Homecoming. Weihnachten und Hochzeiten.

Text und Bilder von Julie Matthées

Vor über fünf Jahren bin ich damals nach Oklahoma geflogen. Geblieben bin ich zehn Monate. Diese zehn Monate waren eine Mischung aus einer herzlichen Gastfamilie, fettigem Essen, großen Weiten und Mitschüler*innen, die am Wochenende Truthähne jagen gefahren sind. Irgendwie ganz anders, aber dann wieder doch nicht wirklich.

Ich hatte eine schöne Zeit in diesem merkwürdigem Bundesstaat, der eigentlich so gar nicht zu mir passen wollte. Und als ich abreiste war mir klar, dass ich so schnell nicht zurückkehren würde. Nun, fünf Jahre später habe ich immer noch Kontakt zu einigen Menschen, die mir damals unerwartet ans Herz gewachsen sind und so sitze ich fünf Jahre später wieder in einem Flugzeug – und wieder geht es nach Oklahoma. Grund dafür war eine Hochzeitseinladung einer guten Freundin aus Oklahoma. Ich betrat also wieder Bible Belt Boden und begab mich in ein Gebiet aus konservativen Baptisten, die in der Mehrheit Donald Trump wählten.

– Piedmont, Oklahoma. – Oklahoma ist ein bisschen wie die kleine Schwester von Texas, und Piedmont ist ein Zentrum des konservativen christlichen Republikaner-Daseins.
Wieder zurück zu sein bringt einerseits viele Erinnerungen auf, aber es lässt mich auch so viel mehr an meinem Leben in Deutschland wertschätzen. Zum Beispiel Eltern zu haben, die mich einfach ohne weiteres auch mit Jungs haben spielen lassen und „das andere Geschlecht“ (zumindest nach heteronormativer Logik) nicht als etwas verbotenes darstellen. Oder der Fakt, das ich in einer Gemeinschaft aufwachsen konnte, in der jegliche Form der Liebe akzeptiert wurde und ein lesbisches Pärchen im Fernsehen nicht als etwas ekliges abgestempelt wurde.

Natürlich sind das Beispiele, die genau so in Deutschland hätten passieren können: In einer anderen Region, in einer anderen Familie. Aber in Oklahoma ist die Blase dieser Art von weißen Privilegierten so dominant und verbunden mit so viel Patriotismus und Angst vor allem Fremden, dass solche Situationen und Gepflogenheiten einfach die Normalität abbilden.

Die meisten Menschen in Piedmont, in ihren süßen kleinen Nachbarschaften, haben so viel Angst. Angst vor zu früher Ausprägung von Sexualität, vor Irren mit Waffen (deswegen sollte man selbst auch immer eine Waffe mit sich herum tragen). Angst vor (dem) Fremden. Wenn ein unbekanntes Auto durch die Nachbarschaft auf „verdächtige Weise“ herumfährt, werden erst mal alle Nachbar*innen alarmiert. Es könnte ja jemand Böses sein. Und wehe man sitzt zu lange im Auto auf einem Parkplatz, da könnte ja irgendwer in dein Auto einbrechen und dich kidnappen oder vergewaltigen. Es gibt zig Szenarien, über die ich mir, bevor ich in den USA war, nie die geringsten Sorgen gemacht habe. Aber gegen die Angst vor irren Menschen mit Waffen, helfen keine eigenen Waffen, sondern Waffenverbote.

Nach einer gewissen Zeit habe ich allerdings auch gemerkt, wie diese Angst auf mich überschwappte und ich selbst angefangen habe, meine Umwelt kritischer zu betrachten. Dieses Mal ging das sogar erstaunlich schnell. Eines Abends, ich war allein zu Hause, fiel der Strom aus und reflexhaft dachte ich daran, dass irgendwelche bösen Menschen den Stromausfall veranlasst hätten und gleich einbrechen würden. Das war natürlich nicht der Fall. Es war einfach nur ein stinknormaler Stromausfall. Trotzdem kann ich mir dadurch ansatzweise vorstellen, wie tief diese Angst wird, wenn dir deine Umwelt die ganze Zeit vermittelt, dass „da draußen“ ganz viel Böses wartet.

Mit Erschrecken musste ich feststellen, wie wenig einander zugehört wurde. Besonders in der Familie, aber auch in deren aller zwischenmenschlichen Beziehungen und teilweisen auch in meinen zwischenmenschlichen Beziehungen dort. Niemand hört einander richtig zu und das ist wirklich erschreckend. Allerdings auch kein Wunder, wenn die meisten Konversationen größtenteils nur aus belanglosen Höflichkeiten oder Tratschgeschichten bestehen.

Der eigentliche Grund meiner Reise war nun diese Hochzeit. Ich war zwar keine Brautjungfer, trotzdem aber zu allem eingeladen, was die Brautjungfern und die Braut so unternommen haben. Das heißt Maniküre, Junggesellinnenabschied, das ganze Programm.

