Text: Celine Giese | Kunst: Karolina K.
Dieser Text ist der erste Teil der Reihe um Schwangerschaftsabbrüche. Seit Anfang dieses Jahres hat ein Gericht bestätigt: Ärzt*innen dürfen öffentlich nicht über Schwangerschaftsabbrüche informieren — Journalist*innen jedoch schon. Deshalb möchten wir nun in einer vierteiligen Reihe alle Infos über Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland darstellen. In diesem Teil widmen wir uns der gesetzlichen Lage.
Karolina K.* hatte es sich für einen entspannten Abend in der Badewanne gemütlich gemacht, an den Test dachte sie nicht mehr. Die letzten Tests waren negativ gewesen und sie rechnete nicht damit, dass es dieses Mal anders sein würde. Erst als sie aus der Wanne ausstieg, blickte sie wieder auf den Test und da war er, der zweite Streifen. Ungläubig blickte sie darauf – positiv, schwanger. Freude kam auf, sie konnte schwanger werden, konnte Kinder bekommen! Das verstand sie nicht als Selbstverständlichkeit, immerhin ist jedes sechste Paar weltweit von Unfruchtbarkeit betroffen.
Doch schnell darauf folgte die Frage: Wollte sie das zum momentanen Zeitpunkt überhaupt? Die zweiundzwanzigjährige Kunststudentin sprach mit ihrem Freund alles durch: Wie würden sie das machen, wenn sie nun ein Kind hätten? Er würde anfangen müssen zu arbeiten, sie müsste ihr Studium hinten anstellen. Welche Möglichkeiten für Kinderbetreuung gäbe es und könnten sie das finanzieren? Karolina und ihr Freund entschieden sich gegen ein Kind — zum jetzigen Zeitpunkt. Zu viele Hürden würde ein Kind zurzeit mit sich bringen, zu viel müssten sie aufgeben.
Gesetzliche Hürden eines Schwangerschaftsabbruches
Damit ihr Schwangerschaftsabbruch straffrei blieb, musste Karolina zuvor an einer Beratung teilnehmen. Denn nach deutschem Strafgesetzbuch (§ 218 und § 219) gelten Schwangerschaftsabbrüche seit 1871 als Straftat. Sie können eine Inhaftierung von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe zur Konsequenz haben. Straffrei bleibt ein Abbruch nur, wenn die Befruchtung nicht länger als 12 Wochen zurückliegt. Zudem muss die schwangere Person beim Ärzt*innenbesuch durch eine Beratungsbescheinigung nachweisen, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen.
Ausnahmen für einen straffreien Abbruch
Besteht eine akute medizinische oder kriminologische Ausnahme, also schwebt zum Beispiel die Person durch die Schwangerschaft in Lebensgefahr, ist weder das Beratungsgespräch für die schriftliche Bescheinigung noch die Einhaltung der 3-Tages-Frist zwischen Beratung und Eingriff notwendig. Bei einer Ausnahme aus medizinischen Gründen, wie beispielsweise eine Lebensbedrohung durch die Schwangerschaft, darf ein Abbruch auch noch nach der zwölften Woche erfolgen. Ein Schwangerschaftsabbruch verstößt dann nicht gegen das Gesetz.
Was als medizinische Gründe gilt
Eine Ausnahme aus medizinischen Gründen liegt auch dann vor, wenn nach pränatal diagnostischen Untersuchungen mit einer Behinderung des Kindes zu rechnen ist. Dass eine medizinische Ausnahme vorliegt, muss von einer*m Ärzt*in attestiert werden. Hierbei kommt es darauf an, ob die physische oder psychische Gesundheit der schwangeren Person ernsthaft durch das Austragen gefährdet ist. Der*Die Ärzt*in muss die schwangere Person umfassend informieren, über mögliche Hilfsangebote beraten und Kontakt zu Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Behindertenverbänden vermitteln, wenn dies gewünscht ist.
Liegt aufgrund der pränatal diagnostischen Untersuchung eine medizinische Ausnahme vor, muss die schwangere Person zudem zu medizinischen, psychischen und sozialen Fragen beraten werden, die mit der Behinderung/Krankheit des Kindes in Zusammenhang stehen könnten. Die Beratung durch den*die Ärzt*in ist freiwillig und kann abgelehnt werden. Bevor der*die Ärztin die Bescheinigung ausstellt, müssen drei Tage abgewartet werden. Sofern beim Kind eine Behinderung festgestellt wird, werden die Tage ab der Mitteilung der Diagnose gezählt — bei bestehender Lebensgefahr für die schwangere Person ab der Beratung bei dem*der Ärzt*in. Diese Frist gilt nicht, wenn akute Lebensgefahr für die schwangere Person besteht.
