Text und Fotografien: Damaris Raab
Dieser Text ist der dritte Teil einer Reihe über Endometriose. In insgesamt vier Beiträgen beleuchten wir die Krankheit und einige der Schwierigkeiten mit denen sich Betroffene konfrontiert sehen – von Diskriminierung auf der Arbeit und Sexismus im Gesundheitssystem, hin zu der Intersektion mit anderen Krankheiten und Schwangerschaft. Bei Menschen mit Uterus, die einen unerfüllten Kinderwunsch haben, ist in etwa 50 Prozent aller Fälle Endometriose nachweisbar. In diesem Teil der Reihe erzählt Kyra ihre Geschichte von Kinderwunsch mit Endometriose. Falls ihr oder Personen in eurem Umfeld betroffen sind, findet ihr am Ende weiterführende Literatur sowie Hilfsangebote.
„Wenn ich an Endometriose denke, denke ich hauptsächlich an Schmerz. Körperlichen, aber auch innerlichen Schmerz. Und an Trauer. Die deutsche Influencerin Anna Adamyan beschreibt ihre Endometriose als ihre beste Freundin, mit der sie durch dick und dünn geht, ich nicht! Ich will das nicht, ich find dich nicht cool; du schränkst mein Leben ein, anstatt es zu bereichern, ich will dich nicht in meinem Freund:innenkreis!!“
Kyra bekam ihre erste Regelblutung mit 14 Jahren. Menstruation, das war für sie von Anfang an mit starken Schmerzen verbunden. Sie kann sich nicht vorstellen, wie das ist; Menstruieren ohne Schmerzen. Die Gynäkologin verschrieb ihr beim ersten Besuch die Pille, aber auch damit blieben die Schmerzen während der Periode bestehen. Aufgrund der immer stärker werdenden Schmerzen und der Hormone entschied sich Kyra nach einiger Zeit gegen die Pille und für die Spirale. Bereits das Einsetzen der Spirale war für sie mit extremen Schmerzen verbunden, doch einige Monate später bekam sie Schmerzen in einer Intensität, wie sie sie noch nie zuvor erlebt hatte. „Manchmal fühlt es sich an, als wäre mein Unterleib gebrochen, wie so ein Druck nach unten… es drückt einfach alles nach unten, als hätte jemand ein Gewicht in meinen Körper gelegt und drückt und bricht so alles auseinander.“
Mit 21 Jahren hörte Kyra durch ihre eigene Recherche zum ersten Mal den Begriff Endometriose, ein Begriff, der in ihrem weiteren Leben eine große Rolle spielen sollte. Die Gynäkologin ging ihrem Verdacht auf Endometriose nicht nach – Kyra fühlte sich alleine und nicht ernst genommen mit ihren Schmerzen. Aufgrund der zunehmenden Einschränkungen im Alltag entschied sich Kyra nach eigenen Recherchen für eine Bauchspiegelung, die derzeit als einzige Möglichkeit für eine sichere Diagnose gilt. Diese wurde im Dezember 2018 durchgeführt. Nach dem Aufwachen aus der Narkose bestätigte sich der Verdacht auf Endometriose. Eine Zeit lang nach der OP hatte sie Probleme beim Stuhlgang, einen aufgeblähten Bauch und Schmerzen. Es dauerte eine Weile, bis sie sich erholt hatte und es fiel ihr schwer, die Symptome nach der Operation einordnen zu können: Ist das gerade Endometriose oder handelt es sich um nachwirkende Schmerzen von der OP?
Ein halbes Jahr später wurde in einer zweiten Operation in einem Endometriosezentrum versucht, alle Endometrioseherde zu entfernen. Vor der Operation bot ihr der Arzt an, ihre Eileiter zu untersuchen. Eine blaue Flüssigkeit wurde durch ihre Gebärmutter in die Eileiter gespült, um festzustellen, ob die Eileiter frei durchlässig sind oder ob ein Eileiterverschluss vorliegt.
