von Friederike Teller | Illustrationen: © Nora Boiko
Warum uns aus der Klimakrise nur eine neue ontologische Betrachtung retten kann
Was, wenn es nicht der Wind ist, der den Stein bewegt, sondern der Stein sich selbst durch den Sand trägt?
Was, wenn es nicht nur verschiedene Sozialisationen sind, die uns unterscheiden, sondern ganze Welten zwischen unseren Körpern liegen?
Was, wenn es um nichts anderes, als um die Welt an sich geht?
Doch von vorne: Wir haben diese Welt kaputt gespielt. Wir haben sie uns Untertan gemacht, sie ausgelaugt und sind nun am Rande des Seins angekommen. Unser Weltverständnis, dass die Natur etwas Getrenntes vom Selbst sei, bildet dabei den Kern des Problems.
Das nennt sich auch Ontologie und ist die Lehre des Seins, sowie die philosophische Disziplin, die sich mit den Grundstrukturen der Wirklichkeit und Typen von Entitäten beschäftigt. Das ist die trockene Definition, doch genau darum geht es nicht. Nicht um den Namen, der an unserem kleinen Existenzklingelschild steht, es geht um das, was wir sind. Es geht darum, die Grundlagen des Denkens anders zu denken. Eine Revolution der Revolution, sozusagen. Denn Phänomene können komplett verschieden interpretiert werden. Nichts ist so wie es scheint und zwei Interpretationen können nebeneinander richtig sein, kommen sie doch aus zwei verschiedenen Welten.
Was soll das Alles bedeuten?
Das ist zu abstrakt? Sicher ist es das, denn was bleibt schon, wenn wir unsere verwachsene Weltsichtbrille ablegen wollen. Aber reden wir über Berge. Berge sind für uns Natur, ursprüngliche, unbelebte, materielle Substanz. Für die Runakuna, eine ethnische Gruppe in Südamerika, sind es jedoch Wesen mit einer eigenen Handlungsmacht. Es sind fühlende Entitäten, die in Beziehung zu den Menschen leben. Die Kulturanthropologin Marisol de la Cadena nennt sie deshalb „earth beings“. Andere ziehen Begriffe, wie „other-than-human“ oder „more-than-human“ vor. Es gibt also Welten, in denen Personen keine Individuen sind, sondern sich über die Beziehungen zu ihrer Mitwelt definieren , Dividuum, könnte mensch sie nennen. Es gibt keine Grenze zwischen Natur und Kultur – kein unbelebt und belebt.
Doch diese Kategorien sind auch wahr in unserer westlichen naturalistischen Ontologie. Nur gibt es die diese Trennung zwischen Natur und Kultur nicht in der Welt des Animismus. In dieser Vorstellung ist alles belebt, die Umwelt wird als beseelt wahrgenommen. Die Trennung zwischen dem Ich und der Natur wird so überflüssig. In dieser Welt, können alle Wesen miteinander kommunizieren, da sie in ihrer Innenwelt ähnlich und Unterschiede nur physisch vorhanden sind. Der Berg kann ein Freund sein. Der Stein sich selbst bewegen. Das Selbst hat seine Grenze nicht an der Hautoberfläche.
Als aus dem Universum ein Pluriversum schlüpfte
Das klingt fast ein bisschen zu magisch um wahr zu sein. Doch unsere Definition von Magie, ergibt sich eben auch aus unserer Weltsicht. Sie wird definiert durch den Handlungsrahmen, den wir Dingen zu erkennen. Aber, wie kann es so viele Welten geben? Wir bewegen uns da irgendwie in dem Raum zwischen mehr als einer und weniger als zwei Welten. Eine Welt, in die viele Welten passen sozusagen. Zwischen diesen Konstrukten die Orientierung zu verlieren fällt leicht. Dieses Gedankengewirr macht Kopfschmerzen. Jeden Morgen stehen wir auf, in der Gewissheit der einen, unserer Welt – das ist keine bewusste Entscheidung. Das ist das unbelebte Bett, die Pflanze auf dem Fensterbrett und der Mensch im Spiegel. Das ergibt Sinn – es funktioniert – immer weiter.
Doch wir haben unser eines Weltbild verabsolutiert und das hat uns nun vor die größte Herausforderung überhaupt gestellt: vor uns selbst.
Willkommen, im Anthropozän
So sind wir in eine neue Erdzeit eingetreten. Es ist die Zeit, in der der Mensch, die Erde wie sonst nie zuvor, formt, ausbeutet und wie einen Ball aggressiv gegen eine Mauer, die so genannten planetaren Grenzen, schießt. Wir tun dies, weil die Erde für uns ein lebloser Ort ist, der getrennt von uns selbst existiert. Es ist der Ort, auf dem wir leben – außerhalb. Sonst würden wir uns die ganze Zeit selbst verstümmeln. Mit jedem Tropfen Mikroplastikduschgel, jedem Kilometer im Flugzeug und jedem Stück Butter würden wir uns tiefer ins eigene Fleisch schneiden. Es würde verdammt weh tun in dieser Welt zu leben, die jeden Tag weiter zerstört wird, von ihr – von uns – selbst.
Kapitalismus küsst Naturalismus
Unsere Wachstumslogik kalkuliert die Ausbeutung der Erde, als Untertan, als leere Materie in unser Handeln ein. Wir fühlen es nicht, wenn ein Baum gefällt, ein Fluss verschmutzt, ein Tier getötet wird, nur deshalb machen wir trotz besseren Wissens weiter. Immer weiter, denn wir empfinden kein Mitgefühl mit der Natur. Schließlich sind das alles nicht wir – aber irgendwie eben doch.
Eine Ontologie lässt sich nicht abstreifen, wie ein zu lang getragener Strohhut. Aber wir können und müssen anerkennen, dass es noch andere Hüte gibt, die gar keine Hüte sind, sondern vielleicht Wesen. Diese Metapher hinkt so sehr, wie es in einem Text, der über verschiedene Welten, aus einer Welt spricht, eben tut. Er ist ein Absurdum und Produkt seiner These. Denn die Welten, die beschrieben sind, gibt es nur als kleine Teile meiner Welt, ich nehme sie durch diese in dieser wahr.
Ein Fluss bekommt Rechte
Das anzuerkennen ist wichtig. Es wird Zeit in unserem homogenisierenden Universum Platz zu machen, für mehr als eine Welt. So wie die ecuadorianische Verfassung, welche der Natur oder „Pachamama“ Rechte zu erkennt. So wie der Whanganui-Fluss in Neuseeland, der eben auch eine Person ist und so die gleichen Rechte, wie andere Bürger*innen des Landes bekommt. So wie die Zapatistas in Mexiko, die eine Kosmopolitik fordern, in der auch ihre*unsere Welt respektiert wird. Denn irgendwie sind wir eben alle gerade hier. Wir brauchen neue Allianzen, gegen die Vorherrschaft des Naturalismus. Es könnte unsere einzige Rettung sein, gegen unsere Selbstzerstörung . Denn wie auch immer dieses Hier geschaffen ist – es wäre gut, wenn es noch eine Weile weitererschaffen werden könnte.
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