Für das Beste im Mann

von Paul Stegemann | Illustration: © Mathieu Sörenhagen

Viele Männer sehen im Feminismus die Einschränkung ihrer eigenen Rechte, fürchten Bevormundung und Einschränkungen durch Frauen*. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Geschlechtergerechtigkeit erhöht die Lebensqualität der Individuen, die Wirtschaftsleistung von Ländern und verbessert unseren Sex. Was ausgedacht klingt, ist wissenschaftlich erwiesen. Somit ist Feminismus das Beste, was uns Männern passieren konnte, um ein besseres Leben führen zu können.

Die Debatte um eine geschlechtergerechte Gesellschaft wird vornehmlich von Frauen geführt. Sie sind es, die auf Gender-Seminaren, in Debatten und Demonstrationen in der Mehrzahl sind. Dabei entsteht oftmals genau dieser Trugschluss, dass Feminismus nur für die Beseitigung der Benachteiligung des weiblichen Geschlechts kämpfen würde.

Ich sehe nicht, was ich nicht sehen will

Jedes Individuum kann sich nur mit dem eigenen Erfahrungshorizont auseinandersetzen. Die Benachteiligungen durch eine ungerechte Gesellschaft bekommen Frauen leibhaftig zu spüren: Durch den Gender-Pay-Gap, durch sexuelle Belästigungen im Alltag und häufig auch durch erfahrene physische Gewalt, deren Opfer weitaus häufiger Frauen als Männer sind.

Die Debattenführerinnen* – also Frauen und queere Menschen – haben den Vorteil, die Benachteiligung sehen zu können. Sie wissen oftmals – bewusst oder unbewusst – um die bestehenden Ungerechtigkeiten. Dadurch sind sie einen ganzen Schritt weiter als ihre Freunde des männlichen Geschlechtes. Die meisten Männer sehen in dem Bestreben nach einer geschlechtergerechten Gesellschaft meist lediglich die Zunahme von Rechten und Privilegien für Frauen und Einschränkungen der eigenen Position. Sie sehen die bestehenden Ungerechtigkeiten nicht, obwohl die eigenen Privilegien, die die Männer als kollektiv erfahren, gleichzeitig Nachteile für die Individuen bedeuten. Auch Männer profitieren von Geschlechtergerechtigkeit.

Trotzdem sehen sie in Frauenquoten die Gefahr, dass Posten nicht nach Qualifikation, sondern nach Geschlecht vergeben werden würden. In Kampagnen wie den Videos aus der Reihe #forthebestinmen von Gilettesieht die Gruppe der Ungerechtigkeitsleugner die Pauschalisierung und Vorverurteilung der Menschen ihres Geschlechtes; sie protestierten laut gegen den Inhalt des Videos und glauben an eine Verteufelung des Männlichen durch den Feminismus. Es ist die nächste fundamentale Kränkung dieser stolzen Männer seit 1984, als ein junger Mann mit langen blonden Haaren und einzigartiger Knödelstimme gefragt hat, wann ein Mann eigentlich ein Mann ist. Das Konzept der toxischen Männlichkeitbeschäftigt sich heute mit der Frage, warum Männer so sind, wie sie sind. Es zeigt auf, welches vorherrschende Bild von Männlichkeit in unserer Gesellschaft existiert und wie es unser Handeln beeinflusst.

Frederik Müller schreibt für das Missy Magazin. Er fasst zusammen, dass die toxische Männlichkeit, das Verhalten, Selbstbild und die Beziehungen von Männern sowie kollektive männliche Strukturen beschreibt. Demnach sindMänner stark, weniger emotional, weder zärtlich noch liebevoll und letzteres schon gar nicht miteinander. Männlichkeit müsse laut Müller immer wieder bewiesen werden, durch die Einordnung in eine Hierarchie, die mit Mutproben und erniedrigenden Ritualen gefestigt wird – auf dem Schulhof sei das genauso wie in der Bundeswehr. Toxische Männlichkeit bedeutet seiner Einschätzung nach, das Leben mit einem Mangel. Es bedeutet, sich nicht zu trauen das zu sein, was Mann will, da erwartet wird, dass Bier statt Sekt getrunken, Fußball statt Puppen gespielt und sich nicht über Gefühle ausgetauscht wird.

Schau doch mal genauer hin

Gesellschaftliche Konventionen und Vereinbarungen sind nun einmal so wie sie sind, sie lassen sich nicht ändern und deshalb lohnt es sich nicht; sie kaputt zu diskutieren. Natürlich gebe es Ungleichheiten zu Lasten von Frauen und queeren Menschen, aber das geht uns Männer ja erstmal nichts an. Es gibt da so Unterschiede, die kann man nicht erklären – Die Argumentationsstruktur zur Ignorierung der Nachteile schaut einseitig auf unsere Gesellschaft. Geschlechtergerechtigkeit beseitigt nicht nur Benachteiligungen von Frauen, sondern auch die der Männer. Die Männer müssen allerdings oftmals genauer hinsehen, um die erfahrenen Benachteiligungen durch die toxische Männlichkeit zu begreifen.B

