C55 – schwarz, rot, gold

von Paul Stegemann | © Mathieu Sörenhagen

An diesem Wochenende wurde auf dem Bundesparteitag der CDU in Leipzig auch über den Antrag C55 zur „Flaggenpflicht vor allen deutschen Schulgebäuden“ entschieden. Den Antrag stellte der baden-württembergische Landesverband der CDU auf Initiative der Schüler-Union des Landes.

Eine Glosse über einen gefährlich fahrlässigen Umgang mit rechten Ideologien und die Rückbesinnung auf eine deutsche Identität.

Dauerhafte Beflaggung an Schulgebäuden. Die CDU Deutschlands spricht sich dafür aus, Schulgebäude dauerhaft mit der Bundesflagge, der jeweiligen Landesflagge sowie der Flagge der Europäischen Union zu beflaggen.

So lautet die Formulierung im Antrag C55 des Landesverbandes. Die Antragskommission des Bundesparteitages empfahl im Vorfeld der Formulierung zuzustimmen und die Delegierten folgten. Eine kontroverse Auseinandersetzung fand in Leipzig nicht statt und wie mit so viel nationaler Naivität umgegangen werden soll, bleibt ungefragt.

Nun wäre es eine Möglichkeit für Beobachter*innen, diese Initiative mitleidig und teilnahmslos beiseite zu wischen. Johannes Kahrs vom Koalitionspartner SPD zeigt wie das beispielweise funktionieren kann. Er wirft formale Bedenken auf und verweist auf die Zuständigkeit der Bundesländer in bildungspolitischen Fragen. Andere Politiker*innen wählen die zweite Möglichkeit, bleiben still, antworten nicht auf Presseanfragen zu dem Thema und schmunzeln hinter verschlossenen Türen über diesen absurden Antrag.

So beobachten wir einen weiteren Versuch der christlich demokratischen Union, ihre zur AfD abgewanderte Wähler*innen durch die Betonung einer „nationalen Identität“ zurückzugewinnen. Kollektiv wird geschmunzelt über die an Großmachts-Fantasie grenzende Rede von Annegret Kramp-Karrenbauer zum Auftakt des Bundesparteitages. In der Rede träumt die Parteichefin von einem militärisch unabhängigen Europa mit Deutschland als Weltmarktführer*in in nahezu allen Wirtschaftsbereichen träumt. „Wer, wenn nicht wir?“, fragt sie die Delegierten und meint damit, dass Deutschland anderen Ländern und ganzen Kontinenten diktieren soll, wie die Welt funktioniert. Zurück in die Zukunft ist der braune Nachgeschmack solcher Aussagen.

Konjunktur der „deutschen Identität“

Die Flagge mit den schwarz-rot-goldenen Farben ist ein Symbol. Ein Symbol für Deutschland, das das Bewusstsein einer nationalen Identität bilden soll. Nationale Identitäten im Allgemeinen haben die Funktionen Gruppen zu bilden, Menschen einzuteilen, einzugrenzen und schließlich auszugrenzen. Eine starke deutsche Identität gepaart mit Großmachts-Fantasien der politischen Eliten waren in Deutschlands jüngeren Geschichte immer eine gute Idee. Doch wir Deutschen denken bei schwarz-rot-gold lieber nur an das Sommermärchen von 2006.

Wenn wir die Ironie für einen Moment ausklammern, dann verliert der Antrag C55 an jeglicher Legitimation. Die CDU beschließt ihn dennoch und trifft offenbar einen Zeitgeist. Seit die Nationalflaggen 2006 in Deutschland ein gigantisches Comeback gefeiert haben, tauchen sie in vielen verschiedenen gesellschaftlichen Räumen auf. Etwa auf Produkten auf denen mit „made in germany“ geworben wird, in Profilen sozialer Medien oder in der Chips-Werbung. Der Autor dieses Textes ist zu jung, um diese Veränderung bewusst miterlebt zu haben und ist schon mit schwarz-rot-goldenen Farben in der Umwelt einer neuen deutschen Normalität aufgewachsen. Folgt man allerdings der Argumentation des Antisemitismusforschers Clemens Heni, dann hat die Rückkehr der Flaggen der völkischen AfD und dem Faschisten Höcke den Weg zum Erfolg geebnet. Max Czollek polemisiert in seinem Buch „Desintegriert euch!“ die WM 2006 „als eine kollektive Erleichterung [der Deutschen] darüber, dass es endlich wieder erlaubt war, die Deutschlandfahne zu schwingen wie früher.“

Werthaltige Debattenbeiträge

Eine Beflaggung vor Schulen sei „auch das klare Signal, dass wir uns die Fahne nicht wegnehmen lassen von Kräften, die die damit verbundenen Werte nicht teilen“, glaubt Tilmann Kuban, Vorsitzender der Jungen Union. Geht das? Ist ein entschiedener Kampf gegen Rechts in schwarz-rot-gold überhaupt möglich? Und welche Werte sind mit dieser Flagge verbunden?

