Text und Fotografien von Justin Adam | Beitragsbild: ©Nora Boiko
Zugegeben, dieser Titel für einen Artikel zum Thema gendergerechte Sprache fällt schon mit der Tür ins Haus. Dabei soll an dieser Stelle gar nicht polarisiert, sondern sich einer Grundsatzfrage genährt werden. Denn auch, wenn meine eigentliche Aufgabe verkürzt lautete: „Schreib mal einen Artikel contra geschlechtergerechte Sprache!“, möchte ich hier weniger gegen etwas schreiben, sondern für die Beschäftigung mit einem Problem, das uns alle betrifft. Ich bin der Überzeugung, dass wir andere Lösungen finden müssen, als die, die wir bisher gefunden haben.
Was war nochmal unser Ziel?
Als Ziel gendergerechter Sprache wird oft die Beseitigung von Ungleichheiten zwischen bestimmten Gruppen in unserer Gesellschaft benannt. Durch das „Sichtbarmachen“ sonst weniger beachteter Personengruppen in unserer Sprache sollen diese Ungleichheiten beseitigt werden. Diese mittels einer modifizierten Sprache zu beseitigen, wird – vereinfacht gesagt – damit begründet, dass die Sprache, der wir jeden Tag begegnen, auch unsere Vorstellung der Welt um uns herum prägt. Spreche man also nur von Schülern, Ärzten oder Bademeistern, so bliebe der nachhaltige Eindruck, dass die angesprochenen Personen ausschließlich männlichen Geschlechts seien.
Unser Ziel lautet demnach nachhaltig Ungleichheiten, die bestimmte Personen auf Grund ihres Geschlechts erfahren, aufzuheben und zukünftig zu verhindern. Dass wir, als jeder Einzelne und gemeinsam als Gesellschaft, für dieses Ziel einstehen ergibt sich aus unserer Überzeugung, dass alle Menschen gleich sind. Oder um direkt unser Grundgesetz zu zitieren: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die Durchsetzung der Gleichberechtigung und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Viel konkreter und gleichzeitig so verbindlich kann man das eigentlich nicht fordern.
Ein Blick raus in den Alltag
Jetzt könnte man natürlich entgegnen, dass in unserem Land bereits viel für Geschlechtergerechtigkeit getan wird und wurde, dass in diesem Land doch jede Person jeden Beruf, jede Position einnehmen könne, entspräche sie nur den geschlechtsunabhängigen Kriterien.
Das stimmt! Anderswo ist es schlimmer – davon wird es hier aber nicht besser. Und ja, unsere Gesetze sind sehr fortschrittlich in Bezug auf Gleichstellung. Nur, die Realität ist das (noch) nicht.
In einer Umgebung, in der wir, Männer wie Frauen, die gleiche Schulbildung erhalten und im Schnitt die gleiche Befähigung mitbringen, ist es erstaunlich wie stark das Geschlecht, die Berufswahl lenkt. Und ein Blick in die Statistik offenbart: Je „typischer männlich“ und je höher die Position, umso weniger Frauen sind dort vertreten. Genauso verrät mir die Statistik, dass meine Kollegin neben mir, obwohl sie, in dem was wir tun, mindestens genau so gut ist wie ich, im Durchschnitt trotzdem weniger Lohn erhält.
Heute studieren fast genauso viele Männer wie Frauen und die Absolventen verteilen sich genauso halbe-halbe auf beide Geschlechter. Unter unseren Professoren ist aber trotzdem nur jeder vierte eine Frau – in der Gruppe der am besten bezahlten Professoren ist gar nur jeder zehnte weiblich.
Und im Politischen, dort, wo wir den Weg unserer Gesellschaft ausloten, ist es nicht anders. Zwar gibt es markante Unterschiede im Parteienspektrum (von links nach rechts nimmt der Frauenanteil um 50 Prozent ab) insgesamt gibt es aber zu wenig Frauen, die die Zukunft unseres Landes auf allen Ebenen mitbestimmen. Und das obwohl wir eine Kanzlerin, die CDU eine Vorsitzende und die EU-Kommission eine Präsidentin haben.
Ein ziemliches großes Ziel
Bei den zuvor beschriebenen Verhältnisse erscheint es umso erstaunlicher, dass sich diese allein durch eine veränderte Sprache lösen lassen sollen. Bereits seit 40 Jahren wird über die richtige Formulierung geschlechtergerechter Sprache diskutiert – Sternchen, Binnen-I oder doch ein X? Im Gegensatz zur Realität, die ja nicht nur Ungleichheiten bereithält, sondern sich durch Streik, Protest und Verhandlung langsam, aber sicher fortentwickelt, erscheinen sprachliche Veränderungen geradezu marginal. So gibt es das Wahlrecht für Frauen, weil die womens-right-marches dies lautstark und nachhaltig einforderten – korrekte Sprache war dabei eher nicht ausschlaggebend.
Und noch etwas lässt an der wirksamen Bekämpfung von Geschlechterungleichheit durch Sprachveränderung zweifeln: Die Richtung der Argumentation und ihre Wirkung. Denn ist es wirklich die Sprache, die unsere Realität formt? Es sind eher Erwartungen und Denkmuster, geformt durch Erziehung und Kultur, Verhalten und Tradition, die prägen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen. Sprache hingegen ist dann der Ausdruck eben dieser Wahrnehmung, aber nicht ihre Ursache.
