Ein Brief an mich selbst

von Jale Pakhuylu | Illustrationen von © Nora Boiko

Ein Brief an mich selbst

Ich laufe geradeaus,
Weiter und weiter geradeaus,
Und drehe mich im Kreis.

Ich sehe nach vorn,
Weiter und weiter nach vorn,
Und drehe mich im Kreis.

Ich reflektiere,
Tiefer und tiefer in die Gedanken hinein,
Und drehe mich im Kreis.

Die Erde ist eine Scheibe,
und ich drehe mich immer,
und du drehst dich immer,
und wir drehen uns immer,
mit ihr im Kreis.

© Nora Boiko

Liebe Jale,
Weißt du was? Mir reicht es langsam mit Dir. Immer dieses hin- und her.
Ja, Nein. Ich will das nicht, aber… Wenn, dann.
Ständig wälzt Du Dich in Gedanken, verrennst Dich in deiner Pro- und Contra-Erörterung, legst Dir die Antworten zurecht, bis Dich die Angst einholt. Deine Argumentation endet mit dem Plädoyer: Sicherheit statt Mut, Bekanntes statt Freiheit.

Und immer, wenn Du diesen Weg einschlägst, kommt Dir das Leben dazwischen. Man könnte behaupten, es eilt Dir per Zufall zur Hilfe.
Warum dieser Weg? Warum wählst Du die Angst, anstelle des Vertrauens. Weil Du dir selbst dein Glück nicht erlauben kannst?

Weißt Du, was dein Problem ist? Nicht, dass Du es nicht verdient hast. Nicht, dass Du nicht gut genug bist. Nicht, dass die Zeit noch nicht reif ist. Nicht, dass andere es nicht verstehen könnten.

Dein Problem ist, dass Du dir selbst im Wege stehst, wenn Du eigentlich alle Hindernisse erfolgreich aus dem Weg geräumt hast. Du gehst immer den Weg der Sicherheit. Auf diesem Weg trittst Du deine Intuition so lange mit Füßen, bis Du es erst im Rückblick, erst wenn es zu spät ist,erkennst.

Ich weiß, Du hörst die Stimme deiner Intuition nicht immer deutlich. Sobald ein Hoffnungsschimmer vor deinem inneren Auge aufleuchtet, Deine Bauchgegend zu kitzeln anfängt, Du vorsichtig die Tür deiner Begrenzungen öffnest, erscheint der innere Richter aus seinem Versteck, besetzt die Tür und fragt dich aus:

Was passiert wenn? Wer sagt was? Warum sollte es? Warum solltest Du? Wie soll das gehen?

Sobald dein Freund, der innere Richter, erscheint, atmest Du erleichtert aus.

Du weißt, auf mich kannst Du zählen, ich bin immer da für Dich.

Es gibt Dir Sicherheit zu wissen, dass Du diese Tür eh nicht passieren kannst und auch nicht wirst. Du gibst dich munter deiner Angst hin. Sie fühlt sich gut an, wie eine Umarmung im Dunkeln, wie ein warmes Händchenhalten. Die Angst hält Dir gerne die Augen zu, um Dich vor den vielen Möglichkeiten da draußen zu schützen.

Es ist in Ordnung, den leichten Weg zu gehen.
Der Mensch braucht Sicherheit – Ich verstehe das.
Es ist einfacher gesagt, als getan – Das weiß ich.
Die Entscheidung aber triffst letztendlich Du. Du kannst deinen inneren Richter entscheiden lassen. Oder Du beginnst ENDLICH – ein für alle Mal – Verantwortung für Dichzu übernehmen. Für Dich selbst zu entscheiden, deiner Neugierde Gehör zu schenken und deiner Angst dabei die Hand zu halten.

Es gibt keine schlechten Entscheidungen. Die einzig wahren zwei Optionen sind sich entscheiden oder die Entscheidung hinauszögern. Entscheidest Du dich gegen deine Intuition, schiebst Du die Entscheidung nur nach hinten. Denk dran, sie wird Dich früher oder später einholen. Nur ist die Entscheidung dann zufällig und du machtlos und ohne Gestaltungsmöglichkeit.

Ich wünsche mir für Dich, dass Du von nun an, wenn Du deinem Richter gegenübersitzt, mit ihm verhandelst und eine Entscheidung triffst:
Möchtest Du die Tür öffnen und hindurchgehen? Oder sie immer wieder, sobald Du das Glück, das sich hinter der Tür verbirgt, riechen kannst, von deinem Richter zuschlagen lassen?

Ich wünsche mir für dich, dass Du von nun an zuallererst FÜR Dich entscheidest.
Du hast es so weit gebracht, vergiss das nie.

Alles Liebe,
Deine Jale

  1. On point. Schön, dass du dich so offen mit dir selbst konfrontierst. Ich hoffe, dass diese Auseinandersetzung zum Handeln führt. Für mich gilt das auch.

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