Bild: © Justin Adam

Am deutlichsten wird die Benachteiligung der Männer in einer geschlechterungerechten Gesellschaft beim Thema Familie. In Deutschland nehmen Mütter im Durchschnitt fast zwölf Monate Elternzeit, Männer lediglich drei. Haben Männer schlicht keine Lust mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen oder werden sie durch gewisse Erwartungen in eine andere Rolle gedrängt? Der Väterreport des Bundesministeriums Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) antwortet, dass sogar 79% der Väter gerne mehr Zeit mit der Familie verbringen würden, jeder fünfte Vater, der gerne Elternzeit genommen hätte, verzichtet allerdings auf diese aufgrund der Angst vor Einkommenseinbußen. Darüber hinaus ist die vollzeitnahe Tätigkeit von Vätern in Unternehmen weiterhin deutlich weniger akzeptiert, als die der Mütter.

Männer werden auch heute noch in die Rolle des Versorgers der Familie gedrängt. Sie haben zwar das Privileg trotz Kindern Karriere machen zu können, aber dürfen es nicht nur, sondern müssen es tun. Das erhöht den Druck auf die Männer. Toxische Männlichkeit bewirkt darüber hinaus, dass sich Männer mit psychischen Krankheiten weit weniger in Therapie begeben als Frauen. Eine Folge dessen ist, dass im Vergleich zu Frauen dreimal mehr Männer Suizid begehen. Das Ablegen der Rollen und die Verfolgung der wirklichen Wünsche würde die Lebensqualität der Männer erhöhen

Warum schauen so viele weg?

Nils Pickert ist Chefredakteur bei pinkstinks, einer Protest- und Bildungsorganisation gegen Sexismus, Homophobie und starre Geschlechterrollen in Medien und Werbung. Er glaubt, dass Männer und Jungen die Vorteile einer geschlechtergerechten Gesellschaft oftmals übersehen, da sie Privilegien mit Freiheiten verwechseln. „Ich habe das Privileg, nie die Frage gestellt zu bekommen, wie ich als vierfacher Vater während der Arbeit die Kinderbetreuung organisiere. Ich habe nicht die Freiheit als gleichwertiger Partner in Sachen Kindererziehung wahrgenommen zu werden. Ich habe das Privileg, dass mir unterstellt wird, ich wäre in der Lage, attraktive Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, zu verführen. Ich habe nicht die Freiheit, mit klugen, begabten, kompetenten und attraktiven Frauen zusammenzuarbeiten, ohne dass mir ein sexuelles Interesse unterstellt wird.“

Auch Studien von amerikanischen Soziologen und norwegischen Forschern zeigen die vielen Vorteile für Männer durch einen Wandel in der Gesellschaft. Demnach steigt die individuelle Lebensqualität der Menschen, sowie der gesamtökonomische Erfolg eines Landes durch eine hohe Geschlechtergerechtigkeit. Auch ein Bericht der Weltbank legt nahe, dass Feminismus die Wirtschaft stärkt und Politik zukunftssicher macht.

Pickert sieht noch mehr Vorteile für Männer und Jungen in einer geschlechtergerechten Gesellschaft. Männer müssten in dieser nicht qua Geschlecht als gefühlskalt gelten, sie dürften sich ihrem besten Freund körperlich nähern können, ohne als schwul zu gelten, wobei Männer, die Männer begehren, als gleichwertig akzeptiert wären. Darüber hinaus würde einem Mann geglaubt und nicht lächerlich gemacht werden, der durch seine Partnerin Gewalt erfährt. Männer wie Jungen könnten jenseits von Rollenbildern sein und leben, was sie sein möchten. „Die Frage müsste also vielmehr lauten, welche Potentiale und Vorteile eine geschlechtergerechte Gesellschaft Jungen und Männern NICHT bringt.“

Augen auf und handeln

Es ist möglich ein Mann und gleichzeitig ein Feminist zu sein. Mehr noch: Es ist notwendig! Als Text eines weißen cis-Mannes wird hier nicht beurteilt werden, ob und warum Frauen* Feminist*innen sein sollten. Wir Männer sollten aufhören zu mansplainen, unsere Rollen reflektieren und die toxische Männlichkeit ablegen. Die meisten Frauen wissen um die Nachteile einer geschlechterungerechten Gesellschaft – bewusst oder unbewusst. Die meisten Männer hingegen setzen sich nicht mit der Thematik auseinander, Pickerts Frage können sie trotzdem nicht beantworten. Wie Mann ein Feminist werden kann und warum der Feminismus Europa retten kann, hat das Aktivisten-Duo Herr&Sperr schon beantwortet. Die zwei Herren sind Botschafter der Kampagne HeforShe Germany von UN Women.

Feminismus bedeutet für Männer nicht nur, für eine gerechtere Gesellschaft für unsere Mitschülerinnen*, Freundinnen*, Frauen* und Töchter* zu kämpfen. Feminismus bedeutet für eine gerechtere Gesellschaft für uns alle zu kämpfen. Frei von Schubladen, Unfreiheiten und Kategorien.

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