Wartungsintensiv – Besuche zwischen blassgelben Wänden

Text & Fotografien: Celine Giese

Dieser Text ist der vierte Teil einer Reihe über Endometriose. In insgesamt vier Beiträgen beleuchten wir die Krankheit und einige der Schwierigkeiten mit denen sich Betroffene konfrontiert sehen – von Diskriminierung auf der Arbeit und Sexismus im Gesundheitssystem, hin zu der Intersektion mit anderen Krankheiten und Schwangerschaft. Falls ihr oder Personen in eurem Umfeld betroffen sind, findet ihr am Ende weiterführende Literatur sowie Hilfsangebote.

Wartungsintensiv.
Das dunkle Licht flackert auf die ehemals weißen Wände der Krankenhausflure. Zwischen blass grünen Rollbetten mit Papierbeschichtung und den mittlerweile gelben Wänden sitzt Anna. Wartungsintensiv wirkt auf sie nicht nur die Architektur des Krankenhauses, sondern auch ihr eigener Körper. Endometriose im dritten Stadium, mit Befall der Harnleiter, Nieren, Eierstöcke und dem Douglasraum, Adenomyose, Asthma und Migräne sorgen für regelmäßige Krankenhausaufenthalte. 

Bleib dran, im Zweifel hast du Recht.
Die ersten Symptome erlebte Anna mit 14 Jahren. Ständige Unterleibs- und Rückenschmerzen, manchmal einhergehend mit Bewegungseinschränkungen, regelmäßige Krampfanfälle mit Spastiken und Ohnmacht, Durchfall sowie Erbrechen und häufige Probleme mit den Nieren. Schnell kam der Verdacht von Endometriose und Adenomyose auf, da bereits andere Frauen in ihrer Familie mit diesen diagnostiziert worden waren und von ähnlichen Beschwerden berichteten. Dennoch musste sich Anna nicht nur vor Ärzt:innen, sondern auch vor Familienmitgliedern immer wieder erklären, denn nicht von allen wurde sie ernst genommen oder verstanden. Von ihrer Oma bekam sie daher mitgegeben: „Bleib dran, im Zweifel hast du Recht!”. Immer wieder ging Anna also mit ihren Symptomen zu Ärzt:innen und organisierte Bauchspiegelungen. Trotz regelmäßigem Zystenbefund und einer unregelmäßig aufgebauten Gebärmutterwand dauerte es acht Jahre und vier Bauchspiegelungen bis zur endgültigen Diagnose. Drei weitere Jahre brauchte es, bis auch ihr Verdacht auf Adenomyose bestätigt wurde. 

Adeno-was?
Adenomyose bezeichnet das Bestehen von Endometriose-Herden in der Muskelwand der Gebärmutter. Da sich die Struktur dieser Herde von den „klassischen” Endometriose-Herden unterscheidet, wird Adenomyose mittlerweile als eigenständige Erkrankung anerkannt, die sowohl gemeinsam mit Endometriose, als auch einzeln auftreten kann. Wie viele Menschen tatsächlich von Adenomyose betroffen sind, ist unklar. Schätzungen reichen von fünf bis hin zu siebzig Prozent Betroffenen aller Menschen mit Uterus. Anfangs noch an den Zyklus gebunden, erlebt Anna die Schmerzen nun fast jeden Tag. Mittlerweile helfen bei den schweren Schmerzen nur noch Opiate und diese kann Anna aufgrund ihres Asthmas und der Gefahr einer Atemdepression nur unter Aufsicht einnehmen. Ein weiterer Besuch der verblassten gelben Wände. 

Eine Beziehung im verblassten Gelb.
Auch ihr Beziehungsleben muss sich stark an ihre Krankheiten anpassen und gerade Angehörige werden in ihren Gefühlen oft vergessen und übersehen. Annas Partner:innen haben sich bisher viel mit Endometriose und Adenomyose auseinandergesetzt, um diese im Notfall den Sanitäter:innen erklären zu können, sollte sie selbst nicht ansprechbar sein; sie haben oft Tage und Nächte gemeinsam im Krankenhaus verbracht. „Oft gibt es Tage, an denen ich mit meinem Körper nicht klar komme, an denen der Haushalt liegen bleibt, wo der Hund nicht ausgeführt werden kann. Es gibt einfach Tage, da funktionierst du nicht, da hast du Glück, wenn du es schaffst aus dem Bett zu kommen und dir etwas zu Essen zu machen oder auch nur zu bestellen. Damit muss auch mein:e Partner:in zurechtkommen.” 50% der Endometriose Betroffenen, die im Rahmen einer Studie interviewt wurden, berichten von Problemen in der Partner:innenschaft; 10% beendeten ihre Beziehung daraufhin (Schute, 2011).

