In weißen Räumen über Rassismus reden

In weißen Räumen über Rassismus reden

Text: Jasper Büll Illustrationen: Keanu Voigt

Disclaimer: Rassistische Inhalte werden in dem Artikel reproduziert.

Der Lockdown dehnte sich zuletzt in die Ewigkeit, kaum etwas unterbricht das COVID-Nachrichteneinerlei. So überlagerten COVID-Nachrichten im Februar 2021 beinahe die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Attentat in Hanau und allem, was ihm den Boden bereitete. Rassismus ist und bleibt nur Trendthema in der weißen deutschen Öffentlichkeit. Bestes Beispiel dafür ist die unsägliche Ausgabe der WDR-Talkshow „Die Letzte Instanz“ vom 21. Januar dieses Jahres. Die Aufregung unter weißen Menschen war groß, aber sie griff meist zu kurz.

„Die Letzte Instanz“ ist ein Paradebeispiel für den alltäglichen, strukturellen Rassismus, der die deutsche Unterhaltungsbranche – und nicht nur die – durchzieht. Im ganzen Produktionsprozess schien kein Bewusstsein oder Expertise für die Verhinderung rassistischer Reproduktion vorhanden gewesen zu sein. Die Themen „rassistische Sprache“ und „Stereotypen“ wurden nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit von Expert*innen behandelt, sondern lieber mit „klarer Kante“ von nicht betroffenen und unqualifizierten weißen Promis debattiert. Aber nicht nur die unerträglichen Einblicke in die rassistische Gedankenwelt dieser Promis sind symptomatisch, auch die empörte Reaktion weißer Menschen in Deutschland ist entlarvend. Eine Reaktion à la, „dass das in Deutschland 2021 noch möglich ist…unglaublich“. 

Wer so denkt ist schon Teil des Problems, aber hält sich, und das macht es noch schlimmer, für den Teil der Lösung. Denn nein, es ist nicht unglaublich, es ist nicht überraschend. Jede*r, die*der schon einmal mit weißen Verwandten über Rassismus gesprochen hat, kennt die „Argumente“ der frivolen Viererrunde bei der „Letzten Instanz“. Das sind keine Ausnahmen oder Ausrutscher. Weiße Menschen in Deutschland erschrecken beim Anschauen der „Letzten Instanz“ vor ihrem Spiegelbild. Das ist nachvollziehbar, weil sie sich ansonsten konsequent weigern, sich mit ihren verinnerlichten Rassismen auseinanderzusetzen. Dabei hätte Mensch meinen können, rassistisch motivierte Anschläge in Hanau und Halle, sowie die Black Lives Matter Bewegung hätten auch bei weißen Menschen ein neues Bewusstsein für strukturellen Rassismus und die damit zusammenhängende Gewalt geschaffen. 

Aber auch weiterhin bleiben rassistische Äußerungen von weißen Menschen in der Unterhaltungsbranche ohne gravierende Folgen. Dieter Nuhr hat seinen Sendeplatz in der ARD trotz Kritik behalten. Der Shitstorm, den Thomas Gottschalk für seinen „Akt tiefster Verehrung für Jimmy Hendrix“ bekommen hat, zog keine tiefergreifenden Lerneffekte nach sich, sondern qualifizierte ihn scheinbar sogar als Gesprächspartner zum Thema Rassismus. 

Der WDR bedauert im Nachhinein die Zusammenstellung der Runde. Aber das Problem ist größer als eine verfehlte Sendungsplanung beim WDR. Eine WDR-Umfrage, die begleitend zur Sendung durchgeführt wurde, zeigt, dass die Mehrzahl der Zuschauenden den Positionen der Talkshowteilnehmer*innen in Bezug auf die diskutierten Fragen zustimmen

Rassismus hat in der Lebensrealität vieler weißer Menschen schlicht keinen Platz. Die Anti-Rassismus Trainerin Tupoka Ogette hat in ihrem lesens- und hörenswerten Buch „Exit Racism“ einen Begriff für diese vermeintlich rassismusfreie Welt gefunden: Happyland. Happyland ist der Ort, an dem die Mehrzahl der weißen Menschen in Deutschland lebt. Die Bewohner*innen sind blind für Hautfarbe. Sie meinen es gut und bezeichnen sich als tolerant. Doch die Menschen, die in Happyland leben, sind alle weiß. Nur weiße Menschen, die nicht von Rassismus betroffen sind, können ernsthaft auf die Idee kommen, Rassismus sei im Wesentlichen ein Problem der Vergangenheit und einiger bedauernswerter Ausnahmen. Nur Menschen wie Thomas Gottschalk oder Janine Kunze können im Happyland leben und nicht glauben, dass ihre privilegierte Position im Happyland schon etwas mit Rassismus zu tun hat.

Die Bewohner*innen von Happyland sind überzeugte Nicht-Rassist*innen. Ihnen Rassismus vorzuwerfen wäre absurd, denn es würde sie auf eine Ebene mit schlechten, rechtsradikalen Menschen stellen; NPDler*innen, in manchen Kreisen auch AfDler*innen. Rassismus, erscheint so als der bedauernswerte Fehltritt einzelner.