Was als kriminologische Gründe gilt
Eine Ausnahme aus kriminologischen Gründen liegt vor, wenn die schwangere Person durch eine Vergewaltigung schwanger geworden oder jünger als 14 Jahre ist. Hierfür ist es nicht notwendig, dass die Straftat angezeigt wurde. Dass eine kriminologische Ausnahme vorliegt, wird auch hier von einer*m Ärzt*in bestätigt und nicht durch die Polizei oder Staatsanwaltschaft. Beim Vorliegen einer kriminologischen Ausnahme darf der Abbruch, anders als bei einer Ausnahme aus medizinischen Gründen, nur bis zum Ende der zwölften Woche nach der Befruchtung, also der vierzehnten Schwangerschaftswoche durchgeführt werden.
Warum der Satz „Auch wir bieten einen medikamentösen Abbruch an“ verboten ist
Auf der Suche nach Informationen über die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruches stieß Karolina auf eine weitere Hürde: Ärzt*innen dürfen Schwangerschaftsabbrüche zwar durchführen und dies nun auch öffentlich machen, jedoch nicht darüber aufklären. Dieses sogenannte „Werbeverbot“ geht auf eine rechtspolitische Debatte aus der Weimarer Republik zurück und wurde 1933 von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im Reichsstrafgesetzbuch verankert. §219a verhindert nicht die Werbung, sondern die Aufklärung und Bereitstellung sachlicher Informationen über Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzt*innen. Schwangerschaftsabbrüche sollten nicht zum Zwecke des finanziellen Gewinns beworben und als normale ärztliche Dienstleistung angesehen werden dürfen, so die Begründung der Gesetzgeberin.
Die Zweiundzwanzigjährige war somit gezwungen, auf die Internetseiten Dritter auszuweichen, die meist keinerlei medizinische Ausbildung hatten. Über eine Tagesklinik erhielt Karolina die nötigen Informationen; doch auch nur, indem sie dieser einen Besuch abstattete und offen nachfragte.
Wer führt Abbrüche durch?
Die Bundesärztekammer veröffentlicht eine Liste all jener Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten. Da die Eintragung auf dieser Liste freiwillig ist, bleibt sie jedoch unvollständig. Ungewollt schwangere Personen sollen Informationen zum Schwangerschaftsabbruch auf Listen einsehen können. Die meisten schwangeren Personen erhalten dagegen in den Beratungsstellen die Kontaktadressen von Ärzt*innen in der Nähe, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen
„Von 1270 Ärzt*innen, die bundesweit Abbrüche durchführen, sind gerade einmal 370 auf der Liste vertreten, das ist vollkommen unzureichend. Viele Ärzt*innen lassen sich bewusst nicht auf der Liste eintragen, da die öffentliche Bekanntmachung für sie eine Gefahr darstellen könnte. Kristina Hänel und andere haben mehrfach von Morddrohungen berichtet, die sie von Abtreibungsgegner*innen erhalten haben. Davor sollten Ärzt*innen keine Angst mehr zu haben brauchen“, meint Dörte Frank-Boegner, Bundesvorsitzende des Verbandes Pro Familia, einer deutschen nichtstaatlichen Organisation für Sexual-, Schwangerschafts- und Partnerschaftsberatung im Gespräch mit dem sai-magazin.
Die Liste der Bundesärztekammer unterscheidet zudem nur zwischen operativen und medikamentösen Abbrüchen, nicht aber zwischen den beiden Möglichkeiten eines operativen Abbruches, Ausschabungen und Absaugungen, und selbst diese Angaben können von den Ärzt*innen ausgelassen werden. Da auch den Beratungsstellen nicht immer alle Informationen der einzelnen Kliniken vorliegen, erschwert dies den schwangeren Personen die Informationssuche. Durch ihre Nachfrage bei der Tagesklinik wusste Karolina bereits, dass diese Abbrüche durchführen und war somit nicht auf die Liste der Bundesärztekammer angewiesen.
Doch auch die Beratungsregelung und ein Mangel an Ärzt*innen die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, erschweren es schwangeren Personen einen Abbruch vornehmen zu lassen. Diese Erfahrung musste auch Karolina machen, deren Beraterin ihr uninformiert Möglichkeiten in Aussicht stellte, die ihr nur ansatzweise weiterhalfen. Mehr dazu erfahrt ihr in unserem nächsten Artikel zum Thema Schwangerschaftsabbrüche.
*Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird nicht der vollständige Name genannt.
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