Sterilisation und Endometriumablation
Um zumindest die Endometriose an den Eileitern und die extremen Blutungen bekämpfen zu können, entscheidet sich Anna für eine Sterilisation mit Entfernung der Eileiter sowie eine Endometriumablation. Obwohl die weibliche Sterilisation weltweit die am meisten verbreitete Verhütungsmethode ist, ist sie in Deutschland weiterhin stark stigmatisiert. Bis Anna die Sterilisation erhält, vergehen erneut vier Jahre. Vier Jahre, in denen sie immer wieder mit Sexismus und Diskriminierung konfrontiert wird. Ihre weiteren Erkrankungen werden ignoriert, ihr werden Therapien vorgeschlagen, die bereits fehlgeschlagen sind, und ihr wird empfohlen schwanger zu werden, da die Endometriose dann verschwinden würde. Wenn sie sich für eine Sterilisation und somit gegen eine Schwangerschaft entscheiden würde, sei sie selbst Schuld, dass sie weiter unter der Endometriose leide. 

Einen Kinderwunsch hatte sie nie gehabt, auch wenn das System ihr etwas anderes einreden wollte: Sie sei noch zu jung, habe einfach noch nicht den richtigen Partner kennengelernt und bräuchte einfach mal „guten Sex” oder sie sei sich ihrer Geschlechtsidentität unsicher. Frau sein wird gleichgesetzt mit Kinder bekommen und immer wieder wurde Anna gepredigt, dass sie ihre Entscheidung später bereuen würde. Viele Ärzt:innen versuchen ihr regelrecht Angst zu machen, sagen ihr, dass sie nach der OP ein Leben lang Ersatzhormone nehmen müsse (völliger Quatsch, da bei einer Sterilisation nur die Eileiter, nicht aber die Eierstöcke, welche für die Hormonproduktion zuständig sind, operiert werden) oder die OP zu einem Verrutschen der inneren Organe führen würde (hierzu konnten wir keine glaubwürdigen Quellen finden). Doch nicht alle Kliniken lehnen ihre Anfrage aufgrund von Vorurteilen ab. Einige haben durchaus Verständnis für ihr Anliegen, jedoch Angst davor, verklagt zu werden. Zwar ist eine Zivilklage in Deutschland immer möglich, wenn die Beratung vor dem Eingriff jedoch ordnungsgemäß durchgeführt wurde und alle Unterschriften vorhanden sind, sollte diese jedoch nicht erfolgreich sein. Dennoch befürchten manche Ärzt:innen bei einer Klage nicht nur Schmerzensgeld, sondern auch das Geld für die weitere Behandlung, sprich, eine künstliche Befruchtung zahlen zu müssen.

Als Anna nach der OP erwacht, beginnt sie zu weinen. „Es war so eine Befreiung. Ich dachte mir: Endlich konntest du das machen, was du schon vor Jahren für dich entschieden hast und das kann dir jetzt keiner mehr nehmen. Ich hatte das Gefühl, wieder Kontrolle über meinen eigenen Körper zu gewinnen.” Für ihre Endometriumablation, eine Operation, bei der die Gebärmutterschleimhaut bei dysfunktionellen Blutungen entfernt oder zerstört wird, muss Anna weitere zwei Jahre kämpfen und über 400 Kilometer fahren, um eine verständnisvolle Ärztin zu finden, die dazu bereit ist, den Eingriff durchzuführen.

Barrierefreiheit 
Doch nicht nur in ihren eigenen Entscheidungen und Operationen wird Anna behindert, auch bei der Beantragung eines Schwerbehindertenausweises kommt es zu Komplikationen. Obwohl die meisten ihrer Beschwerden auf die Adenomyose zurückgehen, werden diese ihrer Migräne zugeordnet und da Endometriose und Adenomyose in Nordrhein-Westfalen gemeinsam betrachtet werden, wird auch ihr Grad der Be_hinderung nicht vollständig anerkannt. Somit erhält sie keinen Euroschlüssel und muss weiterhin jegliche Reisen den öffentlichen Toiletten Möglichkeiten anpassen. Um Betroffenen die Beantragung eines Schwerbehindertenausweises zu erleichtern, fordert die Endometriose Vereinigung, die Antragstellung für den Grad der Be_hinderung bundesweit zu vereinheitlichen.

