Text & Interview Leon Lobenberg | Illustrationen: Rahel Voigt
Es scheint so, als ob mittlerweile allen Menschen klar ist, dass die feministischen Kämpfe nur erfolgreich sein können, wenn auch Männer adressiert werden und mitmachen. Auch während Corona gibt es viele kritische Männlichkeits-Seminare, aber auch im Insta-Feed finden sich Posts, die über toxische Männlichkeit und das Patriarchat informieren. Dass dabei jedoch gezwungenermaßen Widersprüche aufkommen und auch Gefahren lauern, wird mit Blick auf sog. „linke Macker“ deutlich: Dem Anschein nach pro-feministische Männer, die sich viel mit feministischer Theorie beschäftigt haben, nehmen nun nicht mehr Raum ein, indem sie sexistische Themen platzieren, sondern indem sie sich lang und breit über die feministischen Theorien auslassen. Dies zeigt, dass es nicht reicht, auf der theoretischen Ebene eine progressive Haltung zu äußern, sondern dass diese auch gelebt werden muss.
Jochen König schreibt in seinen Büchern über Familie und über das Patriarchat. Als Vater von zwei Kindern, die insgesamt drei Mütter haben (manchmal auch vier, wenn Jochen selbst diese Rolle übernimmt), reflektiert er, wie Familienmodelle auch aussehen können. Abseits der traditionellen Kleinfamilie. Dabei verschwimmt in seinem eigenen Alltag die Grenze zwischen seiner Rolle als Vater und der als Mutter. Ist dies eine „gelebte“ kritische Männlichkeit?
Das Interview wurde von Leon Lobenberg geführt.
SAI-MAGAZIN: Manche sagen, es gäbe gar keinen männlichen Feministen, weil sich das grundsätzlich aufhebt. Wie siehst du das?
JOCHEN KÖNIG: Ich würde sagen, dass Männlichkeit ein grundsätzliches Problem ist. Dass es nicht darum geht, bestimmte Formen von Männlichkeit zu leben — und die sind dann feministisch. Es geht eher darum, dass dieser Konstruktion von Männlichkeit per Definition schon Machtverhältnisse zugrunde liegen und es deshalb gar nicht funktionieren kann, wenn man sich weiter positiv auf Männlichkeit bezieht. Feminist zu sein ist kein Label, sondern etwas, das sich in der Praxis zeigt. Die Frage ist, ob es mir gelingt, feministisch zu handeln.
Wie korreliert die äußere Zuschreibung von Geschlecht mit deiner inneren Geschlechtsidentität und wie wirkt sich das auf deinen Alltag mit deinen Töchtern aus?
Da gibt es unterschiedliche Ebenen. Es gibt das, was in meinem Personalausweis steht. Da steht „männlich“ drin. Ich fühle mich damit unwohl. Nicht, weil ich etwa denke, dass es meiner inneren Geschlechtsidentität widerspricht. Ich fühle mich eher unwohl mit dieser Konstruktion, die dahinter steht. Was meine Töchter angeht, gibt es eine Geschichte, die auch in meinen Büchern vorkommt: Meine Tochter hat irgendwann angefangen, mich Mama zu nennen. Weil alle anderen Kinder in ihrem Alter damals auch zu der Person, die für sie da ist, die sie von der Kita abholt, die sie abends ins Bett bringt, die Bezeichnung Mama benutzt haben. Es gab eine Situation, da hab ich sie aus der Kita abgeholt und sie lief freudestrahlend auf mich zu: „Mama, Mama, meine Mama ist da“. Eine andere Mutter stand neben mir und hat gesagt: „Das ist doch nicht deine Mama“. Meine Tochter blieb wie angewurzelt stehen und wusste nicht, wer ich denn dann sei, wenn nicht ihre Mama. Da habe ich mich entschieden, sie nicht zu korrigieren. Wenn sie wie alle anderen Kinder eine Mama haben möchte, die sie aus der Kita abholt, dann kann ich auch ihre Mama sein. Natürlich mache ich mir auch Gedanken, was das jetzt über meine Geschlechtsidentität aussagt.
Was mir aber auch vermehrt im Internet passiert, ist, dass mich Trolle oder Maskulinisten als verweiblicht beschimpfen. Dass ich meine Texte bestimmt auf einem rosa iPhone schreibe. Das ist dann das Gegenstück zu den Personen, die ich Liebe, die mich dann als Mama bezeichnen. Aber den Maskulinisten gilt dann nicht meine Aufmerksamkeit. Ich verspüre keinen Impuls, mir diese Männlichkeit zurückzuerobern. Das ist nicht mein Problem und nichts, was ich verteidigen muss.
