von Julien Katzinski | Beitragsbild © Mathis Gilsbach
Seit der ersten Weltklimakonferenz in Genf im Jahre 1979 bis zur Vergangenen in Glasgow haben sich die jährlichen CO2-Emissionen global nahezu verdoppelt. Trotzdem ist die mediale Berichterstattung über die sich weltweit abspielende Klima- und Umweltkrise seit den Abschlusserklärungen der Konferenz von Glasgow wieder deutlich in den Hintergrund getreten. Wurde das Klima diesmal etwa „gerettet“?
Keineswegs. Zwar gab es wichtige Absichtserklärungen einer beachtlichen Anzahl von Staaten, etwa im Hinblick auf Methanemissionen, Entwaldung und Kohleausstieg; wenn auch beim letzteren die weltweit größten Kohleverbraucher China, Indien und die U.S.A. nicht zur Gruppe der Unterzeichnerstaaten gehörten.
Man darf und sollte sich keinerlei Illusionen hingeben – eine wirkliche Trendumkehr ist wieder einmal nicht gelungen. Im Gegenteil: die global ausgestoßenen CO2-Emissionen steigen weiterhin Jahr um Jahr und sollen von aktuell ca. 35 Milliarden Tonnen jährlich bis zum Jahre 2050 auf bis zu 43,1 Milliarden Tonnen weiter ansteigen. Immerhin stiegen die Emissionen in den vergangen acht Jahren mit einem geringeren Tempo als in den Jahrzehnten zuvor und auch die weltweite Pandemie hat für einen kurze Verschnaufpause gesorgt.
Es stellt sich dennoch die Frage, welchen Sinn und Zweck solche Konferenzen angesichts dieser Entwicklung überhaupt haben.
Eines vorweg: Vermutlich ist es immer noch besser, im Falle Deutschlands an den selbst gesteckten Pariser Klimazielen zu scheitern und sich daran messen lassen zu müssen als überhaupt keine globalen Ziele zu formulieren.
Jedoch darf dies nicht dazu führen, unsere Hoffnungen allein auf diese Art von Problembehandlung zu setzen. Diese nährt bei nicht Wenigen die Illusion, dass die Mächtigen dieser Welt der Tragweite der Problematik bereits in verantwortungsvoller Weise gerecht werden. Man darf Fakten nicht ausblenden und sollte sich als frei denkender Mensch mit der Realität auseinandersetzen: Was sagt uns diese?
Machen wir es einmal konkret am Beispiel Deutschlands fest. Als es in Glasgow etwa um die Frage eines globalen Verbots des Verbrennermotors bis zum Jahre 2040 ging, war Deutschland als führende Automobilexportnation nicht dabei. Schade eigentlich.
Wenn es um knallharte Profitinteressen geht, scheint die Entscheidung zwischen Geld und dem Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen auch bei der vermeintlichen Vorreiternation Deutschland eben doch sehr einfach. Doch für die Zukunft haben wir jetzt mit Bündnis 90/Die Grünen DIE politische Kraft für eine weitsichtigere Handhabung dieser Fragen in der Bundesregierung – oder?
Politik ist in der Theorie dafür da, um Gemeinwohlinteressen auch und besonders gegenüber der Wirtschaft durchzusetzen. Praktisch haben jedoch Jahrzehnte neoliberaler Politik, massiver Lobbyismus und das Herausbilden und Erstarken riesiger multinationaler Konzerne zu einer Machtverschiebung hin zu Kapitalinteressen und dem Aushöhlen demokratischer Prozesse geführt. Auch wenn wir in Deutschland alle vier Jahre einen neuen Bundestag wählen, sind wir auch hier längst im Zeitalter der „Postdemokratie“ angelangt, wie u.a. der bekannte britische Sozialwissenschaftler Colin Crouch in seinem gleichnamigen Buch1 eindrucksvoll darstellt. Durch den Verlust des Primats der Politik über die Ökonomie ist es den meisten politischen Eliten dieser Tage nicht mehr möglich, das Gemeinwohl aktueller und zukünftiger Generationen gegenüber gut organisierten, einflussreichen und oftmals korrumpierenden Kapitalinteressen durchzusetzen. Das Ergebnis lässt sich am bereits erwähnten Ergebnis der Glasgower Weltklimakonferenz bestaunen.
Zwar können solche Konferenzen wichtige rechtliche Rahmenbedingungen auf internationaler Ebene schaffen, das zugrundeliegende Problem wird jedoch nicht angegangen. Es braucht eine andere Lebensweise und eine neue Politik, welche nicht allzu oft Kapitalinteressen dem Gemeinwohl und den Lebenschancen künftiger Generationen vorzieht: Was also tun?