Als Kyra aufwachte, sagte man ihr, dass sie höchstwahrscheinlich unfruchtbar sei und wenn sie ein Kind wolle, müsse sie bald damit anfangen. Der Arzt überbringt diese Nachricht beiläufig, in einem Nebensatz, ohne große Emotionen oder Mitgefühl, doch in Kyra löst die Nachricht viel aus. Zu diesem Zeitpunkt war Kyra 24 Jahre alt, mit ihrem Freund war sie zu diesem Zeitpunkt seit zwei Jahren zusammen. Das Thema Kinder war für sie noch weit weg. Nun war sie auf einmal dazu gezwungen, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und sich Fragen zu stellen wie „Willst du überhaupt Kinder oder wäre das auch ohne so okay für mich? Könnte ich mich damit abfinden, mein Leben ohne Kinder zu gestalten?“
Weiblich gelesenen Personen wird häufig von klein auf eingeprägt, eine Frau zu sein, das bedeutet vor allem, schwanger werden zu können und Mutter zu sein. Kyra verunsichert es, diese Rolle vielleicht nicht erfüllen zu können: „Irgendwie fühlt es sich an, als wäre man weniger weiblich, weil einem etwas genommen wird, was nur Menschen mit einer einer Gebärmutter vorbehalten ist .“
Ihre Beziehung wurde vor ein Ultimatum gestellt; wenn ihr Partner nicht damit umgehen konnte, dass sie eventuell keine Kinder bekommen könne, dann sei es besser, jetzt Schluss zu machen als später. Doch die beiden waren sich schnell einig, dass sie das gemeinsam durchstehen wollen.
Ein halbes Jahr später waren die Schmerzen so einschneidend, dass Kyra nicht mehr richtig laufen und Wasserlassen konnte. Ihr wurde ein Termin für eine erneute Bauchspiegelung im Dezember angeboten. Gleichzeitig stand Kyra vor der Abschlussprüfung ihrer Ausbildung. Beide Termine lagen im Dezember und Kyra musste sich entscheiden, was ihr wichtiger war. Sie entschied sich für die Operation. Sie sagt heute, dass es die richtige Entscheidung war, auf ihre Gesundheit und ihren Körper zu hören. Nicht nur physisch erlebte Kyra starke Schmerzen; auch die psychische Belastung war in diesen Monaten sehr hoch. „Mit der Wärmeflasche in der Ausbildung zu sitzen und alle tun das als normale Periodenschmerzen ab, von anderen Personen, die teils selbst menstruieren, zu hören und suggeriert zu bekommen, ich sei nur zu schmerzempfindlich und andere halten das besser aus, da hatte ich emotional mit zu kämpfen. Endometriose sieht man einem nicht an und es wird erwartet, dass man normal leben kann und funktioniert, aber ich konnte das zu dem Zeitpunkt nicht, ich konnte nicht normal raus gehen und normale Dinge machen.“
Die Tests und OPs verstärkten in Kyra das Gefühl der Distanz zu ihrem eigenen Körper, der sich nicht wie ein Teil von ihr anfühlte, sondern wie ein Gegner, der sie verrät, im Stich lässt und gegen sie arbeitet. Manchmal hat sie das Gefühl, ihre Eltern hätten das Schlechteste aus ihren beiden Genen zusammengepackt und sie sei das Ergebnis davon. Auch wenn die physischen Schmerzen nach der Operation schwächer geworden waren, hatte Kyra psychisch mit vielen Dingen zu kämpfen; unter dem Abbruch ihrer Ausbildung, Versagensängsten und dem Eindruck, auch von anderen so wahrgenommen zu werden. Doch jede:r einzelnen Person die ganze Geschichte zu erzählen und Aufklärungsarbeit zu leisten, um sich rechtfertigen zu können, das konnte sie auch nicht.
