Mal wieder ein letztes Mal | Eine prä-Pandemie Geschichte

Text: Franziska Clementi | Collagen: Nora Boiko

Eine letzte Nacht. Mal wieder. Man wird sich nicht oft sehen und wir wollen ehrlich miteinander sein. Damit komme ich klar. Daran wird mein Herz nicht zerbrechen. Ich bin jung, wahrscheinlich zu stolz, zu dumm und hoffnungsvoll. Ich will viel vom Leben und habe es nicht nötig, darauf zu warten, dass Jemand sich für mich entscheidet, wenn ich mich schon längst für das Leben entschieden habe. Wir sind nicht für immer und das wissen wir beide. Nur eine Nacht. Aufgebaut aus Momenten, welche sich in unserer Seele abzeichnen. So wie es nur junge Liebe kann, welche keine Liebe ist, sondern ein Mix aus Hormonen und Einsamkeit. Ich sehe zuerst auf dich und sehe mich dann in deinem Zimmer um. Den Alkohol, den wir zusammen gekippt haben und diesen unglaublich hässlichen Teppich mit Blumenmuster auf deinem Boden, welchen ich mir mit keinem Jägermeister der Welt schön trinken konnte.


Aber ich schätze heute Nacht wird das schon in Ordnung sein. Das ist sogar mehr als genug. Wir geben uns in dieser einen Nacht, was wir beide voneinander erhoffen. Wir wissen nicht wer wir sind oder was wir vom Leben wollen, aber wir können sagen, was wir im Moment brauchen. Ein kurzes für immer in einer Welt in der alles zu schnell vorbei sein kann. Geteilte Leidenschaft, die sich langsam an uns vergeht, bevor uns klar wird, dass wir sie benutzen können. So wie wir uns gegenseitig in diesem kleinen ranzigen Studentenzimmer benutzen. Und wir wissen, dass wir uns benutzen. Vielleicht weil es so einfach ist, sich eine Nacht lang zu belügen. Aber eher, weil man es nicht nötig hat, sich nur für eine Nacht nicht die Wahrheit zu sagen. Ehrlicher, direkter, zwischen einer ausrangierten Bong und einem Sofa mit unerklärlichen Flecken darauf. Ich will gar nicht wissen was für Flecken das sind. Allerdings kriegen wir so, was wir im normalen Leben nicht bekommen. Weil wir einfach fragen. Weil diese Nacht zu kurz sein wird und es sich nicht lohnt, um den heißen Brei herum zu reden. Es ist keine Liebe und das wird es nie sein. Es ist tiefer. Weil es der Moment ist, der so nie wieder kommen wird. Ich gebe dir meinen Körper. Du gibst mir deine Seele, deine Gedanken. Hältst mich und sagst, dass du mich liebst. Ich will es hören, zumindest heute Nacht. Aber Morgen werde ich deine Liebe nicht mehr brauchen. Morgen scheinen die Sterne nicht so auf uns herab wie jetzt. Wir werden nicht so beieinander sitzen. Zusammen und doch allein, während wir beide wissen, was der andere will. Aber man sagt nichts, weil man Angst hat, dass es einem nachgetragen wird. Bis man einsieht, dass es kein Leben neben diesem Moment gibt. Weil man jung ist und einen Fehler machen muss, um das Leben außerhalb dieses Momentes ertragen zu können. Morgen werde ich wissen, dass es ein Fehler ist, was ich jetzt tue. Aber Morgen ist nicht jetzt. Jetzt ist es real. Ich liebe dich. Ich liebe mich. Ich liebe meine Lippen, die sich auf deine pressen. Meine Hüften, die auf dich reagieren. Du liebst es, geliebt zu werden und ich liebe es, so sein zu können, wie ich wirklich bin. Dir mein wahres ich zu zeigen, ohne selbst wissen zu müssen, was „Ich“ eigentlich ist. Ich liebe es, nicht nachdenken zu müssen. Über Morgen, später oder sogar jetzt. Keine Verantwortung für mein Handeln tragen zu müssen. Zumindest jetzt noch nicht. Ich liebe es, begehrt zu werden, wie man nur begehrt werden kann, wenn man sich nicht wirklich kennt. Dadurch fühlt sich diese Nacht wie für immer an. Unser eigenes für immer. Ich liebe es, mit dir zu spielen. Ohne Angst haben zu müssen, dich zu verletzen, weil du Angst hast, mir es gleich zu tun. Wie nahe ich dir sein kann, ohne meine Mauern fallen lassen zu müssen. Ich liebe es, wie du aussiehst, wenn das Verlangen und die Dunkelheit dein Aussehen verändern. Deine Hände, dein Gesicht, deine Ausstrahlung. Ich liebe dich. Heute Nacht liebe ich dich, weil du mich heute Nacht liebst. Und Morgen kann ich mich dafür selbst verurteilen. Das ist in Ordnung. Weil irgendwo in mir diese Nacht sein wird. Dieser Moment. Und mich daran erinnert, dass es noch etwas anderes gibt als dieses Du. Dieses Ich.
Sondern ein Wir.
Eine Mischung aus zwei Menschen, die wir nie sein werden, wenn nicht heute Nacht.

