von Carolin Waldmann | Bild: © Carolin Waldmann
Die drei Dimensionen des Wandels nach der Tiefenökologie von Joanna Macy
„Die einzige Konstante im Leben ist die Veränderung.“
Heraklit, griechischer Philosoph (550-480 v. Christus)
Alles bewegt sich. Ständig. Die Erde hört nicht auf sich zu drehen. Wenn bei uns die Sonne untergeht und es still wird, geht woanders die Sonne schon wieder auf. Das alltägliche Getümmel auf den Straßen hört niemals ganz auf. Alles ist im stetigen Wandel, in einem Werden und Vergehen.
Warum braucht es dann Wege zum Wandel, wenn doch der Wandel schon in Gange ist?
Ich möchte uns vor eine Entscheidung stellen:
Den Wandel by desaster oder by design
Wir entscheiden! Du und ich entscheiden, immer, jeden Tag, jetzt!
Joanna Macy ist eine Aktivistin, Autorin und Mitbegründerin der Tiefenökologie. Tiefenökologie ist eine spirituelle „ganzheitliche” Umwelt- und Naturphilosophie, welche ein Leben im Einklang mit der Natur anstrebt. In ihrem Buch „Für das Leben! Ohne warum“ zeigt Joana Macy drei Dimensionen des großen Wandels by design auf. Diese sind alle essenziell und gleich bedeutsam für eine spirituelle-ökologische Revolution.
Die erste Dimension
Zur ersten Dimension gehören Protestaktionen und Maßnahmen zur Verlangsamung der Auswirkungen der Schäden an der Erde und ihren Lebewesen. Dazu bedarf es sowohl politischer, gesetzgebender und juristischer Maßnahmen als auch direkter Aktionen. Diese Aktionen dienen dem Gewinn von Zeit, um systemische Veränderungen zu ermöglichen. Im vergangenen Jahr war diese Ebene des Aktivismus beispielsweise im Hambacher Forst besonders stark vertreten. Zahlreiche Aktivist*innen besetzten den 10.000 Jahre alten Wald, um sich klar gegen die Zerstörung des Energiekonzerns RWE zu positionieren. Ziviler Ungehorsam ist wichtig, denn wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zu Pflicht. Die Aktion „Ende Gelände“ dringt seit 2015 jährlich einmal mit einer großen Menschenmasse in den Tagebau des rheinischen Braunkohlereviers ein und legt diesen für mindestens einen Tag still. „Ende Gelände“ ist in Deutschland derzeit wohl eine der bekanntesten Massenaktionen des zivilen Ungehorsams und gewinnt immer mehr an Zuwachs. Protestmärsche, Demonstrationen, Mahnwachen und Petitionen fallen auch in diese Dimension des radikal liebevollen Widerstands. Also, Power to the People! Unterschreibt, demonstriert, besetzt Kohlebagger oder werdet auf andere künstlerisch-kreative Art und Weise aktiv. Gegen Kohle, Abgase und Ausbeutung. Für eine Welt, in der unsere Enkel*innen im Winter noch Schneefrauen bauen können und im Sommer barfuß durchs Gras rennend auf die ein oder andere Biene stoßen.
Die zweite Dimension
Protestaktionen alleine können jedoch keine zukünftige und lebensförderliche Gesellschaft hervorbringen. Wir brauchen auch alternative Systeme und Strukturen, die eine enkeltaugliche Kultur fördern und aktiv gestalten. Also bedarf es einer Analyse und Transformation der Systeme und Grundlagen unseres Zusammenlebens. Hierzu bedarf es ein Verständnis von der Dynamik des Konzernkapitalismus und der unterstützenden Rechts- und Kontrollstrukturen. Denn nur wenn wir die strukturellen Ursachen der globalen Krisen verstehen, können wir neue Wege etablieren und Alternativen bilden. In der globalen Zivilgesellschaft entstehen seit mehreren Jahren große Wandlungsbewegungen. In diesen organisieren sich Menschen, um alternative Lebens- und Wohnmodelle zu erproben. Diese bilden hierbei sogenannte Imagozellenfür den Wandel aus, da sie wie bei der Transformation von der Raupe hin zum Schmetterling bereits die Informationen neuer Strukturen in sich tragen. Die Rede ist hierbei von Gemeinschaften und Ökodörfern, die sich gemeinsam auf den Weg machen mit einem möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck und neuen Formen des Miteinanders. Im Eurotopia-Verzeichnis oder im Global Ecovillage Network kannst du mehr Informationen hierzu finden. Auch in den Städten schließen sich mehr und mehr Menschen der Transition Town Bewegung an und lassen neue kooperative und nachhaltige Infrastrukturen entstehen. Auch in der Wirtschaft gibt es beispielsweise mit der Gemeinwohlökonomie Ansätze, wie unser derzeitiges Wirtschaftssystem neu gedacht werde kann. Auch Ansätze für eine Welt frei von Leistung- und Gegenleistung, Verwertungs- und Wachstumslogik werden langsam in die Gesellschaft getragen und regen zu einem radikalen Umdenken derzeitiger Selbstverständlichkeiten an. Beispielsweise das Prinzip der Tauschlogikfreiheit, welches die Ökonomin Friederike Habermann in ihrem Buch „ausgetauscht“ vorstellt, lässt uns hinausdenken über die gegebenen Strukturen des Kapitalismus.
Die dritte Dimension
Die dritte Dimension bezieht sich auf den Werte- und Bewusstseinswandel. In diesem bedarf es einem grundlegendem Paradigmenwechsel in unserer Vorstellung und Beziehung zur Natur. Es braucht eine Abkehr von der Illusion, dass wir ein von der Welt getrennter Organismus sind, der von einer leblosen und berechenbaren Natur umgeben ist. Weg davon, dass wir das Recht haben, über die Natur zu herrschen, hin zu einer Anerkennung und der Verbundenheit mit der Lebendigkeit aller Dinge. Die schon längst überholte Vorstellung vom Wettstreit der Individuen wird dadurch überwunden und ersetzt durch ein Bewusstsein für die wechselseitige Verbundenheit mit der Gemeinschaft allen Lebens. Ein Bewusstseinswandel lässt sich natürlich nur schwer in konkrete Schritte aufteilen. Für Joanna Macy geht es besonders um eine Rückverbindung mit der menschlichen und uns umgebenden Natur. Meditation, intensive Zeit in der Natur oder Übungen aus der Tiefenökologie helfen dabei, sich zurück zu verbinden. Dabei unterstützt auch die Auseinandersetzung mit der Quantenphysik, ganzheitlichen Philosophien und spirituellen Traditionen die Verbindung mit der Welt als lebendigen Organismus.
Joanna Macy verfolgt mit ihrer Arbeit das Ziel, die Menschen wieder für eine lebensbejahende Beziehung zur Welt zu begeistern. Des Weiteren ermutigt sie am Großen Wandel teilzuhaben. Denn ein Wandel wird kommen! Zivilgesellschaftliche Bewegungen können jetzt wie ein Immunsystem der Erde an verschiedenen Orten der Welt in Erscheinung treten, um die Existenz des lebendigen Organismus Erde noch zu retten Es liegt in unserer Hand, ob wir passiv bleiben und lediglich auf die zunehmend bedrohlicheren Lebensumstände reagieren oder aktiv werden und Verantwortung für die nächsten Generationen übernehmen.