paul Stegemann | Bild: © Mathieu Sörenhagen

Der Deutsche Bundestag ist ein Männerverein. Lediglich 30,9 Prozent der Abgeordneten des wichtigsten deutschen Parlaments sind weiblich. Wie könnte sich das ändern? Justizministerin Barley hat einige Ideen parat, um das im dritten Artikel des Grundgesetzes formulierte Ziel der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu verwirklichen. Aber warum soll der Bundestag überhaupt gleichmäßig durch Männer und Frauen besetzt werden? Und was meinen Jungpolitiker*innen zu ihren Vorschlägen?

Am 11.11. dieses Jahres wurde das 100-jährige Jubiläum des Frauenwahlrechts gefeiert. Grund genug, um sich der Vorkämpferinnen zu erinnern, ihnen zu danken, aber auch festzustellen, dass es bis zur tatsächlichen Gleichberechtigung der Geschlechter noch ein weiter Weg ist. Frauen sind politisch nicht nur im Bundestag, sondern auch auf Landes- wie auf kommunaler Ebene unterrepräsentiert, verdienen im Beruf weniger und gelangen seltener in Führungspositionen als ihre männlichen Kollegen. Bundesjustizministerin Barley möchte aus diesem Grund nicht länger warten, sondern erklärte passend zum 100. Geburtstag des Frauenwahlrechts ihren Plan zur Bekämpfung der Ungerechtigkeit.

Das – in der Frage der Gleichberechtigung – vermeintlich fortschrittliche Deutschland steht bei der Herstellung von Parität im nationalen Parlament international schlecht dar. In Europa haben 12 nationale Parlamente einen höheren Frauenanteil als Deutschland. International sitzen die meisten Frauen in der Abgeordnetenkammer von Ruanda, wo die Parlamentarier*innen 61,3 Prozent der Sitze innehaben.

Paritätische Alternativen

Die Frauenquote soll nach Barley die Lösung des Problems sein. „Das Ziel muss Parität sein“, stellte auch Kanzlerin Merkel am historischen Frauenwahlrechtstag fest. Der Vorschlag der Justizministerin: Das Bundeswahlgesetz dahingehend zu reformieren, dass die Landeslisten der Parteien immer abwechselnd von einem Kandidaten und einer Kandidatin besetzt werden. Ein ähnliches Konzept existiert in Frankreich, dort nehmen die Parteien allerdings lieber die Strafzahlungen aufgrund eines Verstoßes gegen das Wahlgesetz in Kauf, um ihre männlichen Kandidatenaufstellen zu können. Eine andere Möglichkeit wäre es, Listen gar nicht erst zur Wahl zuzulassen, wenn sie gegen das Wahlrecht verstoßen.

In Deutschland wird nicht nur die Liste gewählt, die paritätisch besetzt werden müsste, sondern auch immer ein*e Direktkandidat*in pro Wahlkreis. Frankreich regelt dieses Problem, indem jede Partei zur Hälfte Frauen und Männern für die Direktmandate kandidieren lassen muss. In der Praxis bekommen allerdings die Männer vorwiegend die sogenannten „sicheren Wahlkreise“. Aus diesem Grund hat die Justizministerin einen zweiten Vorschlag parat: Die Wahlkreise sollen weniger – also größer – und immer durch zwei Abgeordnete unterschiedlichen Geschlechts vertreten werden. Dafür bräuchte es eine Änderung des Grundgesetzes, wozu eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag sowie im Bundesrat benötigt werden würde.

Die politische Zukunft

Populär sind die konkreten Gesetzesideen von Barley nicht – nicht innerhalb der Koalition und auch nicht in der eigenen Partei. Ihre Vorschläge leitete die Ministerin mit den Worten ein: „Ich als Parlamentarierin“, und wollte damit eine Diskussion im Bundestag auslösen, der sich dieser Frage annehmen soll. Dort ist eine Debatte zu dem Thema derzeit nicht angesetzt. Zudem erscheint es derzeit auch unwahrscheinlich eine Mehrheit für den Vorschlag zu finden. Der Entwurf einer solchen Gesetzesänderung obliegt dem Innenministerium.