Erstmals verwendet wurden die Nationalfarben auf dem Wartburgfest von 1817 als Erkennungszeichen der deutschen Burschenschaft, die für ein einiges und politisch freies Deutschland kämpfte. In den folgenden Jahrzehnten bedienten sich die Machthabenden der Fahnen sowohl zu Zeiten des Deutschen Bundes als auch in der Weimarer Republik. Die Nationalflagge hatte immer die Funktion eine Einheit zu bilden und eine Gruppe von Zugehörigen unter ihr zu versammeln. Die Werte der Deutschlandflagge existieren nicht, es gibt in ihr nur einen „Wert“: Das „Deutsch-sein“.

Haltungslose Beobachtung

Wer diese Bestrebungen der Konservativen wegschmunzelt, macht es sich bequem. Wir beobachten die Union als eine Partei, die konstant in Meinungsumfragen an Zustimmung verliert, sich im Umgang mit dem Internet blamiert und bei der letzten Europawahl sogar ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten eingefahren hat. Hinzu kommt, dass die Partei mit dem schleichenden Abgang Merkels mitten in einem Richtungsstreit steckt. Dabei dominiert neben den Personaldebatten die Frage, wie Wähler*innen politisch rechts von der Partei zurückgewonnen werden können.

Dass der Antrag C55 in absehbarer Zukunft trotz ihrer Zustimmung nicht als tatsächliches Gesetz verabschiedet wird, war den Delegierten in Leipzig auch bewusst. Die Union ist von der absoluten Mehrheit weiter entfernt denn je und im demokratischen Parteienspektrum gibt es keine Partnerin, mit der ein solches Gesetzesvorhaben umsetzbar wäre. Die Debatte um die Einführung einer ständigen Beflaggung an deutschen Schulen ist also reines Positionstheater.

Hinschauen, drauf zeigen

Der Gedanke, Unterschiede zu betonen und exklusive Gruppen zu bilden, riecht stark nach dem Mief der letzten Jahrhunderte. Ein gestärktes Nationalbewusstsein hat selten dabei geholfen, einen Kampf gegen völkische Demagogen zu gewinnen. Die Fahnen sind ein Symbol des Nationalstaates, sie teilen Menschen und grenzen aus. Schwarz-rot-gold passt somit hervorragend auf jede PEGIDA-Demo, nicht aber vor Schulgebäude. Demokrat*innen vereint das Interesse, solchen Entwicklungen entgegenzuwirken und auf erstarkenden Nationalismus zu reagieren, wenn er auf der Nase rumtanzt.

In den Schulen, wo sich Schüler*innen verschiedenster Nationalitäten zum gemeinsamen Lernen treffen, bestehen viele Probleme. Der Staat, die handelnden Parteien sind verpflichtet Konzepte vorzulegen, wie bestehende Löcher im Bildungssystem gestopft und kommende Herausforderungen unserer Zeit gemeistert werden können. Eine stärkere deutsche Identität hilft bei diesen Aufgaben nicht, sondern erzeugt nur alte Probleme.


Anmerkung d. Red.: Der Antrag wurde auf dem Bundesparteitag nach der Veröffentlichung dieses Beitrages von den Delegierten angenommen.

  1. Ich kann dem nicht ganz zustimmen. Als Ausländerin in Deutschland finde ich es sehr merkwürdig wie Deutsche mit ihrem Land umgehen. Keinerlei Stolz oder wenigstens auch einen Hauch eines positiven Zeichens wenn jemand sagt er*sie sei Deutsche*r sondern nur Scham es überhaupt auszusprechen (wenn jemand es denn tatsächlich tut). Integration heißt auch anzuerkennen, dass man in ein anderes Land zieht und die Menschen dort selbstverständlich Teil einer Nation sind. Das bedeutet nicht, dass wir uns für ein Land entscheiden müssen, denn in unseren Herzen haben wir Platz für weit mehr als ein Land.

    Was ich nicht anspreche, sind die (möglichen) Ziele der CDU, die hier identifiziert werden.

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