Außer ich oder außer mir?

von Jilan Alsaho | Titelbild: © Frieda Teller

Eine neue Sprache zu lernen, ist sehr schwer. Klar, aber es ist auch interessant und es wird nie langweilig. Wenn man neue Sprachen lernt, lernt man viele verschiedene Länder, Kulturen und Traditionen kennen. Nelson Mandela sagte: „Wenn man mit jemandem in einer Sprache, die er versteht, spricht, geht das in seinen Kopf. Wenn man mit jemandem in seiner eigenen Sprache spricht, geht das in sein Herz.“ Das zeigt, dass sich Menschen näher sind, wenn sie sich in ihrer Muttersprache unterhalten können. 

Der Genitiv, Hä?

Zuhören, das ist die erste wichtige Regel. Um eine Sprache zu können, muss man sehr gut zuhören. Das versuche ich immer zu machen.  Einfach zuhören, was die Menschen sagen und wie sie reden. Auf der Straße, im Supermarkt, in der Schule, in Behörden und in öffentlichen Verkehrsmitteln.

Einmal saß ich im Bus neben einer jungen Frau, die am Handy redete. Während ich dachte: „Wie schön ist diese Sprache.“, sagte sie: „Ja, das war alles wegen meinem Bruder.“ Ich war schockiert. Nachdem sie aufgelegt hatte, fragte ich sie sofort, ob sie etwas Falsches gesagt hatte, weil „wegen“ eine Präposition ist, welche wir mit Genitiv benutzen müssen und deshalb wird das Subjekt, welches nach dieser Präposition kommt, ein Genetivobjekt. Ich glaube, es wird grammatikalisch richtig, wenn sie gesagt hätte, wegen meines Bruders, wie wegen des Krieges oder meinetwegen. Ihre Antwort machte mir klar, dass es viele gibt, die nicht wissen, was ein Genitiv ist oder wie man ihn verwenden soll. Als Person, die Deutsch als Fremdsprache lernt, könnte ich sagen, dass ich deutsch besser als viele Deutsche kann. Das ist so, weil ich die Sprache jetzt lerne. Auch wenn ein deutscher Mensch nach Syrien käme und arabisch lernen würde, könnte er arabisch besser als viele Araber.

Die Kunst des Mundes

Stell dir vor, wenn ich „umfahren und umfahren“ falsch ausspreche. Für diejenigen, die nicht wissen, was ich meine: „umfahren“ heißt, dass ein Mensch jemanden oder Etwas umfährt, kann aber auch heißen, um jemanden oder etwas herumfahren. Deshalb muss ich sehr gut aufpassen, wie ich mein „Umfahr-Geschichten“ erzähle. Ein Buchstabe oder eine falsche Betonung könnten deinem Satz eine andere Bedeutung geben.

Beispielsweise:

„Als wir zur Kirche gehen wollten, haben wir Kirsche gegessen.“

Wenn du den letzten Satz zehn Mal sagen kannst, ohne dass jemanden dich fragt, wie du zu einer „Kirsche“ gehen kannst und wie eine Kirche essbar ist, dann kannst du Deutsch wie deine Muttersprache.

Oder versuche den gleiche Test auch mit „Weg und weg“.

Verstehst du arabisches Deutsch?

Ich liebe dich, damit ich am Leben bleiben kann. Mein Tag fängt nicht an, wenn du noch nicht aufgestanden bist, weil du meine Sonne bist und ohne dich ist mein Leben einfach dunkel. Du bist wie der Mond, schön aber weit weg von mir! Ich liebe dich bis an das Ende aller Buchstaben aller Sprachen.

Das war ein Experiment. Ich habe das Zitat zwei verschiedenen Menschen gezeigt. Eine Person spricht arabisch und die Andere deutsch. 

Wie waren die Reaktionen? Das war so: die Person, die arabisch spricht, fand das toll und schön und hat alles verstanden. Die deutschsprachige Person meinte sofort: „Theoretisch braucht niemand jemanden um am Leben zu bleiben. Und wie kann eine Person die Sonne und der Mond sein! Kann ich nicht einfach „ich liebe dich“ sagen und fertig?“ 

Doch kannst du, aber ein*e Araber*in kann es nicht. Die Übertreibung und das Drama kann man nicht ändern, es ist in die Sprache eingebettet. Deshalb wird das in vielen Fällen nur übersetzt, arabisch mit deutschen Wörtern. 

Als ich meinen ersten Artikel auf Deutsch schrieb, war ich ganz neu in Deutschland, und bemerkte diesen Unterschied zwischen den beiden Sprachen noch nicht. Ich machte ein Interview mit einem Mann und ich berichtete dann über sein Leben. Am Ende des Artikels schrieb ich: „und leider ist seine Zukunft zugrunde gegangen.“ Mir wurde dann später gesagt, dass niemand das so sagen würde. Ich finde das immer noch schön und ausdrucksvoll. Aber nicht vergessen, ich muss auf Deutsch denken!

Ich lerne und spreche deutsch seit einem Jahr. Inzwischen fühle ich mich freier, wenn ich Deutsch spreche. Klar, manchmal gibt es Wörter, die ich auf deutsch nicht kenne. Aber das heißt auch nicht, dass ich sie auf arabisch sofort im Kopf habe. Das ist der Trick: Eine Sprache kann man behalten, wenn man sie benutzt. Man muss in der neuen Sprache denken, nicht in seiner Muttersprache, sonst muss man zu viel erklären. 

  1. Was für ein wunderbarer Text, Jilan. Bist du wirklich erst am 16.11.2017 nach Deutschland gekommen. Wenn ich dich nicht selbst am Flughafen abgeholt hätte, würde ich es nicht glauben….

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