von Rebecca Rapp | Collagen: © Nora Boiko
Das Bundesverfassungsreicht urteilt über Deutschlands Klimaschutz
Äääccchhhzzz. Ein rostiges Karussell dreht sich im Wind. Darüber ein Schild: „Braunkohleausstieg“.Wuushchh. Dahinter steigt eine Seilbahn steil den Berg herunter. Auf dem Sattel steht „Energiewende“. Quiiieeetsch. Wie ein Fähnchen im Wind hat die Wippe gerade die Seite gewechselt. Auf dem Erklärschild ist zu lesen „Wahlkampf-Kampagne“. Iiiiikksss. Nebendran steht eine Schaukel. Eine der Ketten ist beinahe abgerissen, der Sitz hängt schief. In Großbuchstaben auf dem Absperrband prangt „Nicht funktionstüchtig: Klimaziele Deutschland“
Es ist beinahe ironisch. Während unsere Politiker:innen wissen, dass Klimaschutz ganz und gar kein Kinderspiel ist, sind es die Jugendlichen, die unsere Führungskräfte von den Spielplätzen zerren, damit sie nicht mehr nur Klimaschutz spielen, sondern auch welchen machen. Als Hüterin der Verfassung, die Kindergärtnerin unserer Politik, pfeift das Bundesverfassungsgericht unsere Bundesregierung am 29. April 2021 zurück. Es erklärte das Klimaschutzgesetz als teilweise verfassungswidrig. Über insgesamt vier Klagen wurde geurteilt und die Antragstellenden wurden unterstützt von mehreren Umweltorganisationen, dazu gehörten die Deutsche Umwelthilfe, BUND, Greenpeace und Fridays for Future. Bewschwerdeführende waren neben Luisa Neubauer auch viele Minderjährige, unter anderem Jugendliche von der Nordseeinsel Pellworm (Podcastempfehlung dazu). Aus ganz Deutschland, aber auch aus Bangladesch und Nepal ergänzten junge Menschen somit eine bereits 2018 eingereichte Verfassungsbeschwerde über fehlende Gesetzesvorschriften zum Klimaschutz.
Bis 2050 müssen die deutschen Emissionen auf null gesenkt werden
Das umstrittene Klimaschutzgesetz ist Teil des 2019 verabschiedeten Klimapaketes. Es soll laut Bundesumweltministerium die Einhaltung der nationalen und europäischen Klimaschutzziele durch die Festlegung der Treibhausgasemissionen von Sektoren wie Verkehr oder Landwirtschaft sichern. Konkret beinhaltet es jährliche Reduktionsziele, um die deutschen Emissionen bis 2050 auf null zu senken. Zudem ist darin die Verpflichtung niedergeschrieben, dass im Jahr 2030 eine Reduktion von minus 55 Prozent erreicht sein sollte.
Was auf den ersten Blick nach ferner Zukunft klingt, ist bereits in fast achteinhalb Jahren. Das ist nicht einmal genug Zeit, um eine ganze Schullaufbahn zu durchlaufen. Hinzu kommt, dass der Weg nach 2030 nur spärlich durchdacht ist. Es mangelt an konkreten Maßnahmen zur Einhaltung der Ziele.
Rücken wir das Ganze also in Perspektive: Die Schulanfänger:innen diesen Sommers sind 2030 mit Glück in der zehnten Klasse. Der Spielplatz gehört dann der Vergangenheit an, nicht nur für die mittlerweile Jugendlichen, sondern auch für die Bundesregierung. Die steht dann nämlich vor der Utopie, in den übrigen 20 Jahren bis 2050 noch irgendwie die Emissionen zu verringern, um das Klima zu stabilisieren. Von Rettung kann da noch keine Rede sein. Laut bisherigem Klimaschutzgesetz wollte sich die Bundesregierung erst 2025 konkret Gedanken über die weitere Zukunft der Erreichung der Klimaziele machen. Und das, obwohl mittlerweile unklar ist, ob Deutschland überhaupt in der Lage ist, seine im Pariser Klimaabkommen festgesteckten Verpflichtungen noch zu nachzukommen. 2025 wären unsere Erstklässler:innen dann in der Vierten oder Fünften Klasse.
