von Sheila-Ananda Dierks und Paul Stegemann | Illustrationen © Nora Boiko
Sophie Scholl ist 1943 im Alter von 21 Jahren in München vom NS-Regime ermordet worden. Zuvor hatte sie gemeinsam mit ihrem Bruder Flugblätter verfasst und verbreitet. Das Todesurteil lautet „landesverräterische Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung“.
Die Geschichte der Weißen Rose
Seit dem Sommer 1942 rief die Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ insbesondere mit ihren Flugblättern zum Widerstand gegen die NS-Diktatur und zur Beendigung des Krieges auf. Die Mitglieder kritisieren den nationalsozialistischen Imperialismus, die Nicht-Existenz liberaler Freiheiten und verurteilen den Massenmord an den Juden. Hans Scholl, der Bruder von Sophie Scholl, gründete die „Weiße“ Rose im Jahr 1942 gemeinsam mit seinem Freund Alexander Schmorell. Auch Sophie schließt sich ihnen kurze Zeit später an. Gemeinsam leisteten sie Widerstand gegen die NS-Diktatur und riefen zur Beendigung des Krieges auf.
Am 18. Februar 1943 gegen 11 Uhr legen die Geschwister Scholl das fünfte Flugblatt der Widerstandsgruppe vor den Hörsälen der Münchner Ludwig-Maximilian-Universität aus, einige Blätter lassen sie in den Lichthof fallen. Dabei werden sie beobachtet und sofort von der Gestapo verhaftet. Bis Ende Februar ist ihr gesamter Freundeskreis weitgehend inhaftiert.
„Ich würde alles wieder so machen!“, sagt die Widerstandskämpferin viele Jahre später, in dem Film „Sophie Scholl: Die letzten Tage“. Auch wenn umstritten ist, ob das tatsächlich ihr Wortlaut war, so ist ihre Entschlossenheit notfalls auch ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus in Deutschland zu verlieren, unbestritten.
Der Widerstand hatte (fast) keine Unterstützer:innen
Der Widerstand der Geschwister Scholl und ihres akademischen Umfeldes wird heute als Symbol universitären Widerstandes und der Jugend gegen das „Dritte Reich“ gedeutet. Tatsächlich stand die „Weiße Rose“ aber ziemlich alleine da. Am Tag ihrer Hinrichtung rief die Studentenführung der Universität München zu einer Kundgebung im Auditorium Maximum der Universität auf, um sich von den Aktionen der „Weißen Rose“ zu distanzieren und sie als „Vaterlandsverräter“ zu beschimpfen.
Viele Deutsche, die zu der Zeit des Nationalsozialismus gelebt haben, legen einen Mantel des Schweigens über das Geschehene. Gründe dafür könnten das schlechte Gewissen, Übelkeit, Scham und Trauer sein. Die wenigen, die berichten, sind maßgeblich für das Bild verantwortlich, dass die jungen Menschen von dieser Zeit haben. Viele von ihnen waren zu der Zeit Kinder und sind heute die letzten Zeitzeugen, die uns von der Zeit berichten können.
„Ich wollte noch einmal die Sonne sehen“
Kollektive Erinnerung hat seine Tücken. Insbesondere deutsche Familienerzählungen aus der NS-Zeit zeugen von Romantisierung der Geschichte. Die Folge ist, dass mehr als Zweidrittel der Deutschen meinen, ihre Vorfahren seien nicht unter den NS-Täter:innen gewesen.
Wer allerdings schon einmal das Privileg hatte in der Schule oder bei einer anderen Veranstaltung Holocaust-Überlebende wie Erna de Vries zu treffen, weiß wie lebendig Geschichtsvermittlung sein kann. Allerdings werden auch sie in einigen Jahren verstorben sein und ihre Geschichten konserviert werden.
Die Autor:innen dieses Textes sind 21 und 22 Jahre alt. Unsere Großeltern wurden in den 30er Jahren geboren – Sheilas Oma zwei Jahre vor Beginn des Zweiten Weltkrieges. Nach den ersten zwei Lebensjahren folgten sechs Jahre ihrer Kindheit, die sie mit Bombengeräuschen und ständiger Angst verbringen musste. An viel mehr kann sie sich nicht erinnern, sagt ihre Oma. Sie war noch ein Kind, alles weitere hätte ihre Mutter ihr erzählt: Über die Deportation der Jüd:innen und wie aus Freunden plötzlich Feinde wurden.
Sheilas Oma ist heute 83. Auch, wenn sie den Krieg in zeitlich vollem Maße miterlebt hat, scheint auch sie auf Erzählungen dieser Zeit angewiesen zu sein. Sonst hätte sie sich zwar an die furchtbaren Bombengeräusche und die ständige Angst erinnern können; ein antisemitisch-rassistisch motivierter Völkermord, der sich zeitgleich ereignete, wäre für sie jedoch weiter weg gewesen, als er es tatsächlich war.
Geschichtsbildung ohne Überlebende
Es sind also vor allem persönliche Erzählungen, die momentan Schicksale jener Zeit am Leben erhalten. Erzählungen jener, die dem Ausmaß der unvorstellbaren Verbrechen der Nationalsozialisten Worte gaben. Leider ist ein Großteil der Menschen bereits verstorben, insbesondere von denjenigen, die sichtbaren Widerstand geleistet haben oder Opfer der Nationalsozialisten waren.
Ihre Schicksale bleiben uns nur noch in Form von archivierten Geschichten. Stiftungen und Bildungsstätten bereiten sich auf das Ableben der letzten Zeug:innen vor und gewährleisten umfangreiche Informationen wie die USC Shoah Foundation von Steven Spielberg oder die Bildungsstätte Anne Frank. Doch es steht nicht nur in der Verantwortung der Institutionen, sondern auch der Folge-Generationen im Allgemeinen dafür zu sorgen, dass die Geschichten des Widerstands, der Menschenverachtung und der familiären Verantwortung überleben. Wir müssen über Menschen, wie Sophie Scholl reden und erzählen, warum sie gestorben sind.
Sophie Scholl hätte nicht sterben müssen
Sophie Scholl hat sich gegen das nationalsozialistische Deutschland gewehrt: Sie hat gedruckte Wörter verbreitet, in welchen sie das Ende des menschenverachtenden NS-Regimes und des Krieges fordert. Damit hat sie sich gegen einen Staat gewehrt, der für den Holocaust sowie den zweiten Weltkrieg verantwortlich ist und auf einer antisemitisch-rassistischen, völkisch-faschistischen Ideologie aufbaut.
Ein Staat besteht aus der Summe seiner Teile – unter anderem aus seinem Staatsvolk. Weil keine Solidarisierung mit den Widerständlern stattfand, sondern die Bürger:innen das Handeln der Staatsgewalt gebilligt oder weggeschaut haben, musste Sophie Scholl sterben. Sie hat sichtbaren Widerstand geleistet und wurde dafür im Alter von 21 Jahren in Deutschland hingerichtet.
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