Im nächsten Jahr war das Thema Endometriose immer noch da, aber mit Ibuprofen war es irgendwie okay. Nach einiger Zeit rief Kyra dann doch in einer Schmerzklinik an, um sich über Alternativen zu informieren. Man erklärte ihr, wie verschiedene Schmerzmittel wirken und wann sie eingenommen werden sollten – für den schlimmsten Fall wurde ihr Tilidin verschrieben. Für Kyra war der positive Verlauf des Termins überraschend. Sie erlebt es als schwierig, Gynäkolog:innen zu finden, die sich mit dem Thema Endometriose auskennen, ihr glauben und sie ernst nehmen. Die Anatomie und die Funktionsweise des weiblichen Körpers wurden in der Vergangenheit – und oft auch heute noch – von der Medizin vernachlässigt. Das hat zur Folge, dass schwerwiegende Erkrankungen wie Endometriose nicht ernst genommen werden, wenig erforscht sind und es an Aufklärung über ihre Erkennung mangelt. Die Betroffenen fühlen sich – wie auch Kyra – oft mit ihren Schmerzen allein gelassen, nicht ernst genommen und wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen.
Eine kurze Zeit später wurde Kyras beste Freundin schwanger, als erste im Freund:innenkreis. Zwischen Babysachen kaufen und mitfiebern, wurde Kyra und ihrem Freund immer klarer, wie sehr auch sie sich ein Kind wünschten. Schnell war der Entschluss gefasst, es zu versuchen. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie bereits ein Jahr lang nicht verhütet, ohne dass es zu einer Schwangerschaft gekommen war. Sie entschlossen sich, eine Kinderklinik aufzusuchen, um über Möglichkeiten bei Unfruchtbarkeit zu sprechen.
Kyra hatte das Gefühl, dass Endometriose in der Kinderwunschklinik eine Rolle spielt und diese auch beachtet und ernst genommen wird. Bei 40 bis 50% der Frauen, die ungewollt kinderlos bleiben, ist Endometriose die Ursache. Nach einem Gespräch war klar, dass die Krankenkasse die hohen Kosten der Hormontherapie für Kyra und ihren Freund nicht übernehmen würde. Dennoch entschlossen sie sich dafür. Die Hormone, die unter anderem in Form von Spritzen und Tabletten verabreicht wurden, taten Kyra weder psychisch noch physisch gut. Sie hatte Heißhungerattacken und nahm zu, war müde, antriebslos und sehr emotional. Ihr Freund und sie fuhren für ein paar Tage weg – ein vergeblicher Versuch, den kreisenden Gedanken zu entfliehen, ob die Therapie funktionieren würde oder nicht. Einige Zeit später kam dann der Anruf, das Ergebnis war negativ. Obwohl die Nachricht für beide wie ein Stich war, beschlossen die Beiden, dass sie es noch einmal versuchen wollten. Aber auch der zweite Versuch war nicht erfolgreich. Das Budget war erschöpft und Kyra und ihr Freund auch. Zu erschöpft, um es noch einmal versuchen zu können oder zu wollen.
In dieser Zeit machte ihr Freund ihr einen Heiratsantrag. Sie beschlossen, sich jetzt auf die Hochzeit zu konzentrieren, ihre Energie und Gedanken auf etwas Schönes zu richten. Kyras Schmerzen wurden zu diesem Zeitpunkt wieder schlimmer, was zu einer vierten Bauchspiegelung führte. Bei einer erneuten Spülung des Eileiters war dieser plötzlich durchgängig. Das war der Startschuss für die Ovulationstests. Kyras Freund und sie nahmen sich vor, das Ganze entspannt und liebevoll anzugehen. Ihre Hochzeit stand an und das Leben fühlte sich wieder ein bisschen leichter an.
Im März, nach einer durchzechten Sonntagnacht, stand Kyra morgens auf dem Balkon und trank ihren Kaffee. Ihre Periode war erneut ausgeblieben, was aber nicht ungewöhnlich war. Ohne große Hoffnungen beschloss sie, einen Schwangerschaftstest zu machen. Da war er, der zweite Streifen. Überwältigt von ihren Gefühlen kam sie weinend aus dem Bad. Auch ihr Freund begann zu weinen; fassungslos lagen sie sich in den Armen.