© Nora Boiko

Es ist Morgen. Ich liege verkatert neben dir im Bett, während ich versuche den Tequila per Gedankenkraft aus meinen Venen zu ziehen. Ich ziehe mir dein Shirt aus, in dem ich geschlafen hatte und meins wieder an. Da sehe ich, dass du schon wach bist. Ich sehe dich an, weiß nicht, ob ich noch tschüss sagen soll und du fragst mich auf einmal, was wir jetzt eigentlich sind.

Einfach so.

Als wäre das etwas, was man einfach so fragen kann.
Und mein Herz setzt einen Moment aus, denn dieses Wort wirft Steine in ein Gewässer meines Herzens, das eigentlich still bleiben wollte.
Wir…
sind das Ergebnis einer Party, drei Tequilashots und einem Liter Bier des gestrigen Abends.
Wir, mein Lieber,
sind eine Anhäufung von Hormonen, der Angst allein zu sein und Fehlern, die ich betrunken mache. Fehler, die ich immer wieder machen werde. Das macht uns aus. Wir sind ein Fehler. Ein Fehler, der keine Konsequenzen tragen sollte und trotzdem stehst du da und fragst mich, was wir jetzt sind.

© Nora Boiko

Siehst mir dabei in die Augen, mit festem Blick, als hättest du diese Frage schon in dir selbst diskutiert. Was ja auch verständlich ist und mich würde deine Antwort vermutlich mehr interessieren als meine Eigene. Schließlich sind wir nicht das erste Mal hier.
„Also was sind wir jetzt eigentlich?“
Ich sehe auf den Boden.
„Wir sind wieder mal passiert.“
Mehr kann ich dazu nicht sagen.
„Passieren wir mal wieder?“
In deinen Augen flackert ein Hoffnungsschimmer auf.
Wir werden sicher noch mal passieren, wenn ich so weiter mache wie jetzt.
Wir zeigen, dass ich keine Kontrolle über mich habe und nie wirklich meine erste Priorität sein werde, solange ich mich vom einen Wir ins nächste stürze, in der Hoffnung mal mehr zu sein als nur ein ich….
Ich war mal ein Wir. Wir waren mal ein Wir!

Jetzt bin ich nur noch ein Ich. Und es ist mir nicht genug, ein Ich zu sein. Aber zu viel, ein wir zu sein. Und weil sich das wir immer nach einem falschen wir anfühlt und nicht nach dem Wir, das ich mal war, nehme ich ein Du und verbinde es mit meinem momentanen Ich.
So hätte es auch für immer weiter gehen können. Es hätte unser für immer sein können, wäre da nicht der Wunsch gewesen, sich gegenseitig mit Respekt zu behandeln und das Lügen sein zu lassen.
Wir sind kein Wir.
Wir sind nur Du und Ich.
Und ich weiß nicht, ob wir jemals ein richtiges Wir sein können, solange ich nicht mal ein richtiges Ich sein kann.
Also sage ich nichts und gehe. Wir wissen beide, wenn ich jetzt aus dieser Tür gehe, werden wir nicht mal mehr ein Du und Ich sein.
Dann bin ich nur noch ich. Du bist nur noch du. Wie davor auch schon. Und es wird alles so wie immer sein, nur komplett anders.

Eine Welt voller Wir.

Nur ohne ein Uns.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Gefällt dir das sai-magazin?