Wie gehst du denn mit „peer pressure“, also dem Gruppenzwang, gegenüber deinen Töchtern um? Intervenierst du da aktiv?
Das kommt ganz auf die Situation an. Ich versuche meine Kinder darin zu bestärken, eine gewisse Offenheit gegenüber Fragen zu ihrer eigenen Geschlechtsidentität und zu der von anderen zu haben. Gegenüber anderen Personen kommt es darauf an, wie wichtig mir diese Menschen sind. Ich versuche eher in bestimmten Situationen mit Bildern zu irritieren: Ich kann mich riesig darüber freuen, wenn mich meine Tochter auf dem Bahnsteig Mama nennt und alle drehen sich um und wissen überhaupt nicht, was es damit auf sich hat. Oder wenn ich mit meiner Leoparden-Strumpfhose zur Weihnachtsfeier meines Arbeitgebers gehe und niemand wirklich weiß, wie das jetzt einzuordnen ist. Über solche Sachen freue ich mich eher. Natürlich betrifft das nur Situationen, in denen ich mich wohlfühle. Manchmal will ich auch gar nicht auffallen.
Gibt es Momente, in denen du deutlich merkst, dass du als männlich gelesene Person Privilegien genießt und wie gehst du damit um?
Diese Situation gibt es auf jeden Fall haufenweise. Als Vater mit Kind wird mir überall der rote Teppich ausgerollt. Alle finden das erst mal total grandios, wenn ich mit Kindern irgendwo hinkomme. Mein Umgang damit ist, dass ich versuche, darüber zu schreiben, das offenzulegen und die andere Position zu beziehen. Ich will zeigen, dass ich nichts anderes tue als Hunderttausende Mütter, die sich um ihre Kinder kümmern. Eigentlich mache ich sogar noch weniger als diese Mütter, weil es bei mir noch andere Bezugspersonen gibt, die für die Kinder da sind und mir Arbeit abnehmen. Man kann zwar sagen, dass das ein Fortschritt ist zu vor 20 Jahren, aber das hat noch lange nichts mit der Welt zu tun, in der ich gerne Leben würde. Das bedeutet einfach nur, dass Männer jetzt für irgendwelche Kleinigkeiten abgefeiert werden, während die hauptsächliche Arbeit immer noch von Müttern geleistet wird. Männlichkeit wird hier nicht als grundsätzliches Problem betrachtet.
Eine oft genannte Problematik ist auch, dass gesagt wird, Männer bräuchten eine positive Utopie, eine Art Reiseplan, der zeigt, in welche Richtung es gehen soll und was das Ziel ist. Daraus ist die mythopoetische Männlichkeit gewachsen, die proklamiert, dass das Patriarchat den Männern ihre wahre Männlichkeit verwehrt. Zurück zu den Wurzeln, mit Rangeln und viel Lagerfeuer. Aber auch nicht ganz so extreme Tendenzen sind zu beobachten, die eher nach dem Motto funktionieren: „Wer am meisten vor anderen Freunden weint, ist ein guter, echter Mann“.
Ich finde die mythopoetische Männlichkeit ganz grauenhaft. Nur weil sich Männer jetzt im Wald umarmen, haben sie noch lange nicht reflektiert, was es Problematisches an Männlichkeit gibt. Aber das heißt nicht, dass es nicht auch Männerrunden gibt, für die es total gut ist, sich mal in kleiner Runde über Gefühle unterhalten zu können. Dass sie nicht sofort von anderen Männern gemaßregelt werden, wenn sie außerhalb vom Fußball mal Gefühle zeigen. Da stecken durchaus Aspekte drin, die ein Fortschritt sein können. Solche Treffen sollten aber nicht als reine Männerrunden stattfinden, denn das Thema Männlichkeit betrifft auch alle anderen Geschlechter. Dadurch wird die Auseinandersetzung transparent und nachvollziehbar.
Hast du das Gefühl, als männlich gelesene Person eine Verantwortung zu haben und zum Beispiel dein Wissen teilen zu müssen, was du ja auf deinem Blog und in Büchern tust?
