von Aissata Drieling | Illustrationen: Leonie Ziem
Das ist ein Text über das Auto und die Arbeit meines Vaters als Messehändler für afrikanischen Schmuck. Ein Text darüber, welche Rolle es spielt, dass er schwarz ist, und wie es ist, als Kind immer auf die Herkunft seiner Eltern hingewiesen zu werden. Wobei – eigentlich schreibe ich nur über den Weg vom Gelände des Afrikafestivals zum Lager.
Ich sitze mit meinem Papa und seinem Helfer in Papas Wagen. Der Helfer bleibt namenlos. Aus unhöflichem Desinteresse habe ich seinen Namen, zwei Sekunden nachdem er sich vorgestellt hat, schon wieder vergessen. Der Wagen ist ein Transporter, groß, weiß, vollgeladen und mit drei Sitzen im Cockpit. Ein Entführerwagen, wie die Mutter einer Grundschulfreundin von mir ihn liebevoll nennt. Oder war es meine Oma?
Ich weiß es nicht mehr, aber die Bezeichnung hat sich in mein Hirn gebrannt. In mein Grundschulhirn. Ich war kurz beleidigt, bis ich den Wert von Papas neuem Image erkannte. Und so kam es, dass mein Grundschul-Ich es allen, die es wissen wollten, und auch allen, die nie danach gefragt hatten, was für ein Auto mein Vater fährt, erzählt hat: Mein Papa fährt einen Entführerwagen. Das, womit man in der Grundschule eben angeben kann und das, was die Eltern dann bei der Frage „Und was gibt’s neues aus der Schule?“ schockt.
Damals war das noch Entführerwagen 1.0. Die Fenster hatte mein Vater mit paketbandbrauner Klebefolie abgedunkelt, die sich schnell von den Rändern löste.
Shabby-Entführerwagen-Schick.
Er war misstrauisch gegenüber den fremden Blicken in den Wagen hinein. Er wollte das Chaos aus Stellwänden, losen Perlen, gewachsten Leinenstoffen und Holzmasken, das da im Inneren des Entführerwagens herrschte, verstecken. Chaos ist kein guter Eindruck. Dabei ist mein Papa gar nicht misstrauisch. Er ist zu charmant, um misstrauisch zu sein. Er ist eher bedacht auf Privatsphäre und will die rassistischen Bemerkungen der Menschen, die sich vor den Holzmasken und losen Perlen im Inneren des Entführerwagens fürchten, nicht hören.
Also Klebefolie gegen Misstrauen.
Jetzt aber sitze ich in Entführerwagen 2.0, der hat keine Fenster und damit auch keine abblätternde schwarze Klebefolie mehr. Eindeutig professioneller. Profi Entführerwagen.
Vorne aber hat er immer noch drei Sitze. Wie gemacht für eine kleine Familie oder eben für Papa, seinen Helfer und mich. Irgendwie sind wir auch Familie, zumindest scheinverwandt.
Diese Art der Verwandtschaft tritt dann ein, wenn der Helfer am Messestand auf dem Afrikafestival von einem potentiellen Kunden nach der Herkunft der wunderschönen blauen Glasperlen gefragt wird. Der Kunde ist eine Turbanfrau. Sie hält die Glasperlen in ihren beringten Fingern. Turbanmenschen, so nenne ich Menschen mit auffälligen Turbanen. Turbane fallen auf, wenn sie sehr gewollt sind und trotzdem nicht so ganz passen. Diese Frau wirkt damit mystisch und exotisch wie die Perle, die sie jetzt kaufen möchte. Turbanmenschen werden zu dem, was sie tragen.
Mein Papa mag Turbanmenschen, denn sie sind seine besten Kunden und sie interessieren sich für Papas Ware und manchmal sogar für die Herkunft ihrer neuen Accessoires. Das nennt sich dann Cultural Appreciation. Papas Helfer weiß auf die Herkunftsfrage keine Antwort und sagt in solchen Situationen, dass das sein Bruder wisse. Also wendet sich die Fragende ganz natürlich zu dem nächsten schwarzen Mann am Stand um. Meinem Papa. Mein Papa und sein neuer Bruder sehen sich kein bisschen ähnlich, aber die Fragende lässt sich nicht irritieren. Und so wird der Helfer zum Onkel und die Familie wächst. Ich finde das so mittellustig, aber ich verstehe, dass es einfacher ist. Denn Turbanmenschen neigen dazu auch unpassende Fragen zu stellen und hören nicht auf, bis sie eine besonders mysteriöse und exotische Antwort bekommen. Diese wälzen Messestand-Brüder dann aufeinander ab. Familie. Mein Papa, mein unbekannter Onkel und ich sitzen eingequetscht im Familencockpit des Entführerwagens und ich versuche so wenig fehl am Platz zu wirken wie möglich.
Ironischerweise trage ich einen Turban.
Ich unterhalte mich mit meinem Onkel, der mich gut versteht, mir aber nicht so gut antworten kann, oder den ich nicht so gut verstehe. Je nach Perspektive. Er hat einen sehr starken bayrischen Dialekt, aber mithilfe von Gestik und Mimik können wir gut kommunizieren. Auf dieser Sprache sprechen wir über Bamberg, da wohnt er nämlich. Unsere Sprache gefällt mir gut und wir lachen viel, laut, in unpassenden Abständen und reden aneinander vorbei und miteinander weiter, wie das so ist, wenn man eingequetscht mit fremden Onkeln redet. Papa und mein Onkel reden auf einer anderen Sprache. Ich verstehe nichts und nehme deswegen an, dass es Wolof ist. Ich könnte fragen über was sie reden, aber sie lachen und Witze nachzuerzählen ist ein Stimmungskiller. Also werde ich zur Dekoration zwischen herzlichem Lachen über Witze, die ich nicht verstehe.
Ich tue das, was ich immer tue, wenn ich draußen nichts Nahhaftes finde, ich schaue in meinem Kopf nach Nahrhaftem. Ich überlege wie alt mein Onkel wohl ist, woher er meinen Papa kennt, wie es ist für ihn in Bamberg zu wohnen, ob er eine Familie hat, und ich dann wohlmöglich noch Cousinen und wann wir endlich da sind. Entführerwagengedanken eben.