Wenn sich weiße Menschen über den Rassismus anderer Weißer echauffieren, externalisieren sie immer auch ein Stück weit ihre eigenen Rassismen. Wenn sie den Rassismus der anderen als besonders schlimm problematisieren, sprechen sie, spreche ich, weiter aus einer Position scheinbarer Objektivität. Doch weiße anti-rassistische Kritik darf nicht bei der Empörung über eine Sendung halt machen. 

Denn Rassismus ist mehr als die individuelle Tat. Er ist strukturell, ist systemisch, ist institutionell. Rassismus ist, wie Tupoka Ogette immer wieder schreibt, nicht die Ausnahme, sondern die Norm. Wir sind  alle rassistisch sozialisiert. 

„Und was ist nun zu tun?“, mögen sich geneigte weiße Leser*innen fragen. Wichtig ist zunächst anzuerkennen, dass weiße Menschen ihren Rassismus nicht von heute auf morgen überwinden.  Nicht-rassistisch sein zu wollen reicht nicht. Die eigenen Rassismen zu verlernen ist Arbeit und ein mühsamer, unangenehmer Prozess.

Tupoka Ogette unterscheidet fünf Phasen, die weiße Menschen typischerweise durchlaufen, wenn sie sich mit ihren Rassismen auseinandersetzen. Die erste Phase ist das bereits beschriebene Happyland: Rassismus existiert hier nicht. Darauf folgt die Phase der Abwehr gegen die Konfrontation mit Rassismusvorwürfen. Dann folgt die Scham. Die Scham für den Rassismus und für das eigene Weiß-sein. Daran anschließend: Schuld. Hier führt das eigene Verhalten und die Blindheit für Rassismus zu Schuldgefühlen, bevor in der fünften Phase die Anerkennung folgt. Hier erlangen weiße Menschen endlich ein strukturelles Verständnis von Rassismus. Das heißt, sie verstehen Rassismus nicht nur als die schlechte Tat von einzelnen, sondern als geschichtlich gewachsenes System, das in allen Teilen der Gesellschaft gewaltvoll wirkt. Sie lernen, die eigene Sozialisierung zu hinterfragen. Sie wollen Verantwortung übernehmen, um gegen Rassismus vorzugehen – aber wie? 

Ein wichtiges Stichwort ist dabei: „Ally“. Das ist nicht nur als „Verbündete*r“ zu verstehen, sondern auch als Verb, als Praxis. Die Reflektion, die Anerkennung und der Einsatz der eigenen Privilegien sind dabei absolut zentral. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, die eigenen Ressourcen zu nutzen, etwa durch materielle und ideelle Unterstützung von BIPoC Menschen und Initiativen. Es ist auch wichtig zu verändern, wie andere weiße Menschen über Rassismus denken und reden. Anti-Rassismus muss so zu einer Lebenspriorität werden. Ohne dabei Schwarzen Menschen oder People of Color den Raum zum Sprechen und zur Selbstrepräsentation zu nehmen. 

Die Journalistin und Autorin Alice Hasters hat ausgerechnet im WDR als Reaktion auf „Die Letzte Instanz“ noch einmal darauf hingewiesen, dass es nicht an weißen Menschen liegt, zu entscheiden, was Rassismus ist und was nicht. Wenn es weißen Menschen wirklich darum geht, Rassismus zu bekämpfen (und wer würde das nicht unterschreiben?) dann bleibt ihnen nichts anderes, als ihr Weißsein nicht als natürlich, nicht als Norm, sondern als politisch und gewaltvoll zu betrachten und beständig zu reflektieren. Weißsein ist ein Privileg, das mit der Deprivilegierung von BIPoC einhergeht. Weiße Menschen haben deshalb eine Pflicht, ihre Privilegien dafür zu nutzen, sich mit Rassismus und ihrem eigenen Weißsein kontinuierlich auseinanderzusetzen und ihre durch diese Privilegien erworbenen Mittel für anti-rassistische Arbeit zur Verfügung zu stellen. 

Die Ressourcen dafür sind da und zugänglich für alle. Machen wir als weiße Menschen also endlich unsere Hausaufgaben. Informieren wir uns, denn Rassismus darf auch für weiße Menschen kein Trendthema sein.


Einige Tipps zum Einstieg in die eigene Recherche:

  1. Alice Hasters Buch findest Du hier: https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/was-weisse-menschen-nicht-ueber-rassismus-hoeren-wollen-aber-wissen-sollten/978-3-446-26425-0/
  2. Zum Powersharing: https://antifra.blog.rosalux.de/powersharing-was-machen-mit-macht/
  3. Allyship: https://wirmuesstenreden.blogspot.com/p/how-to-be-ally-guide-bipoc-white-allies.html
  4. Allyship: https://www.youtube.com/watch?v=_dg86g-QlM0
  5. Allyship: https://www.uibk.ac.at/ma-gender/downloads/allyship-in-action_online.pdf
  6. Exit Racism auf Spotify: https://open.spotify.com/album/6LLl2tvQel0dJiTLQpTAUE
  7. Bundeszentrale für politische Bildung zu (Anti-)Rassismus : https://www.bpb.de/apuz/antirassismus-2020/
  8. „DIE BESTE INSTANZ“: https://www.youtube.com/watch?v=r45_9wvbDoA

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