Zwischen Hasi und Marx

von Jan Hilbert

Vom Kampf der Stadt Chemnitz und ihren Bürger*innen gegen die rechte Stigmatisierung

Für viele junge Menschen gewinnt der Osten in den letzten Jahren immer mehr an Attraktivität. Billig und unverbraucht kommt er daher und lockt so manche*n Andersdenkende*n mit seinen Freiräumen für Kunst und Selbstverwirklichung. In Leipzig oder Dresden blüht eine kulturelle Szene von der andere, westdeutsche Großstädte nur träumen können. Die Gentrifizierung steht zwar auch hierschon vor der Tür, doch noch gibt es die Freiheiten, die man in anderen Metropolen so schmerzlich vermisst.

Gäbe es da nur nicht diese ärgerlichen rechten Flecken, die den Hype um den Osten ausbremsen. Ganz vorne mit dabei: Chemnitz, die Stadt in der ich nun seit eineinhalb Jahren lebe. Es gibt wohl kaum einen Ort in Deutschland dessen Reputation in den letzten Jahren noch mehr gelitten hat als die, der ehemaligen Karl-Marx-Stadt. Die Chemnitzer*innen gerieten in einen Strudel geballter rechter Eskalation. „Sieg Heil“ brüllende Schwachköpfe ausgerechnet vor dem Karl-Marx-Monument, rechtsextreme Fußballfans und polizeiliches Versagen bei Nazidemonstrationen gaben der Stadt, von der zuvor niemand ein Bild hatte, ein hässliches, rechtes Gesicht.

©Fabian Thüroff

Tatsächlich zeigte sich Chemnitz auch mir anfangs von seiner traurigen Seite. Als ich am ersten Tag mein neues Viertel „Sonnenberg“ durchquerte, prägten vor allem die Leere und die heruntergekommenen Jugendstilfassaden das Stadtbild. Die eine oder andere verblasste Deutschlandfahne hinter dem Fenster offenbarte, dass hier wohl nur der Baustil Vergleiche mit Leipzig zulässt.

Doch die den jungen ostdeutschen Städten augenscheinlich hinterherhinkende alte Dame Chemnitz kämpft gegen den Ruf der BILD-Schlagzeilen. Und es wäre unfair lässt man sie und die vielen Chemnitzer*innen, die hier ohne großes öffentliches Interesse für ein weltoffenes Umfeld kämpfen im Morast aus Hitlergrüßen und nackten Naziärschen stecken.

Schau mal genauer hin!

Einer dieser Menschen, die sich das nicht gefallen lassen wollen, heißt Dave Schmidtke. Er gehört zu den Initiatoren des Chemnitzer Magazins „Horizont“.  Die kostenlose Zeitschrift erzählt Geschichten von Geflüchteten in Chemnitz. Getreu ihrem Kredo „Empathie durch Aufklärung“ erzählen die Redakteur*innen von ihrer Flucht und ihrem Land, klären über falsche Wahrnehmungen in der Migrationspolitik auf oder geben Veranstaltungstipps. Ungeachtet der Erfahrung im Schreiben arbeiten hier die verschiedensten Menschen an der monatlich erscheinenden Ausgabe.

©Horizont-Magazin

„Jede Person aus einer anderen Region, bringt eine eigene kleine Welt mit. Als unsere Autorin Elaha Anwari dem Rest von der Schönheit ihrer Heimat Bamiyan in Afghanistan erzählt, verschob sich im Team auch die Wahrnehmung auf das Land. Neben all dem Krieg und den Krisen in den Ländern gibt es viele positive Aspekte, die in anderen Medien kaum genannt werden“, erklärt mir Dave und fügt hinzu, dass dadurch leicht Stereotype kreiert werden. Eine diverse Redaktion von Menschen aus verschiedenen Kontinenten mache dies fast unmöglich.

Mitherausgeberin Muna Abdelsalam Ergieg ist die ehemalige Chefredakteurin einer libyschen Zeitung. Bei „Horizont“ kann sie ihrem Wunsch nach freier Ausübung des gelernten Berufes nachgehen. In ihrer Heimat wurde sie aufgrund ihres Kampfes gegen Korruption zum Tode verurteilt.

Deutschlandweit gibt es nur wenige vergleichbare Projekte und trotzdem wird lieber die Geschichte des brüllenden Hasi-Nazis erzählt. Denn wer will schon langweilig erscheinende Projekte abdrucken, wenn rechte Hetze viel höhere Auflagen bringt?

Aufstehen, ihr Couchdemokrat*innen!

Eine weitere Initiative im Kampf für die Demokratie in Chemnitz sind die Buntmacher*innen. Die gemischte Truppe aus Studierenden, Abiturient*innen und Berufstätigen engagiert sich, dem Namen gerecht werdend, für mehr Toleranz und Vielfalt in der Stadt. Dies geschieht in Form von klassischem Wahlkampf mit Haustürklingeln. Allerdings nicht für irgendeine Partei, sondern schlicht für eine offene und tolerante Demokratie. Die Gruppe möchte die – Vorsicht, polemisches Vokabular – politikverdrossenen Bürger*innen, die eigentlich demokratisch denken, zurückgewinnen. Gelingen kann das nicht mit Bekehrungen, sondern nur durch Zuhören und Diskurs.