Was man so erwartet, wenn man auf eine Hochzeit in den USA eingeladen ist: Eine fette, pompöse Hochzeitsparty mit kitschiger Musik und einem wilden Jungesellinnenabschied.

Nun ja. Am Abend vor der Hochzeit trafen sich die Brautjungfern, Braut und ich bei einer der Brautjungfern und zogen uns kuschelige Pyjamas an und aßen Pizza. Irgendwann wurden dann Klassenfahrtsspiele wie Hot Seat oder Wahrheit/Pflicht rausgeholt, und später am Abend, zwischen Fotoshootings in Schlafklamotten, eine Flasche Wein geöffnet. Die Hochzeit ging am nächsten Morgen um elf Uhr los – in einer Kirche, die eher aussah wie ein großer Mehrzweckraum einer modernen Schule. Anwesend: circa  40 Leute, die sich alle nach der Trauung in einem Raum zusammen fanden, etwas zu Mittag aßen und dann alle ihrer Wege gingen.

Nichts mit großer Party, offener Bar oder Familiendramen. Die Hochzeit war so schnell vorbei wie ein Vormittag in der Kirche oder ein Spielfilm mit Überlänge. Und auch wenn das alles so gar nicht das war, was ich, und all die Leute, denen ich später davon erzählte, sich vorgestellt hatten, so war es eigentlich richtig schön. Es ging dem Brautpaar um keine fette Party, sondern einfach nur um ihre Liebe zueinander und, um den Traditionen nicht ganz zu entsagen, wurden alle Lieben danach zu einem kleinen Zusammentreffen eingeladen.

Und genau so sehr, wie die Hochzeit gegen (fast) alle Klischees einer amerikanischen Hochzeit ging, so hat sich der Weihnachtswahnsinn nicht gegen Klischees gewehrt. Mitte November kauften wir nämlich schon den (Plastik-)Weihnachtsbaum und schmückten ihn bis kein Ast mehr ohne Kugel war. Im Radio liefen Weihnachtslieder hoch und runter und mein Favorit war der sogannante Hallmark-Channel bei dem tagtäglich von morgens bis abends Weihnachtsfilme liefen  – alle mit der gleichen Handlung. Frau ist entweder single oder hat einen etwas „unbefriedigenden“ Freund und verliebt sich durch einen Zufall in einen ganz tollen Traummann, der in der Vorweihnachtszeit in ihrem Leben auftaucht. Nach ca. drei vierteln des Films ist großes Drama und am Ende ist alles ganz romantisch wieder gut. Manchmal schneit es auch noch, damit das Weihnachtsfeeling unterstützt wird.

Piedmont, Oklahoma fühlt sich manchmal wie eine Parallelwelt an, in der die Blase zur „realen Außenwelt“ ziemlich dick ist. Hauptsache Traditionen und Kitsch werden eingehalten, über Politik muss nicht so viel geredet werden und wehe jemand zweifelt die „ur-“christlichen Werte an, die allen ja so unfassbar wichtig sind. Und obwohl ich mich dauerhaft über das Gehabe und Getue dort aufregen könnte und mich durch Homophobie und Fremdenhass persönlich angegriffen fühlen könnte, so habe ich merkwürdiger Weise dort ein Stückchen Heimat gefunden.

Vielleicht ist es auch viel mehr der Fall, dass ich zwischen all dem Wahnsinn des Bible Belts trotzdem Menschen gefunden habe, die ihren Weg zwischen Heimat, Familie und eignen Wünschen und Vorstellungen suchen. Und das diese Menschen mir gezeigt haben, dass man das verrückte, homophobe Trumpland auch irgendwie wertschätzen kann, ohne sich damit identifizieren zu wollen.

Ich weiß nicht wann ich wieder dahin fahren werde, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass egal ob in fünf, zehn, oder zwanzig Jahren sich nicht besonders viel verändert haben wird. So viele Impulse von außen gibt es in dieser Blase nicht.

  1. Anonymous

    Eventuell ein wenig mehr auf Rechtschreibung achten? Als Student*innen werden wir alle auch ernster genommen, wenn wir Basis-Rechtschreibregeln aus der Grundschule anwenden.

    • Julie Matthees

      Das tut uns leid, da haben wir wohl einiges im Lektoratsprozess übersehen und vielleicht sollten wir mal ein ernstes Wörtchen mit unseren Grundschullehrer*innen reden, uns die Basis-Rechtschreibregeln nicht stark genug eingetrichtert zu haben. 😉
      Trotzdem möchte ich, abgesehen von den Rechtschreibfehlern in diesem Artikel darauf hinweisen, dass wir im Sai-Magazin nicht nur Student*innen sind, sondern wir verschiedenste junge Menschen sind, die es nicht als Pflicht sehen studieren zu müssen, sondern man sich auch auf viele andere Arten weiterbilden kann.

      LG 🙂

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