Kein Kinderfreundliches Klima

Text und Illustration: Teresa Rübel

Wie wir bei Karottenkuchen über Kinderkriegen und Klimakrise nachdenken

„ich denke ich will kinder kriegen. es ist halt einfach schön. so ganz egoistisch gedacht”, sagt claire. wir sitzen sonntagmorgens auf den stufen des opernhauses und essen claires mitgebrachten karottenkuchen. „aber je nachdem wie es mit der welt so weitergeht, wird es für die kinder vielleicht nicht so schön. ich fühle mich selbst schon manchmal so weltschmerzig. und wenn ich kinder in die welt setze, die damit noch viel länger zu tun haben, sind das eigentlich nicht so rosige aussichten.” wir seufzen beide und nehmen uns noch ein stück kuchen.

auch ich denke ab und zu darüber nach, ob meine kinder eigentlich schnee sehen würden. und spüre dann auch schuldgefühle, weil nachhaltigkeit immer mehr zu einem persönlichkeitsding geworden ist, anstatt etwas, was global politisch gelöst werden muss. aber so einen warmen tee nach dem schlittschuhlaufen auf dem zugefrorenen see würde ich allen kindern gönnen.

andererseits ist schnee nicht wirklich ausschlaggebend für eine gelungene kindheit, oder? wenn ich meinen kindern genug liebe mitgebe und ihnen widerstandsfähgkeit beibringe, werden sie doch mit den meisten ihrer herausforderungen fertig, auch mit der klimakrise.

„wenn man hoppla-kinder bekommt, stehen ganz andere fragen zur debatte”, sagt claire. „wie früh man das beispielsweise checkt, dass man schwanger ist, und ob man dann eingreifen möchte. da würde ich niemals sagen, dass jemand egoistisch sei, in so einer situation abzutreiben. ist sicher auch nicht leicht. es ist alles nicht so planbar und deshalb ist diese klimafrage gar nicht so wichtig.”

…WENN ÜBERHAUPT

anders ist es bei pierre. er ist queer. wenn er eine familie gründen würde, wäre sie natürlich geplant. er würde sich nicht für eine künstliche befruchtung mit einer leihmutter entscheiden, sondern würde, wenn überhaupt, adoptieren, sagt pierre. „und dann ist das kind ja schon da. dann spielt der klimawandel keine rolle mehr in der entscheidung.“ wir stehen auf meinem balkon, es ist kalt und dunkel, es ist sonntagabend. ich sehe sein gesicht nicht ganz, aber er wirkt nachdenklich.

„dieses ‚wenn überhaupt‘ überwiegt. ich denke es liegt an unserem alter. kinder sind sooo anstrengend,” sagt pierre. „man muss seine eigenen bedürfnisse sehr zurücknehmen, wenn man kinder bekommt.” „man hat eigentlich 13, 14 jahre keine sekunde privatsphäre mehr”, sage ich zustimmend. so stellen wir, studis anfang/mitte 20, uns das leben mit kindern vor.

ich schreibe mama eine message und frage sie, wie das denn bei ihr war, mit kinderkriegen und dem nachdenken über verantwortung und klimagerechtigkeit. ihre antwort folgt einige stunden später: „leider keine zeit gehabt, nachzudenken … oder besser: erst mit den kindern ist bei mir überhaupt der druck entstanden, nachzudenken.”

„ich würde versuchen, so ehrlich wie es geht, die kinder für die veränderungen auf der welt zu sensibilisieren. aber ohne ihnen ein schlechtes gewissen zu machen,” sagt claire. „ich würde nicht in den urlaub fliegen, weil den kindern wäre es eh egal, ob sie an der nordsee oder auf teneriffa im matsch spielen”. „aber was wenn es ihnen irgendwann nicht mehr egal ist? was wenn sie sagen, es ist ja eh schon alles zu spät und ich mache jetzt was ich will, ich fliege jetzt auch in den urlaub?” frage ich . „also um ehrlich zu sein, finde ich das voll verständlich”, sagt claire. „es ist ja auch nicht deren schuld, dass wir sie in die welt setzen. es ist wieder so egoistisch zu sagen ich setze kinder in die welt, aber die müssen sie dann retten. das ist ja genauso bescheuert. es fiele mir schwer, meinen kindern bestimmte dinge abzuschlagen”, sagt claire. “meine mutter ist etwas konsumorientierter als ich. aber das liegt einfach daran, wie sie aufgewachsen ist. sie hatte halt früher nichts und jetzt hat sie alles, und will uns auch zeigen, dass wir alles haben können”. sie macht eine kurze kau-pause. „wenn in ein paar jahren hannover schon unter wasser steht, möchte ich das meinen kindern aber nicht antun. dann müssten die flüchten. glaubst du, wir müssen im laufe unseres lebens nochmal flüchten?”, fragt claire in den blauen himmel über hannover. die tauben versuchen, ihre kuchenkrümel zu erpicken. es ist eine morgendliche sonntagliche stille über der stadt.