Dass sprachliche Korrektheit gegen diese Macht des Unbewussten nur zur Pose und Maske verkommt, stellt die Sozialanthropologin Ingrid Thurner fest. Sie bemerkt, wie gut an der Universität Wien geschlechtergerechte Sprache umgesetzt wird, sich an den realen Macht- und Einkommensunterschieden zwischen Männern und Frauen allerdings nichts verändert. Vielmehr zementiere die permanente Betonung von Männern und Frauen, die Konzentration auf das Geschlecht, die Unterschiedlichkeit.
Damit droht geschlechtergerechte Sprache ihrem eigentlichen Ziel – Ungleichheiten zu beseitigen – in den Rücken zu fallen. Wenn sich hinter der konsequenten Nutzung von Sternchen und Binnen-I jeder Sprecher verstecken kann, ohne Farbe für Gleichstellung zu bekennen, aber ein anderer Sprecher nicht nach seiner Fachlichkeit, sondern einem fehlenden Sternchen bewertet wird. Dann haben wir das Ziel aus den Augen verloren.
Ein Wort für alle gibt es schon
Dass der Anlass Ungleichheiten zu diskutieren real gegeben ist, ist wohl all zu offensichtlich. Warum dafür aber die Sprache zu verändern ist, bleibt fraglich. Denn eigentlich ist unsere Sprache durch das generische Maskulinum in der Lage bei allgemeinen Aussagen sprachlich alle Personen zu inkludieren.
Glaubst du nicht? Guck mal in Absatz zwei: „Unter unseren Professoren ist aber trotzdem nur jeder vierte eine Frau.“ Die Professoren bezeichnet hier alle Personen, die an einer Hochschule dozieren, lehren und vermitteln. Die sprachliche Ausdrucksweise meint, obwohl grammatikalisch männlich, dennoch alle. Deswegen ist es auch kein Widerspruch, sondern nur konsequent, dass „jeder vierte eine Frau ist“ und nicht etwa jede. Jeder gehört hier allen, jedem und jeder.
Das Deutsche ist mit dieser Nutzung des generischen Maskulinums nicht allein, das Englische mit der geschlechterneutralen Nutzung von „he“ kennt dies auch. Empirische Sprachforschung zeigt, dass Zuhörer oder Leser ein generisches Maskulinum nicht immer als solches erkennen und manchmal fälschlicherweise nur von Männern ausgehen. Aber es zeigt sich gleichzeitig durch empirische Forschung, dass verschiedenste Formen geschlechtergerechter Sprache nur begrenzt die Wahrnehmung verändern können. Das Problem real existierender Ungleichheit zwischen den Geschlechtern lösen kann es auf alle Fälle nicht.
Dafür entsteht ein anderes Problem. Geschlechtergerechte Sprache wird vor allem im universitären Kontext diskutiert. Dadurch sind bestimmte soziale Gruppen von dieser Sprachentwicklung ausgeschlossen und – viel wichtiger – nehmen auch nicht die begleitenden Diskussionen um tatsächliche Ungleichheiten wahr.
Hört einander zu!
Eine zufriedenstellende Lösung haben wir bis jetzt noch nicht gefunden. Es gibt aber eine Möglichkeit, mit den Problemen von richtiger Sprache, korrektem Ausdruck und der Inklusion der Geschlechter umzugehen: miteinander sprechen! Immer dann, wenn geschlechtergerechte Sprache und generisches Maskulinum aufeinanderstoßen, sollten wir nicht in Beschwerden über schlechte Ausdrucksformen oder fehlende Sternchen verfallen. Text- und Redebeiträge sind der Versuch eines Autors etwas auszudrücken. Lesen und hören ist dagegen der Versuch zu erfassen, was eben dieser gemeint haben könnte. Beides ist menschengemacht und deswegen fehlbar. Im Sinne einer möglichst großen Freiheit sollten wir es uns gegenseitig freistellen zu sprechen, wie wir meinen, uns bestmöglich ausdrücken zu können. Gleichzeitig sollten wir uns aber auch Fehler und Missverständnisse erlauben.
Und wenn wir dann unsicher sind, weil wir nicht wissen ob die Ärzte nicht vielleicht fast alle Frauen sind oder wir den Text vor lauter Sternen nicht mehr sehen, dann sollten wir miteinander reden und nachfragen. Davon, dass wir uns entweder Sexismus oder Bevormundung vorwerfen, hat keiner etwas, und oft trifft es die Falschen, weil nur die wenigsten ersteres oder zweiteres wirklich wollten. Kritisch nachzufragen und über die Antwort in eine Diskussion zu gelangen hingegen, kann sowohl Autor als auch Leser um eine neue Perspektive bereichern.
Am Ende ist es nicht Sprache, sondern Gesinnung und auch nicht reden, sondern handeln, was Ungleichheiten verfestigen oder verschwinden lassen kann. Reflektierte und rücksichtsvolle Kommunikation erscheinen dafür aber nachhaltigere Mittel zu sein, als absolute Sprachnormen.
Und was nun?
Wir müssen uns gegenseitig mehr Freiheit zugestehen und der Herausforderung stellen, andere als unsere eigenen Perspektiven und Denkweisen anzunehmen. Uns, von der Hochschule bis zum heimischen Esstisch, weiter über „die eine korrekte Sprache“ zu zerstreiten, bringt nur Frust. Stattdessen sollten wir bei tatsächlicher Ungleichheit, der wir alltäglich begegnen, ansetzen, wenn wir wirklich etwas ändern wollen, und beim Namen benennen, wer welche Vorteile genießt und warum, welchen Beruf wählt. Wie wir dabei sprechen ist bloß das Mittel zum Zweck, und eben nicht der Zweck des Mittels. Dabei sollte es bleiben.
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