von Paul Stegemann
Titelbild: ©Irene Morani | Beitragsbild: ©Julie Matthées
Jede vierte Suchanfrage im Internet dreht sich um pornographisches Material. Zweidrittel des gesamten Internetverkehrs besteht aus Pornos und das durchschnittliche Alter der Erstkonsument*innen beträgt in Deutschland lediglich elf Jahre. Aber das, was sie dort vor ihrer ersten eigenen sexuellen Erfahrung zu sehen bekommen, hat mit echtem Sex meistens wenig zu tun.
Es ist Freitag, der 21.12. und die 28-jährige Studentin Ragna Spargel hat zum gemeinschaftlichen Porno-Gucken eingeladen. In einem Club in Münster präsentiert sie auf einer öffentlichen Veranstaltung gemeinsam mit ihrer Crew und den Darsteller*innen ihren ersten feministischen Porno mit dem Namen „Cum as you are“. Nach dem Abend wird das gezeigte Material nirgendwo veröffentlicht. Die Schlange vor der Tür ist bereits vor dem Einlass lang. Aufgeregt blicken sich alle Besucher*innen im Club um, erkennen Freund*innen, Bekannte und grinsen sich gegenseitig an. Niemand weiß so ganz genau, was einen hier heute erwartet. Der Raum ist voll. Sollen wir sitzen oder stehen? Gibt es Popcorn?
Die Produzentin und die Darsteller*innen sind in erotische, rote Outfits gehüllt, strahlen und stehlen sich nur einander die Aufmerksamkeit. Ragna studiert Soziale Arbeit und hat eine Weiterbildung zur Sexualpädagogin gemacht, während der sie sich mit Pornographie beschäftigt hat. Als Abschlussarbeit hat sie sich überlegt einen eigenen feministischen Porno zu drehen, um einen Gegenpol zu dem zu setzen, was im Netz in großer Zahl existiert.
Babysitterinnen, Stieftöchter und Sekretärinnen
Mainstreampornographie hat mit echter Sexualität meistens wenig zu tun. In den schlimmen Fällen, die einen großen Teil der Filme ausmachen, werden Frauen erniedrigt, beleidigt, erkauft oder sogar misshandelt. Eingebettet wird der Sex in flache Geschichten, wie die des helfenden Nachbars, der Mann, der mein Auto repariert oder die Casting-Couch. Alles Situationen in denen ein klarer Machtvorsprung bei den Männern liegt.
Jetzt nicht falsch verstehen: Natürlich darf Sex schmutzig sein! Soll er sogar. Oder auch nicht. Jede*r soll genau das machen dürfen, was ihr*ihm gefällt! Das Problem der meisten Pornoproduktionen ist, dass sie aus einer ausschließlich männlichen Perspektive gedreht werden. Männer stehen hinter der Kamera, führen Regie, schreiben die Drehbücher, mischen den Ton und schneiden den Film. Die weiblichen Darstellerinnen sind die Objekte, die dominiert werden. Es wird ein Frauenbild vermittelt, das wenig mit dem 21. Jahrhundert zu tun hat. Wer das nicht glauben möchte, dem*der sei die Netflix-Serie „Hot Girls Wanted“ nahe gelegt, in der nüchtern die Umstände der amerikanischen Pornoindustrie abgebildet werden.
Gegen diese Objektifizierung und für gleichberechtigte Pornos tritt deshalb das Genre der feministischen Pornographie ein. Pionierin auf diesem Feld ist die Schwedin Erika Hallqvist, die unter dem Namen Erika Lust pornographische Indie-Filme in Barcelona produziert. Erfolgreich ist sie insbesondere mit ihrem Projekt X-Confessions, in welchem sie Phantasien von weltweiten Zuschauerinnen verfilmt. Auch das etwas neuere Start-Up Arthouse Vienna der Opernsängerin Adrineh Simonian und Patrick Catuz (Autor von „Feminismus fickt“) setzen auf feministische Pornos. Sie möchten mit ihren Filmen einen „neuen, feministischen und ästhetischen Zugang zur Pornographie“ ermöglichen.
Feminismus verbessert Pornos
Erika Lust erklärt die Werte ihrer Filme anhand von vier Prinzipien. Erstens soll die weibliche Lust mit in den Fokus des Pornos integriert und eingefangen werden. Frauen sollen nicht nur dafür zuständig sein, dass der Mann zum Orgasmus kommt, sondern selbst Lust er- und ausleben dürfen. Zweitens sollen Erwachsenenfilme ihrer Meinung nach auch cineastische Werte beinhalten. Lust erhebt den Anspruch Indie-Filme zu produzieren, die abgesehen vom Sex auch eine anregende, erotische Geschichte erzählen. Außerdem möchte sie Menschen mit verschiedenen Körper-Typen, Hautfarben, sowie verschiedenen Alters vor der Kamera sehen. Und schließlich muss der Filmprozess aus einer ethischen Perspektive betrachtet werden.
Zurück in Münster steht Ragna vor der Aufführung ihres eigenen feministischen Pornos auf der Bühne und lächelt über beide Ohren. Das Publikum klatscht und klatscht. Es ist schon begeistert bevor der Film überhaupt gezeigt wurde. Viele Freund*innen und die Familie sind gekommen, um den Film zu sehen. „Ich habe das große Glück, sehr tolerante und offene Eltern zu haben. Sie haben mich von Anfang an bei diesem Projekt unterstützt“, wird sie später sagen. Vor dem Film, erzählt sie, habe sie die Darsteller*innen über Freundesfreunde auf sozialen Netzwerken und über ihre Website gesucht. Die endgültigen Darstellenden hat sie schließlich aufgrund der gemeinsamen Werte und Grundüberzeugungen ausgewählt. Sie wünscht viel Spaß beim Film und hofft, dass er erregt, denn dafür ist er da.