Die 29-jährige studiert im sechsten Semester Gebärdendolmetschen. Spezialisieren möchte sich Anna später auf Krankenhausdolmetschen, um Kommunikationshürden abzubauen und gehörlose Menschen mit chronischen Erkrankungen auf ihrem Weg um ihre medizinischen Rechte zu unterstützen. Denn Menschen aus der Deaf Community würden oft als be_hinderte und nicht als Menschen mit eigener Sprache angesehen und daher oft doppelt diskriminiert werden. 

Von ihren Arbeitgeber:innen wird Anna oft nicht ernst genommen. In der Vergangenheit wurde ihr unterstellt, blau zu machen und bei Schmerzanfällen auf der Arbeit wurde sie einfach liegen gelassen. Ihre Mitarbeiter:innen gingen weiter ihrer Arbeit nach, bis sie wieder aufstehen konnte und nach Hause ging. In einer Studie aus dem Jahr 2011 berichten 51% der von Endometriose Betroffenen von Problemen am Arbeitsplatz, 24% davon aufgrund von Fehlzeiten wegen der Endometriose (Schute, 2011). Diese begegnen Anna, auch an der Uni, denn dort ist sie durch ihr Fehlen oft auf Mitschriften von anderen Studierenden angewiesen und da für ihren Studiengang nicht viele Informationen online verfügbar sind, auch darauf, dass ihre Professor:innen das Kursmaterial noch einmal mit ihr durchgehen. Die Endometriose Vereinigung fordert daher eine multimediale Aufklärungskampagne, die sowohl die betriebliche Gesundheitsvorsorge, Schulen und Arbeitgeber:innen, als auch Krankenkassen und Rententräger über die Schwierigkeiten und Hürden von Endometriose im Alltag informiert. 

Annas wechselnder Gesundheitszustand, die vielen Krankenhausaufenthalte und das durch die Krankheiten bedingte Fehlen auf der Arbeit machen es auch schwierig, wirklich Fuß zu fassen. „Ich habe Freunde, die jetzt heiraten, ein Haus kaufen und einen fetten Kredit aufnehmen, um sich das leisten zu können. Und ich kann nicht mehr als zwei Jahre im Voraus planen und das tut manchmal schon weh, keine wirkliche Zukunftsperspektive zu haben.”

Chronische Erkrankungen sind sozial isolierend. Es kann nicht immer an Freizeitveranstaltungen teilgenommen werden und Verabredungen müssen abgesagt werden. Vorurteile, wie beispielsweise dass man sich nicht genug anstrenge dagegen anzukämpfen oder auch, dass man bestimmte Behandlungsmethoden ablehnt, die einem helfen könnten (wie z.B. die Annahme, dass eine Schwangerschaft gegen Endometriose helfen würde), machen es Betroffenen noch schwerer ihr soziales Leben zu managen. „Körper und Krankheit verändern sich ständig und dadurch auch das soziale Umfeld. Freizeit und Berufe können und sollten anders aussehen, damit möglichst viele Menschen daran teilnehmen können”, meint Anna dazu. Sie würde sich wünschen den Alltag auch einfach mal Alltag sein lassen zu können und die Möglichkeit auch weiterhin von ihrer Zukunft zu träumen und sich selbst immer wieder neu zu erfinden. Im März 2024 wurde Anna ihre Gebärmutter entfernt. Während ihre Adenomyose seitdem als beseitigt und geheilt gilt, besteht ihre Endometriose weiterhin. Mittlerweile geht sie offen mit ihrer Endometriose und Adenomyose um, doch sich in jedem neuen Umfeld wieder aufs Neue erklären und rechtfertigen zu müssen und manche Dinge einfach nicht so tun zu können wie andere, bleibt eine psychische Belastung.

Literaturverzeichnis und weiterführende Informationen und Unterstützung zu den Themen Endometriose und Sterilisation:
Schute, L.K. (2011). Prävalenz von Depressionen und Angststörungen und ihre Einflussfaktoren bei Frauen mit Endometriose. (Dissertation, Medizin). Medizinische Fakultät Charité – Universitätsklinikum Berlin, 09.09.2011.

Dieser Beitrag ist Teil einer Reihe zu Endometriose. Im ersten Beitrag erzählt Marie uns ihre Geschichte mit der Krankheit und im zweiten Teil berichtet Aylin von ihren Erfahrungen. In Teil drei erzählt uns Kyra ihre Geschichte von Kinderwunsch mit Endometriose.

Die Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. bietet eine Telefon- oder Videoberatung durch betroffene Frauen und/oder psychologisch ausgebildete Beraterinnen an:
0341 – 3065304 // info@endometriose-vereinigung.de // Endometriose Vereinigung auf Instagram

[VEREIN] Selbstbestimmt steril e.V.

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