Ich würde einerseits sagen, dass ich die Möglichkeit habe, Dinge zu schreiben, für die Frauen reihenweise Morddrohungen bekommen würden. Ich kann mich mit gewissen Themen in den Wind stellen. Andererseits würde ich schon sagen, dass es eben auch wichtig ist, dass Männer darüber sprechen – dass es sichtbar ist, dass auch für Männer die Möglichkeit besteht, über Männlichkeit eine Auseinandersetzung zu führen. Ganz simpel gilt dies zum Beispiel für die Care-Arbeit. Es ist noch lange nicht bei allen angekommen, dass sich Männer um ihre Kinder so kümmern können, wie ich es zum Beispiel mache. Meine schönsten Erlebnisse sind E-Mails von Müttern, die mir schreiben, dass sie sich wegen meines Buches von ihrem Partner getrennt haben. Weil sie gemerkt haben, dass es eigentlich normal sein sollte, dass sich Väter um ihre Kinder kümmern. Aber auch, dass es vollkommen in Ordnung ist, ihr Kind oder ihre Kinder alleine groß zu ziehen. Dass es nicht die Heile-Welt-Familie mit Ehe braucht, um glücklich zu sein.
Bei mir und auch bei anderen Freunden war es fast schon ein Schock, als man sich das erste Mal mit Männlichkeit auseinandergesetzt hat. Ich hatte erst mal einen ziemlichen Kloß im Hals und mir ist aufgefallen, dass es so krass viele Situationen gab, in denen ich mich sexistisch und gewaltvoll verhalten habe. Da sind erst mal viele Selbstverständlichkeiten weggebrochen. Du beschäftigt dich jetzt schon seit vielen Jahre mit Männlichkeit. Würdest du sagen, dass du im Laufe der Zeit mehr Vertrauen zu dir selbst gefasst hast?
Hmm, das kann ich gar nicht so wirklich beantworten. Es gibt verschiedene Aspekte. Klar, ich fühle mich selbstbewusster, wenn das bedeutet, dass nicht mehr jede Kritik dazu führt, dass ich mich für zwei Tage einschließen will. Aber andererseits gehört so ein Taumeln, ein immerwährendes Zweifeln, das auch Unsicherheiten hervorruft, dazu.
Dennoch ist es schon wieder so eine komische männliche Antwort auf einen Reflexionsprozess, wenn man danach gestärkt herauskommen will. Diesen Anspruch habe ich nicht.
Der schwierigste Punkt in diesem Prozess ist vielmehr, von der gesamtgesellschaftlichen politischen Ebene auf eine individuelle zu kommen, also die zwischen zwei Personen. Und das ist sicherlich am schwierigsten im Kontext der Paarbeziehung. Dort gibt es sehr viele Probleme mit Männlichkeit, zumindest in heterosexuellen Paarbeziehungen. Das kenne ich auch aus meinem Leben. In Paarbeziehungen fällt es mir immer noch schwer, im selben Moment Gefühle zu haben, mit meinen eigenen Interessen am Start zu sein und gleichzeitig männliche Privilegien und Rollenbilder infrage zu stellen. Im Idealfall kann man sich da mit der*dem Partner:in zusammen durchmanövrieren.
Hast du eine Utopie, wo die feministische Aufklärung hinführen könnte?
Ne, das habe ich nicht. Ich denke nicht, dass das wieder ein Typ sagen sollte. Ich versuche eher immer die Diskussion zu öffnen, um mir auch die Möglichkeit zu geben, auf andere zu hören. Das Problem ist aber, dass nicht allen zugehört wird, wenn es darum geht, wo es hingehen soll. Dennoch bin ich sehr begeistert über die Offenheit, mit der Geschlechterthemen heute schon unter Schüler:innen besprochen werden. Ich bin manchmal in Schulklassen und wenn dann 15- oder 16-Jährige für sich ganz selbstverständlich sagen, dass sie queer oder trans sind – das ist etwas, was mich begeistert. Ich konnte erst Mitte 20 Worte dafür finden. Da sind manche Jugendliche schon einen deutlichen Schritt weiter.
Jochen König hat zwei Bücher veröffentlicht: „Fritzi und ich – Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein“ (2013 im Herder Verlag) und „Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien“ (2015 im Herder Verlag). Außerdem schreibt er in seinem Blog über Männlichkeit und den alltäglichen Struggle als Vater in einer patriarchalen Gesellschaft.
Auf Instagram ist er zu finden unter: koenigjochen
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