Zunächst einmal sollten wir uns als Bürger:innen wieder unserer eigenen Macht bewusst werden. Diese besteht eben nicht bloß aus dem Kreuzchen am Wahltag, sondern Politik kann und sollte in diesen Zeiten auch „von unten nach oben“ gemacht werden. Diese Macht entfaltet sich am wirkungsvollsten in breiten Bündnissen und sozialen Bewegungen. Die globale Bewegung Fridays for Future hat vor der Pandemie eindrucksvoll gezeigt, wie verantwortliche Politik unter Druck gesetzt und der gesellschaftliche Diskurs mitbestimmt werden kann. Systemische Veränderungen erfolgen nur durch systemischen Druck – daran gilt es anzuknüpfen!
Allzu oft versuchen bestimmte politische Eliten jedoch, solchen Bewegungen den Wind aus den Segeln zu nehmen. Im Jahr 2019 reagierte etwa die Große Koalition auf bundesweite Massenproteste mit einem Klimaschutzgesetz, das selbst vom Bundesverfassungsgericht gerügt wurde. Solche taktischen Manöver gilt es zu entlarven; ähnlich wie bei den Weltklimakonferenzen.
Daher sollte auch ziviler Ungehorsam in Anbetracht der Lage ein selbstverständliches und in der Breite eingesetztes Mittel der Politik „von unten“ sein. Jedoch keiner, der zu Frust und Unverständnis, etwa von nichtsahnenden Verkehrsteilnehmenden, führt. Es braucht ein Ungehorsam gegenüber den Verantwortlichen aus Politik und Wirtschaft, insbesondere der fossilen Energiewirtschaft und ihren zahlreichen Lobbyisten. Positivbeispiele gut organisierten zivilen Ungehorsams sind etwa „Ende Gelände“2, „Sand im Getriebe“3 und weitere Bündnisse, welche nach bestem Gewissen und wann immer möglich Unterstützung und Nachahmung erfahren sollten. Nur so steigt der Druck!
Wir sollten uns darüber hinaus auch endlich wieder trauen, eine positive Geschichte unserer eigenen Zukunft zu erzählen und unser persönliches Leben, Handeln und Engagement daran auszurichten.
Es braucht viele mutige und engagierte Menschen, die mit eigenen solidarischen und nachhaltigen Lebensweisen, Projekten und Ideen vorangehen. Das wird wiederum andere Menschen inspirieren und antreiben. In Berlin ist zum Beispiel die Initiative „Berlin autofrei!4“ derzeit dabei, ein vielversprechendes Referendum für eine autoreduzierte Innenstadt zu initiieren. Unterstützer:innen gibt es reichlich. Warum sollten nicht weitere Städte und Kommunen folgen? Die Vorteile und das große potential einer autofreien Innenstadt liegen auf der Hand.
Aus der Wissenschaft ist dazu hinlänglich bekannt, dass nicht alle Menschen einer Gemeinschaft überzeugt werden müssen, um diese grundlegend zu verändern. Es wird angenommen, dass bereits eine kritische Masse von etwa 25 Prozent ausreichen, um einen sozialen Kipppunkt zu erreichen und wirklichen Wandel herbeizuführen.56 Von dieser Zielmarke sind wir im Hinblick auf eine nachhaltige und weniger weltverbrauchende Lebensweise zwar in Deutschland noch ein gutes Stück weit entfernt, es führt jedoch kein Weg daran vorbei, sich dieser Schritt für Schritt weiter anzunähern. Auch im Hinblick auf Ernährung lassen sich mit einer veganen/vegetarischen Bewegung oder genossenschaftlichen Supermärkten7 bereits Positivbeispiele finden, welche den Pfad einer solidarischen und nachhaltigen Lebensweise bereits eingeschlagen haben.
Darüber hinaus gibt es unzählige weitere Anknüpfungspunkte in allen denkbaren Bereichen des Lebens, die es mutig und kreativ zu verändern gilt. Jede Idee und jedes Engagement werden dringend gebraucht – „Think global and act local!8“
Nicht zuletzt aus Solidarität mit all jenen Menschen der Erde, oftmals des globalen Südens, welche schon heute durch Wasserknappheit, Dürren und weitere Umweltkatastrophen unvorstellbares Leid erfahren.
Für diese Menschen und für alle künftigen Generationen und Lebewesen gilt es, diesen einzigartigen und verletzlichen Planeten in seiner Schönheit und Vielfalt bestmöglich zu bewahren.
Dafür braucht es JETZT Mut, Zuversicht und gemeinsames Aktivwerden – so entsteht Hoffnung.
1 suhrkamp.de/buch/colin-crouch-postdemokratie-t-9783518125403
3 volksentscheid-berlin-autofrei.de/
4 zukunftsinstitut.de/artikel/soziale-kipppunkte-im-kampf-gegen-den-klimawandel/
5 wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/wann-minderheitsmeinungen-maechtig-werden-2/
7 transportenvironment.org/discover/think-global-act-local-transform-cities-also-planet/
8 demokratiewebstatt.at/thema/thema-globalisierung/schattenseiten/think-global-act-local
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