Unterstützung erhält Barley bei Ihrem Anliegen von der Jugend. Ricarda Lang ist Bundessprecherin der Grünen Jugend. Sie möchte durch eine mögliche Gesetzesänderung die Steine aus dem Weg räumen, die Frauen in der Politik in den Weg geworfen werden. Allerdings setze ihre Jugendorganisation auf zweigleisige Förderung von jungen Frauen: „Denn Instrumente wie ein Parité-Gesetz oder die Frauenquote entfalten ihre Wirkung nur dann richtig, wenn sie von gezielter Frauenförderung begleitet werden.“

Bei der Jugendorganisation des Koalitionspartners schwindet die Zustimmung allerdings. Phillip Müller, Bundesgeschäftsführer der jungen CDU, teilt mit, „dass die Mitglieder der Jungen Union – sowohl die männlichen als auch die weiblichen – eine Quote oder ähnliche Maßnahmen ablehnen.“ Die JU sei sich bewusst, dass es mehr Frauen in Führungspositionen brauche und versucht „durch verschiedene Faktoren junge Frauen zu motivieren, Führungsverantwortung zu übernehmen.“ Die Jungpolitiker*innen der FDP meinen auf Anfrage in der Vergangenheit genug zu diesem Thema gesagt zu haben, außerdem wollen sie sich eher auf die strukturellen Ursachen des Problems konzentrieren.

Kritiker*innen einer Quotenregelung fragen, warum eine solche Regelung immer wieder für gut dotierte Stellen ins Gespräch gebracht wird, allerdings nicht für andere Berufe. Warum sollten nicht auch bei der Müllabfuhr oder der Erziehung von Kindern Parität herrschen? Die Befürworter*innen würden auch hier mit Merkels Worten erwidern: „Das Ziel muss Parität sein“ – in allen Berufen.

Die geheime, mächtige Funktion des Parlaments

In Deutschland besteht das Recht auf die freie Berufswahl. Allerdings sind wir niemals frei von sozialen Einflüssen wie Klassismus, Sexismus oder jeglichen weiteren Diskriminierungen, und oft mit nicht hinterfragten Stereotypen aufgewachsen. Die unterschiedlichen Verhaltensweisen von Männern und Frauen sind also zu einem großen Teil Ergebnis unserer Sozialisierung und nicht das Resultat unserer Genetik. Aus diesem Grund ist unsere Berufswahl niemals frei.

Der Bundestag hat eine im Grundgesetz festgeschrieben repräsentative Funktion. Diese bedeutet nicht die Gesellschaft „spiegeln“ zu müssen, sondern lediglich, dass jede*r Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes“ sein muss. Ein rein männlicher Bundestag wäre demnach nicht verfassungswidrig, die Parlamentarier*innen wären allerdings dazu verpflichtet, die Interessen aller Bevölkerungsgruppen gleichermaßen zu vertreten. Das gilt sowohl für die Mehrheitsgruppen, als auch für die Minderheiten.

Neben der Repräsentation hat der Bundestag noch eine weitere – nicht im Grundgesetz festgeschriebene – Funktion. Er steht im Austausch mit der Bevölkerung, hat einen großen Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen und wirkt auf die Denkmuster der Bürger*innen ein. Nicht zuletzt deshalb hat der Bundestag eine Vorbildsfunktion.

Geschlechterparität im Bundestag würde also nicht nur unsere Bevölkerungsrealität besser repräsentieren, sondern auch die Gesellschaft verändern. Es hat einen enormen Einfluss auf das gesellschaftliche Miteinander, wenn sich die Deutschen daran gewöhnen, dass die Hälfte der Führungspersonen in Staat, Gesellschaft und Wirtschaft Frauen sind. Für Jungen im Berufseintrittsalter wäre es selbstverständlicher, auch in typisch-weibliche Berufe zu gehen – die natürlich gleich bezahlt werden. Die soziologische Rückwirkung des Bundestages auf die Gesellschaft spielt für die Entwicklung der Gleichstellung zwischen Männern und Frauen eine zentrale Rolle.

Die Gesellschaft muss sich weiter verändern – hoffentlich nicht erst in hundert Jahren.

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