von Jale Pakhuylu |Bilder: © Nora Boiko
– Eine Ode an Frida Kahlo –
Oh Frida, du wundervolle Frau. Für mich bist du eine Archetype der Weiblichkeit – leidenschaftlich, zäh, kreativ, authentisch. Du bist die Pippi Langstrumpf der erwachsenen Frau. Du zeigst dich der Welt, ohne dich vor den Erwartungen anderer kleinzumachen. Du sprichst deine Wahrheit. Du schwimmst gegen den Strom und liebst das Groteske. Nach jeder Niederlage erwachst du wie ein Phoenix aus der Asche. Du kanalisierst deine Schwächen, deine Wunden in Kreativität und berührst 65 Jahre nach deinem Tod noch immer die Menschheit. Deine Kunst inspiriert meine Weiblichkeit im 21. Jahrhundert.
Immer mehr Frauen beginnen mutig zu sich selbst zu stehen – unverblümt und unangepasst. Wir dürfen laut sein, wir dürfen schrill sein, wir dürfen echt sein. Weg mit den Masken, her mit der Authentizität.
Diese Authentizität besteht heute – besonders in Social Media – darin, Tabuthemen, die frau betreffen, zu enttabuisieren und aufzuklären. Bilder von Frauen, die mit ihrem Menstruationsblut posieren, kursieren durch das Internet. Es werden öffentliche Debatten darüber geführt, wie das weibliche Geschlechtsorgan zu definieren und zu benennen ist. Anstatt sich geschniegelt und aalglatt zu zeigen, werden individuelle Schönheitsideale entwickelt und verfolgt. Frauen verschiedenster Herkünfte sind fleißig und kreativ dabei, die Grenzen des Patriarchats zu sprengen.
Diese „neue“ Welle der Weiblichkeit lässt unsere Herzen höherschlagen und hinterlässt gleichzeitig einen faden Beigeschmack. Was bedeutet frau sein? Etwa immer gegen den (männlichen) Strom zu schwimmen? Widerspricht jegliche Inszenierung des Körpers oder die Betonung weiblicher Züge einer feministischen Haltung? Manchmal fühlt es sich so an, als seien wir nur „echte“ Frauen, wenn wir uns nicht mehr rasieren, nicht mehr die Augenbrauen zupfen und uns nicht mehr mütterlich zeigen. Muss ich mich schuldig fühlen, sobald ich Lippenstift trage? Trete ich die Revolution der Frauen mit Füßen, sobald ich davon spreche, dass ich eines Tages eine Familie gründen möchte?
Schauen wir zurück auf Frida wird deutlich, dass sie nie nur eine Rebellin war. Magdalena Carmen Frida Kahlo y Calderon war eine aus Mexiko stammende Künstlerin. Nach einem schweren Busunfall mit 18 Jahren widmete sie sich vom Krankenbett aus ihrer Kunst. Frida ließ sich selbst nicht kategorisieren, sondern erschuf ihre Identität jenseits der Rollenklischees und äußerer Zuschreibungen. So sieht man sie auf ihren Gemälden mal in Männerkleidung auf einem Familienportrait, mal in traditioneller Tracht mit ausgerissenem Herzen oder ein anderes mal in freier Natur mit einem Äffchen auf der Schulter. Sie setze sich für Gleichberechtigung und soziale Gerechtigkeit ein.
Genau wie Frida keine Frau für Schubladen war, zeigt sich Feminismus derzeit ebenfalls in vielen Ausprägungen. Es geht nicht um Zuschreibungen, sondern um Emotionen. Es geht um Fürsorge, Nähe, Akzeptanz und Verletzlichkeit. Es geht um Verbundenheit.
Ich liebe die neue Welle des female empowerment. Frauen solidarisieren sich miteinander und heben Grenzen, die durch Konkurrenzdenken und Neid entstanden sind, durch die Kraft von Mitgefühl und Liebe auf. Der Satz „Sister, you are beautiful“ scheint mehr als eine Aussage zu sein, er beschreibt die Haltung einer ganzen Generation.
Wir haben also von Frida gelernt, dass Frau sein bedeutet, das zu sein, was frau sein möchte. That’s it.
Bleibt noch eine Frage offen: Wie definierst du Weiblichkeit? Wie definieren wir als Gesellschaft Weiblichkeit?
Weiblichkeit ist NICHT dasselbe wie Frau sein. Mann und Frau sind unterschiedliche, sozial konstruierte Geschlechter. Männlichkeit und Weiblichkeit hingegen sind meiner Meinung nach Aspekte, die jedem von uns innewohnen. Jeder Mann hat weibliche Züge wie Emotionalität, Fürsorge und Hingabevermögen. Es ist vielmehr gesellschaftlich anerzogen, dass weibliche Anteile Frauen und männliche wie Handlungsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen und Kampfgeist Männern zuzuordnen sind. Schauen wir uns das taoistische Symbol des Yin und Yang an, sehen wir, dass Yin als das Weibliche und Yang als das Männliche zwei Seiten einer Medaille sind, beide gleichwertig und komplementär zu einander. Beide zusammen bilden eine Einheit, keine Hierarchie.
Das Problem unserer heutigen Gesellschaft liegt primär darin, dass Mann und Frau gleichberechtigt sein sollen, aber Weiblichkeit als Schwäche und Männlichkeit als einziges Erfolgsprinzip gesehen wird, um von der Gesellschaft anerkannt zu werden.
Wieso schafft es unsere Gesellschaft nicht, diese Hierarchie aufzubrechen? Was würde Frida tun?
Noch immer bestimmen Stereotype über Weiblichkeit das soziale Handeln. Fridas Popularität resultiert beispielsweise heute weniger aus ihrer Kunst, als vielmehr ihrer Vermarktung als Stilikone. Sie wird als Marketinginstrument des Kapitalismus zweckentfremdet: Ihr Gesicht taucht auf Jutebeuteln, T-Shirts und Postern auf, aufpoliert und in die 90-60-90-Welt des 21. Jahrhunderts hineingepresst.
Ich möchte in diesem Rahmen nicht allzu tief in die Gesellschaftskritik eintauchen, sondern vielmehr aufzeigen, was uns entgeht, wenn wir krampfhaft zu trennen versuchen, was eigentlich untrennbar ist. Wenn wir uns zwingen, uns selbst und jeden anderen in überkommene Kategorien einzuordnen, so darf es uns nicht wundern, dass genau daraus Ungerechtigkeiten entstehen. Offenheit ist hier das Lösungswort.
Wie können wir uns dieser Offenheit nähern? Meine Antwort lautet eindeutig: Wir müssen anfangen, unsere toxischen Glaubenssätze über Geschlechterrollen, die uns von klein auf eingeflößt wurden, aufzudecken und kritisch zu hinterfragen. Wir müssen anfangen, hierarchische Gedanken zu enttarnen und sie in Solidarität und Gleichwertigkeit zu transformieren. Wir müssen anfangen, uns selbst so zu zeigen, wie wir sind, ohne uns an Rollenerwartungen anzupassen. Wir müssen anfangen, uns unsere eigene Weiblichkeit zu erlauben. Wir müssen authentisch im Ungang miteinander sein und Toleranz und Mitgefühl unabhängig vom Geschlecht walten lassen.
Ich bin YIN und YANG. Ich bin ein Kunstwerk. Und du bist es auch.
Ach Frida, wenn wir alle ein bisschen mehr von dir lernen könnten, in welch schöner, bunter Welt wir leben würden.
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