In den ersten drei bis vier Monaten hatte Kyra sehr starke und häufige Unterleibsschmerzen. Die Schmerzen haben Kyra oft in Panik versetzt, weil sie Angst hatte, dass mit ihrem Kind vielleicht etwas nicht in Ordnung sein könnte. „Und dann kam mein Wunder und größtes Glück zur Welt“. Kyra strahlt im Interview, wenn sie von ihrem Kind erzählt. Den Smiley des Ovulationstests hat sie sich auf den Handrücken tätowiert.
Wenn Kyra daran denkt, dass ihre Tochter eines Tages ihre Periode bekommt und vielleicht starke Schmerzen hat, dann wünscht sie sich für sie, aber auch für alle anderen, die menstruieren, dass es viel mehr Menschen gibt, die einen an die Hand nehmen: Ärzt:innen, die einem nicht nur die Pille verschreiben, sondern einem glauben und gemeinsam nach Ursachen und Lösungen suchen. Menschen, die Verständnis zeigen und einem das Gefühl geben, dass man nicht überempfindlich ist, sondern dass der Schmerz, den man spürt, echt ist, dass er gesehen und geglaubt wird. Kyra wünscht sich, dass das Thema Endometriose schon in der Schule behandelt wird. Dass FINTA* wissen, was Endometriose ist und dass extreme Regelschmerzen nicht normal sind. Dass im Sexualkundeunterricht darüber gesprochen wird, dass es nicht normal ist, wenn Sex weh tut und dass man lernt, wie Endometriose und Schmerzen beim Sex zusammenhängen können.
Die erste Zeit nach der Schwangerschaft hatte Kyra keine Schmerzen. Doch nach dem Abstillen, als ihre erste Regelblutung einsetzte, blutete Kyra so stark wie nie zuvor. Die Intensität der Schmerzen nahm von Monat zu Monat zu – Schmerzen, die sie in eine Zeit zurückversetzen, die sie schon beinahe vergessen hatte. Nach vielen Überlegungen und Gesprächen mit Ärzt:innen, die auf Endometriose spezialisiert sind, und der Schmerzklinik, in der sie früher war, entschied sie sich für die Pille. Die Entscheidung fiel ihr schwer. Nach einigen Monaten hatte Kyra trotz der Pille wieder Schmerzen. Außerdem nahm sie zu, bekam Akne und auch psychisch ging es ihr nicht gut. Sie setzte die Pille wieder ab.
„Und dann habe ich mir gedacht, jetzt bin ich im Reinen, jetzt bin ich fein so wie es ist. Ohne Hormone, ohne irgendwas. Es gibt immer noch Tage, an denen ich denke: Scheiße, ich kann nicht mehr. Nach einer durchtanzten Nacht oder generell viel Bewegung habe ich Schmerzen, zyklusunabhängig. Im Moment halte ich die Schmerzen in einem Rahmen aus, wo ich raus gehen kann, wo ich mich um mein Kind kümmern kann, wenn das alles nicht mehr da ist, wenn mich die Schmerzen wieder so einschränken wie damals, dann würde ich nochmal schauen.
Kyra ist noch am Ausprobieren, aber Dinge wie Menstruationsunterwäsche, die Endometriose App, Wärmflaschen und eine zunehmend vegane Ernährung helfen ihr im Moment. Kyra wünscht sich, dass Dinge, die helfen können, wie die Pille oder Physiotherapie, nicht mit enormen Kosten für die Betroffenen verbunden wären. „Dass mich im Alltag die Schmerzen begleiten, das ist für mich normal, es macht nur den Unterschied, ob es eine zwei ist und ich es aushalten kann oder eine acht und es geht nichts mehr. Gerade ist es meistens eine zwei, so ist es okay, so kann ich leben.“
Weiterführende Links und Tips:
Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe zu Endometriose. Im ersten Beitrag erzählt Marie uns ihre Geschichte mit der Krankheit und im zweiten Teil berichtet Aylin von ihren Erfahrungen.
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