von Friederike Schick | Illustrationen: Teresa Ruebel
Es ist ein regengrauer Novemberabend in Münster und ich bin mit Klimaaktivist Fabi verabredet. Ich möchte herausfinden, was ihn antreibt, aber auch welche Zweifel er in seiner aktivistischen Arbeit hegt. Zunächst muss ich aber noch in der WG einer Freundin warten. „Der ist sicherlich wieder klimamäßig unterwegs, es ist ja Freitag“ vermutet einer der Mitbewohner. Und er hat recht, Fabi ist noch auf einer klimapolitischen Mahnwache und will mich gleich abholen.
Es sind zwei Grad, es regnet und es ist schon sehr lange dunkel. Ziemlich ungemütlich, um draußen herumzustehen, denke ich in der gemütlichen WG sitzend. Aber darauf kann man keine Rücksicht nehmen, sagt mir Fabis ungewöhnlich aufrechte Haltung, als er in seiner roten Fleecejacke zur Tür hereinkommt. Schließlich macht die Klimakrise ja keine Pause, nur weil Aktivismus im Winter schwerer fällt als im Sommer, scheint sein stechender Blick hinzuzufügen. Er schaut mich offen aber durchdringend an, seine Augen scheinen stets den Kern der Dinge zu sehen. Wir schwingen uns gemeinsam aufs Fahrrad und radeln durch das nassdunkle Münster zu seiner WG. Sein „No Nature, no Future“ Holzschild, das an seiner Fahrradstange befestigt ist, klappert gemeinsam mit unseren Gesprächsfetzen im Wind.
Schlappen und Chai-Tee
In seiner WG angekommen, bietet er mir seine Borussia Mönchengladbach Schlappen an. Ich wundere mich nicht, denn ich wurde schon vorgewarnt: „Bei Fabi ist es immer sehr kalt“ hatte mir meine Freundin noch mit auf den Weg gegeben. „Wir versuchen, sehr sparsam zu heizen“, erklärt Fabi mit einem entschuldigenden Lächeln das WG-Klima und schiebt mir die Hausschuhe hin. Ich schlurfe in den viel zu großen Schlappen in Fabis Zimmer. Während er Tee kocht, habe ich Zeit, mir von seinem Zimmer etwas über ihn erzählen zu lassen. Unter seinem Holzhochbett stehend erahne ich als erstes: Fabi reist gerne. Bilder von Elefanten und kargen Hütten in einer trockenen Landschaft hängen an den Wänden und in seinem Regal aus alten Weinkisten stehen Reiseführer über Kolumbien und Sri Lanka. Schwierig zu erreichen, wenn man möglichst das Fliegen vermeiden will, denke ich.
Fabi stellt den Kurkuma-Chai-Tee auf ein kleines Stövchen neben das ausgesessene Sofa und hockt sich mir im Schneidersitz gegenüber. Sein silberner Ohrring im linken Ohr blitzt auf und hat etwas sanft Rebellisches. Seine markante Augenpartie und die kurzrasierten Haare unterstreichen diesen Eindruck, aber sein breites Lächeln gleicht das wieder aus. Ich hatte mir vorher Fragen für dieses Gespräch überlegt, doch ich brauche keine einzige davon. Am Anfang sagt Fabi noch zweifelnd, dass er gar nicht so recht wisse, ob er der Richtige für so ein Interview sei. Eigentlich studiert er nämlich Soziale Arbeit und ist erst letztes Jahr in die klimaaktivistische Szene eingestiegen. Er wisse noch gar nicht so genau, wo sein Platz in dieser Bewegung überhaupt ist, betont er immer wieder. Doch dann redet er eineinhalb Stunden über Konflikte, Zweifel und Hoffnungen – über seine eigenen und über die des Planeten.
„Nur ein loses Blatt Papier“
Schnell wird klar: Klimaaktivismus bedeutet auch Identitätssuche, zumindest für Fabi. Für ihn bedeutet das, Standpunkte immer wieder neu auszuloten, sich kurz in ein mögliches Leben voller Aktivismus einzufühlen, und dann wieder von der Realität hinausgeworfen zu werden. Es bedeutet, sich ständig zu hinterfragen, immer im Konflikt zu leben. Konflikt und Klimaaktivismus scheinen rechts und links auf seinen Schultern zu sitzen und ihm drängende Fragen ins Ohr zu flüstern: Mache ich genug und wo ist meine Rolle? Wie finde ich meinen Frieden in diesem Spannungsverhältnis und wie behalte ich zugleich meine Hoffnung? Es scheint wie ein Drahtseilakt zwischen Alltags- und Aktivismus-Ich, dessen zitternde Spannung ich im Gespräch mit Fabi spüren kann.