Pornos sollen erregen und inspirieren. Aber natürlich müssen sie aufgrund ihrer Omnipräsenz und Zugänglichkeit durch das Internet auch erziehen. Sie sind in Zeiten der Digitalisierung zwangsläufig ein großer Teil der Sexualerziehung insbesondere von Kindern und Jugendlichen und zwar eins, das von der Gesellschaft tabuisiert wird. Denn auch im Erwachsenenalter gibt es viele Männer und Frauen, die pornographische Filme konsumieren, um nach dem Höhepunkt peinlich berührt ihr Gerät zuzuklappen. Es ist ihnen peinlich, was sie soeben konsumiert haben.
Sex in aller Munde
Feminist*in sein und Pornos gucken muss dabei aber kein Widerspruch sein, meinen auch Leon und Kira von dem studentischen Porno-Start-Up feuer.zeug aus Freiburg. Sie sagen: „Als feministische*r Pornokonsument*in sollte ich mich jedoch fragen, welche Art von Pornographie mit meinen Werten vereinbar ist. Entspricht das Gezeigte meinem Verständnis gleichberechtigter Sexualität? Weiß ich, dass alle am Dreh Beteiligten die Szenen auch so wollten?“. Auf ihrer Internetseite plädieren sie außerdem dafür, „das Thema Porno zum Gegenstand gewöhnlicher Gespräche zu machen und so endlich aus der beschränkten Tabuzone zu holen!“ Ihre eigenen Filme sollen fair und anders sein, weil sie finden, „dass die Inhalte der Mainstream-Porno-Industrie ethisch meistens, ästhetisch oft und pädagogisch eigentlich immer völlig daneben sind.“
Die feministische, kommerzielle Pornographie ist nicht kostenlos zugänglich. Die Produzent*innen haben hohe Ansprüche daran, dass sich alle am Set wohlfühlen, partizipieren und die Darstellenden gerecht bezhalt werden. Sie sind sich der Verantwortung bewusst, dass Pornographie einen großen Einfluss auf das Sex-, wie auch das Alltagsleben unserer und kommender Generationen hat. Aus diesem Grund streben sie an, transparent und wertebasiert zu arbeiten.
Nach einer knappen halben Stunde ist der Film vorbei. Das Publikum klatscht respektvoll, bejubelt die Darsteller*innen, die nach einer weiteren halben Stunde Bonusmaterial auf die Bühne kommen, und stellen viele Fragen. Die Hauptdarstellerin streicht mit Nachdruck heraus, wie wichtig der Kampf für die Gleichberechtigung in unserer Zeit ist, aber dass es nichts damit zu tun hat, auf was er*sie im Schlafzimmer steht. Natürlich ist man immer noch Feminist*in, wenn man darauf steht, geschlagen zu werden. Das Wichtige ist, dass beide Sexualpartner*innen damit einverstanden sind.
Kritik an Ragnas Film gibt es dafür, dass der Grundsatz der Body-positivity nicht umgesetzt worden sei. Im Film schlafen zwei nach der Norm attraktive Menschen miteinander. Außerdem wurde nur heterosexueller Sex gezeigt, was wiederum den Großteil des Mainstreams ausmache. Ragna Spargel entgegnet darauf, dass sie sich bewusst sei, dass nicht alle Grundideen des feministischen Pornos umgesetzt wurden. Allerding funktioniert das natürlich nicht in einem einzigen Film, sie betont: „Body-positivity inkludiert alle Menschen. Es geht darum sich wohl im eigenen Körper zu fühlen. Wir konnten nur mit denjenigen arbeiten, die bereit waren dieses Projekt mitzumachen und unsere feministischen Werte teilen.“ 2019 möchte sich Ragna mit dem ganzen Team zusammensetzen und überlegen, ob man in Zukunft weitere, möglicherweise kommerzielle Filme produzieren werde.
Der Pilotfilm von Kira und Leon wird am 08. Januar in Freiburg Premiere feiern, bevor er auf einer bestehenden Streaming-Plattform verfügbar sein wird.
Die Nachfrage besteht.
Klasse Beitrag, verlink doch bitte Julies Instagramprofil oder sonstige Internetpräsenz von ihr.
Liebe Grüße vom Patriachalischem-spermatsunami
Hallo liebe*r Leser*in mit dem provokanten Namen,
guter Hinweis! In den nächsten Tagen wird Julie auch unter „Gesicht zeigen“ mit einem Fotografinnenkasten präsent sein.
Falls du es bis dahin nicht abwarten kannst, findest du ihr Instagramprofil hier: https://www.instagram.com/juliemitderkamera/
Liebe Redaktion,
ich danke euch! bleibt am Ball!
Liebe Grüße, ein alter Klassenkamerad aus vergangener Zeit <3
Pingback: Wem gehört Weihnachten? – Ein Wunschzettel – sai
Pingback: Kein Zimmer für mich allein – sai
Pingback: Meine Vulva lernt fliegen – sai
Pingback: Tschüss 2019 – sai
Pingback: Jeder Tag ist der 8.März – sai
Pingback: 9 – Kritischer Adventskalender
Pingback: Türchen 9: Pornographie – Kritischer Kalender
Pingback: 9. Türchen – Pornographie – Kritischer Kalender