©Die Buntmacher*innen

Neben diesem Projekt organisierten sie auch Aktionen wie Dialogbazare, einen Lichterweg zum Gedenken der Opfer der Reichsprogromnacht und ein kleines Stadtfestival für lokale Künstler*innen und Initiativen. Mit all dem verfolge man immer das Ziel möglichst viele Gräben in einem gespaltenen Chemnitz zu schließen, meint Anett von den Aktivist*innen. Die Gruppe gründete sich nach den großen Naziaufmärschen im letzten Jahr und ihre Arbeit trägt Früchte. In allen Vierteln, in denen sich die Buntmacher*innen engagierten lag die Wahlbeteiligungen über dem Durchschnitt. Mission geglückt, ein weiterer Schritt in Richtung Alltagsdemokratisierung ist gegangen und die nächsten Projekte stehen schon auf der Agenda.

Kein Grund für Kummer

Politisch bewegt sich so langsam einiges in der Stadt, das mögen die meisten mittlerweile einsehen. Auch dank eines aufopfernden Kraftklubsängers namens Felix Brummer, der nicht müde wird als einer der wenigen Popkünstler der Stadt die linksgrünversiffte Flagge hochzuhalten und ein „#wirsindmehr“-Konzert auf die Beine zu stellen. Aber kulturelle Offenbarungen darf man in der Betonstadt nicht erwarten. Die einstündige Zugfahrt nach Leipzig müsse man da schon auf sich nehmen, heißt es.

Zugegeben, auch ich flüchte mich ab und an nach Leipzig, denn die schiere Unendlichkeit von kulturellen Angeboten macht es meiner Stadt im direkten Vergleich natürlich schwer. In Wirklichkeit sprießen in Chemnitz allerdings gerade eine Vielzahl von neuen Kulturplattformen aus dem Betonboden, die den unbedingten Aufbruchswillen bestätigen. „Aufstand der Utopien“ heißt ein Festival, das Anfang November unter dem Motto „Zukunft zum selber machen“ auf verschiedenen Bühnen einlud, die Vorstellungen einer gemeinsamen Welt zu teilen. Damit schließen die Veranstalter*innen thematisch an das letztjährige Projekt „Aufstand der Geschichten“ an. Neben zahlreichen Theateraufführungen von internationalen und lokalen Ensembles konnten sich Besucher*innen in Podiumsdiskussionen, Lesungen und Filmvorführungen philosophischen Fragestellungen rund um ein utopisches Chemnitz widmen. So auch im Workshop „Micro Utopias“ der die spannende Frage stellte, wie man mit Kunst die Realität verändern kann. Im Rahmen des Festivals standen außerdem ganz alltägliche Themen wie Nachhaltigkeit zur Diskussion.

©Fabian Thüroff

Nicht nur hier ist ersichtlich, dass es sehr wohl eine beachtlich große Szene gibt, der es an Vielfalt und kreativen Köpfen nicht fehlt. Wenn es an etwas mangelt, dann manchmal an jungem Publikum.

Vielleicht zeigt sich hier neben den gefährlichen und nervenden Nazis das größte Problem der Stadt. Viele junge Chemnitzer*innen zieht es in die boomenden Oststädte und auch die Studierendenzahl in Chemnitz ist mit knapp 11.000 auf über 24.000 Einwohner*innen vergleichsweise knapp bemessen. Wenn ich doch nach Mitternacht durch die leergefegten Straßen laufe, scheint Chemnitz als wolle es ein Paradebeispiel für den demographischen Wandel werden.  

Also alle auf nach Chemnitz? Natürlich ist das auch keine Lösung, denn ehrlich gesagt sehe selbst ich die Stadt noch nicht in irgendwelchen Rankings der schönsten Studienstädte. Viel wichtiger ist es, auch im Hinblick auf das ewig nervende Ossi-Wessi-Klischeedenken, solchen stigmatisierten Orten die Möglichkeit zu geben, sich abseits von Klischees in einem etwas anderem Licht zu präsentieren.

Das bedeutet nicht zu pauschalisieren, nicht nur Rechten die mediale Bühne zu geben und ihnen zu erlauben, das Gesicht der Stadt zu werden. Vielmehr sollten auch die vielen Bewohner*innen gesehen werden, die für ein buntes Chemnitz kämpfen. Denn nur dann haben wir eine Chance solch braun und traurig anmutende Städte, wie Chemnitz bunt zu streichen und lauter zu sein als jeder schreiende Nazi. Sogar ohne Wir-sind-mehr-Konzert.

  1. 240.000 tausend einwohner kommt wohl eher hin : )

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