Als er im Sommer für vier Wochen mit dem Fahrrad und Ohne Kerosin nach Berlin (OKNB) unterwegs war, da war der Tanz auf dem Seil leicht und mühelos. Da gab es kein Entweder-Oder. „Vom Aufstehen bis zum Einschlafen Klimaaktivismus pur“, sagt Fabi glücklich und die Leichtigkeit dieser Zeit strahlt mir aus seinem breiten Lächeln entgegen.
Doch zurück im Münsteraner Alltag wird der Hochseiltanz ziemlich schnell ziemlich wackelig. Denn was folgt ist ein Spagat und das Flüstern im Ohr. Mit einem Fuß im Alltag mit dem anderen im Aktivismus fragt er sich, ob es da überhaupt eine Schnittmenge geben kann? Können wir uns ein „Normalo-Leben“ noch erlauben, wenn die Menschen im globalen Süden, genauer die Mapa – „Most Affected People and Areas“ schiebt Fabi erklärend ein – schon jetzt existenziell von der Klimakrise betroffen sind? Müssten nicht ausnahmslos alle längst und ohne einen Funken des Zögerns mit beiden Füßen im Klimaaktivimus stehen?
Fabis Gesten zeichnen diese Zweifel nach. Immer wieder fährt er sich mit seinen großen Händen übers Gesicht, verschränkt sie dann wieder hinter seinem Kopf, als müsse er sich selbst Halt geben. Was ist schon so ein Uniabschluss gegen die Zerstörung unseres Planeten? „Nur ein loses Blatt Papier“, stellt er mit harter Stimme fest. Und ohne Bäume nicht mal mehr das.
„Wohlfühlaktivismus“
„Soll ich mir also ein Baumhaus bauen und den Wald gegen seine Rodung verteidigen?“ Fabi hat noch keine Antwort darauf. Oder findet Antworten, die er so nicht leben kann. Weil es trotzdem nie genug sein wird. Weil immer noch mehr getan werden müsste. Weil er hier, auf den vertrauten und sicheren Straßen Deutschlands, eigentlich nur „Wohlfühlaktivismus“ betreibt. „Wir können uns immer wieder in das warme Kissen des Sozialstaates fallen lassen, wenn wir wollen“, sagt er anklagend und verschränkt dabei die Hände vor der Brust, wie zum Schutz vor seiner eigenen Kritik. Das ist im Vergleich zu anderen Ländern eine sehr privilegierte Position, von der aus wir unseren Aktivismus betreiben können, schiebt er hinterher.
Antworten fallen aber auch deshalb schwer, weil radikaler Aktivismus Verlust und Entfremdung bedeuten kann. Auf einmal fällt es schwer, sich mit Menschen zu treffen, die die Klimakrise nicht als so existenziell begreifen wie man selbst. „Jedes mal, wenn ne Zigarette weggeschnipst, sich nen Döner reingepfiffen und sich über total triviale Dinge unterhalten wird, frage ich mich: bin ich hier noch richtig?“, erzählt Fabi deshalb von seinen Besuchen in der Heimat. „Und auf einmal hat man das aber auch mit seiner Familie“, schiebt er nach und schluckt schwer. Für den Erhalt seiner langen Freund:innenschaften von früher und für die Harmonie in seiner Familie muss er vieles herunterschlucken, was ihm auf der Zunge liegt. „Die wissen zwar was ich mache, aber die wissen nicht, was das mit mir macht“, versucht er, seine sozialen Beziehungen außerhalb von umweltbewussten Kreisen zu beschreiben.