Das Bundesverfassungsgericht erklärt künftige Generationen als übermäßig belastet
Die bisherigen Erfahrungen mit der Reaktionsgeschwindigkeit unserer Regierungen schieben Wolken über den Schulhof unserer Schüler:innen. Denn die fünf Jahre bis 2030 werden wohl kaum ausreichen für die Implementierung umfassender Maßnahmen, damit 2050 unsere nun Mitte-Dreißigjährigen nicht die „radikale Reduktionslast“ und „umfassende Freiheitseinbußen“ zu spüren bekommen. Mit diesen Worten betiteln die Karlsruher Richter:innen die Konsequenzen, welche mit dem Grundgesetz besonders mit Artikel 20a – dem Schutz natürlicher Lebensgrundlagen auch in Verantwortung für künftige Generationen – nicht vereinbar sind. Konkret bedeutet das: überschwemmte Städte, untragbare Hitze und klimabedingte Fluchtströme, die alles bisher erlebte, in den Schatten stellen werden. Kleiner Scherz am Rande – denn Schatten durch Bäume wird es kaum mehr geben. Deshalb verpflichtet die Rechtsprechung die Bundesregierung dazu, bis Ende 2022 zu konkretisieren, wie Verkehr, Industrie, Land- und Energiewirtschaft bis 2050 die Klimaneutralität erreichen werden.
Nun bleibt es fraglich, ob die Politik weiter Verstecken oder im schlimmsten Fall Theater spielt, oder ob sich die verehrten Verantwortlichen auf den Hosenboden setzen und aufhören, durch Unbeteiligung im Wissenschaftsunterricht zu glänzen. Fakt ist, die Entscheidung in Karlsruhe eröffnet ganz neue Spielmöglichkeiten im Superwahljahr 2021.
Klimapolitik als mögliche Wahlkampfstrategie
SPD-Kanzlerkandidat und Vize-Kanzler Olaf Scholz opfert sich schon freiwillig als Tribut und bestätigt mit der Bundeskanzlerin bereits vereinbart zu haben, dass ein neues Klimaschutzgesetz noch vor der Bundestagswahl kommen würde: „Zusammen mit der Bundesumweltministerin werde ich zügig einen Vorschlag für mehr Klimaschutz vorlegen“, verspricht er.
Auch NRW-Ministerpräsident Armin Laschet spielt mit, und zwar Verstecken. Denn der:die Gewinner:in hat Chancen aufs Kanzler:innenamt. Laschet ist Profi im Verstecken-Spielen. Das Ende März im Landtag gelesene NRW-Klimaschutzgesetz wurde von der Deutschen Umwelthilfe als Rückschritt kritisiert. Auf Laschets Bereitschaft die Braunkohle noch bis 2038 zu verstromen, antwortet der Umweltverband BUND NRW, dass Laschet keine hinreichende Antwort auf die Klimakrise habe und eine kohlefreie Zukunft blockiere.
Bastian Neuwirth von Greenpeace betitelt die sogenannte „Reform“ als „klimapolitisch untragbar“. Zu diesem Zeitpunkt war in Karlsruhe bereits die Verfassungswidrigkeit festgestellt, bloß noch nicht verkündet worden. Nach Bekanntgabe twitterte Laschet dann, dass Reden nicht reiche, dass Deutschland nun mit Innovation, Forschung und neuen Technologien zum klimaneutralen, wettbewerbsfähigen Industrieland würde – Betonung liegt auf „neuen“.
Fakt ist, das Lieblingsspielzeug der Grünen, Klimaschutz, hat jetzt das Interesse aller Parteien geweckt und wird zum Allgemeingut. Allen, die kurz zusammenzuckten, pflichte ich bei: Klimaschutz ist kein Spielzeug. Wenn wir nicht aufpassen dann wird er zum Flammenwerfer.
Junge Menschen müssen ernster genommen werden
Wenn wir also genau hinschauen, dann sind es nicht die Kinder, die mit Feuer spielen, sondern die Erwachsenen. Erwachsene, die sich ganz dringend ein Beispiel nehmen sollten an allen, die auf die Straße gehen und protestieren, in Klimaräten und Bürger:inneninitiativen Forderungen formulieren und eine ziemlich gute Beziehung zu den Lehrer:innen, den Wissenschaftler:innen haben.
Denn dieses Jahr ist Bundestagswahl. Die Wahlbeteiligung der jungen Wähler:innen wird vermutlich auf ein Neues als zu niedrig kritisiert werden. Vielleicht muss aber nicht die Jugend politisiert werden, vielleicht muss sie nur gehört werden. Denn wie das Urteil aus Karlsruhe beweist: „Die junge Generation“ hat nicht nur etwas zu sagen, wir haben sogar Recht! Ein Großteil der Entscheidungsträger:innen und Institutionen unseres Landes hat scheinbar noch nicht verstanden, dass junge Menschen einen ernst zu nehmenden Beitrag zu politischen Veränderungen (übrigens nicht nur in klimapolitischen Fragen) leisten. Da hilft nun das Bundesverfassungsgericht auf die Spur. Wer das nicht hören will, der oder die erinnere sich an Grönemeyers „Kinder an die Macht“, in der Regel wurde das auch von Ü40 Menschen zumindest schon mal mitgesummt – #cringe.
Danke für den Artikel, Rebecca.
Ich vermute durchaus, dass die Wahlbeteiligung der Jungen eher in die Höhe schnellen wird.
Wir können gespannt sein
LG Thomas
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