als ich am sonntag nach hause komme, nehme ich meinen laptop und besuche die website flood.firetree.net. dort kann man simulieren, ab wie vielen metern meeresspiegelanstieg welche stadt unter wasser stehen würde. hannover wäre bei etwa 60 metern meeresspiegelanstieg betroffen. das abschmelzen der eismasse der antarktis hätte dazu sogar das potenzial, aber ein so hoher anstieg wird nicht vor dem jahr 2300 eintreffen. das heißt aber nicht, dass wir nicht schon vorher folgen anderer art spüren werden. vielleicht müssen wir auch vor sturmfluten oder anderen extremwetterbedingungen flüchten.

claire schickt mir ein youtube-video auf whatsapp. das ding mit der flucht ist ihr nicht aus dem kopf gegangen. in dem youtube video der deutschen klimastiftung sagt eine frauenstimme aus dem off: „hunderte millionen menschen werden laut schätzungen in zukunft nicht mehr in ihrer heimat leben können und werden zu geflüchteten und binnenvertriebenen.“ dabei sind natürlich länder des globalen südens wieder mehr betroffen als europäer*innen. aber die niederlande beispielsweise investieren jetzt schon in staudammsysteme, um dem anstieg des meeresspiegels entgegenzuwirken. sie versuchen mit geld und technik ihre flucht herauszuzögern. ich gebe „klimaflucht aus niederlanden wann“ in die suchleiste ein. es klingelt an der tür. stimmt, ich war ja mit pierre verabredet.

BIO-KINDER

später auf dem balkon zieht er an seiner zigarette und sagt: „ich würde meinen kindern die chance geben, an der revolution teilzunehmen.” hui okay. vielleicht wollen die ja gar nicht teil der revolution sein.

“am ende kriegt man eh upsi-kinder und vielleicht werden das dann kleine bio-kinder die ungeimpft sind und rotbäckchensaft trinken”, sagt claire auf der steintreppe. ich lache mit kuchen im mund.

autor*in hengameh yagoobifarah schrieb letztens in der taz: „keine kinder zu wollen, kann viele gründe haben. ich verstehe leute, die sagen, dass sie wegen klimakrise, kapitalismus und nazis kein bock mehr haben, kinder auf die welt zu setzen. eigentlich wäre das ein gutes druckmittel für die politik: reproduktionsstreik, bis sich endlich mal was ändert! eine niedrige babyrate könnte effektiv sein, nur sicherlich wären gerade nazis die streikbrecher_innen.” „ja safe!” sagt pierre. „öko kinder zu kriegen ist ja auch der einfachste weg, die ideologie des klimaschutzes weiterzuverbreiten. schau dich an: deine eltern sind mehr öko als meine eltern und du bist auch mehr öko als ich. also wenn du ganz viele öko kinder kriegst, kannst du damit vielleicht sogar die welt retten. weil sonst bevölkern ja die idioten die welt.” er wird etwas ernster: „aber leute, die das sagen sind noch nicht in dem wirklichen entscheidungsstadium drin. dann zählen ganz ganz andere fragen”.

claire und ich stehen schweigend auf, verlassen die treppen, klopfen die kuchenkrümel von unseren hosen und die morgensonne scheint uns ins gesicht. die tauben schlagen sich ihre kleinen runden bäuche mit den krümeln voll. wir laufen ein stück. „der kuchen war übrigens von einer biobäckerei“, sagt claire. wir schauen uns an und müssen lachen.

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