Warum nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und im Klimaaktivismus mit neuen Leuten neu anfangen? Nein, das ist nun wirklich keine Alternative, sagt Fabi sofort und sein Blick funkelt fast empört. Denn nur noch Klimaaktivist:in zu sein, berge seiner Ansicht nach die Gefahr, das Gespür für die Mitte der Gesellschaft zu verlieren. „Ich kenne Menschen, denen ist es gar nicht mehr möglich, außerhalb dieser Bubble zu leben und das ist total gefährlich!“ Klimaaktivismus heißt eben auch soziale Teilhabe und diese sei nur dann möglich, wenn man offen und im Dialog bleibe. „Ansonsten schließt man andere und irgendwann auch sich selbst aus.“
„Und trotzdem ist da Hoffnung“
Wie kann man bei all diesen Konflikten und Aussichtslosigkeiten denn noch Hoffnung haben, wie überhaupt noch die Motivation finden, weiterzumachen, frage ich mich, während ich Fabi zuhöre und meine Hände an der Teetasse wärme. „Aufgeben und sich nicht damit beschäftigen ist ja keine ernsthafte Alternative“, beantwortet Fabi meine Frage und sein (selbst-)kritischer Blick streift mich. Denn das ist eine verdammt privilegierte Perspektive, die sich nicht viele Menschen auf der Welt momentan leisten können
Doch es gibt noch einen anderen, ihn offensichtlich tiefer berührenden Grund, nicht aufzugeben. Es sind die Menschen in der Szene, die sich gegenseitig total viel Hoffnung geben und sein Gesicht wird heller als er daraufhin von seiner ersten COP (UN-Klimakonferenz) 2021 in Glasgow berichtet. Dabei geht es ihm nicht um das Format der COP selbst, die sicherlich kein Zeichen in Richtung Hoffnung gesetzt habe, so Fabi. Es geht um die Menschen der „Alternativen COP“, die ihn nachhaltig beeindruckt und ihm Hoffnung gegeben haben: „ Es ist sehr berührend, am Ort des Geschehens zu sein, an dem die Dinge eigentlich dringend entschieden werden müssten, und sich gleichzeitig alle einig sind: das wird nicht passieren. Und trotzdem sagen sie: Okay, wir müssen weitermachen!“ Sie alle haben den Glauben an die Politik verloren und trotzdem ist da Hoffnung.
Es ist die gelebte Utopie von Gemeinschaft, in der ein von Rollenbildern, Zuschreibungen und Stigmata losgelöstes Miteinander gelebt wird, die Kraft gibt. Und es sind das Einüben von Krisenfestigkeit und das Feiern von kleinen Erfolgen, die für die psychische Gesundheit im Klimaaktivismus essentiell sind. „Und es hilft, sich klarzumachen, dass es Menschen auf allen Ebenen braucht, die sich für das Klima einsetzen“, schiebt Fabi hinterher. Es scheint, als sage er sich das auch selbst. Es brauche die Menschen, die ihr Leben kompromisslos dem Klimaaktivismus widmen, aber auch die Menschen, die andere Wege finden, aktivistisch zu sein. Denn den Klimawandel bekämpfen können wir nur aus der Mitte der Gesellschaft und das heißt gemeinsam. Es braucht einen radikalen aber keinen kopflosen Wandel, „so etwas muss organisch wachsen“.
Die zweifelnden Fragen einer Generation
Der Chai-Tee ist mittlerweile ausgetrunken und die Kerze im Stövchen längst ausgebrannt, aber wir haben es gar nicht bemerkt. Unser Gespräch bricht nicht ab, denn auch ich erkenne mich in Fabis Zweifeln wieder. Vielleicht geht es bei mir um andere Themen, aber die grundlegenden Fragen von Identität und dem, was wir sein wollen, sind dieselben. Vielleicht sind es auch die zweifelnden Fragen einer ganzen Generation, die weiß, dass ihre Zukunft nicht mehr selbstverständlich ist. Und dennoch: vielleicht muss es auch okay sein, diese Zweifel für eine Weile ruhen zu lassen, damit man selbst nicht an ihnen zerbricht.
Auch Fabi versucht, sich dieses „Okay“ einzugestehen. Er möchte demnächst nach Israel ins Auslandssemester, erzählt er mir am Ende noch. Natürlich am besten mit dem Zug und dann mit dem Schiff, ohne Flugzeug wäre perfekt. Aber dann müsste er fast zwei Wochen früher los.