von Joshua Rumpf | Beitragsbild: © Mathieu Sörenhagen | Headerbild: © Justin Adam
Das Klischee vom faulen Langzeitstudierenden ist mittlerweile überholt. Was für die Mehrheit der Akademiker*innen einst die beste Zeit in ihrem Leben war, ist heute für viele ein Albtraum. Ein Albtraum, aus dem es Studierenden schwerfällt ohne fremde Hilfe aufzuwachen.
Stress statt Studium
Studierende sollen heutzutage möglichst früh ihren Abschluss machen und die Besten ihres Jahrganges sein, damit sie möglichst schnell und qualifiziert auf den Arbeitsmarkt gelangen. Das bewusste Zeitnehmen, um sich ein Thema oder Fachgebiet selbstständig anzueignen, wird aufgegeben. Das Studium wurde durch die Bologna-Reformen einer Wirtschaftslogik angepasst. Das Resultat ist, dass sich viele Studierende enormen Stress ausgeliefert sehen. Bei Stress im Studium handelt es sich vereinfacht gesagt, um einen anhaltenden Belastungszustand. Durch das Fehlen von Entspannungsphasen wird dann häufig der Organismus überlastet und die Betroffenen verlieren die Fähigkeit ein normales Ruheniveau zu erreichen. Sie fühlen sich als hätten sie ständig Stress. Stress, der in einer ohnehin fordernden Orientierungsphase des Lebens, dem Erwachsen- und Selbstständig werden, viele überfordert.
Wie groß ist das Problem?
Eine Studie der Technikerkrankenkasse aus dem Jahr 2015 zum Thema Stress im Studium zeigt, dass sich 44% der Studierenden durch Stress ausgelaugt fühlen. 25% hätten professionelle Hilfe gebraucht, doch nur knapp die Hälfte hätte sie sich genommen. Somit haben 12,5%, fast 359.000, aller Studierenden professionelle Hilfe wegen Stress in Anspruch genommen und nochmal genauso viele bräuchten sie außerdem. Eine enorme Zahl, wenn man überlegt, dass zu viel Stress auf Dauer in ein Burnout oder gar in eine Erschöpfungsdepression führen kann. Vor allem bei Frauen* scheint das Risiko für ein Burnout größer zu sein. Wie viele Studierende genau betroffen sind, lässt sich jedoch nur schwer sagen, da eine eindeutigen Diagnose schwierig ist.
Woher kommt der Stress?
Doch was treibt Studierende in die Stressfalle? Wilfried Schumann, Diplom Psychologe und Leiter des Psychologischen Beratungsservice der Universität Oldenburg, sieht die Ursachen für den überhöhten Stress in dem Gefühl, durchs Studium oder privaten Belastungen ausgelaugt zu sein. Viele Studierende hätten perfektionistische Ansprüche, welche kaum einzuhalten seien, weswegen sie sich keine Auszeiten nehmen würden. Berücksichtigt man jetzt noch weitere Zahlen aus der Studie, beispielsweise dass 60% der Studierenden nebenbei arbeiten und 25% aller Studierende, bei den Geisteswissenschaften sogar 47%, Angst haben nach dem Studium keinen Job zu finden, dann wird deutlich, dass der Stress nicht allein vom Leistungsdruck des Studiums kommt. Genauso wirkt bei vielen die Doppelbelastung von Arbeit und Studium mit ein, welche Auszeiten und Freizeit weiter minimiert. Auch erhöht die Angst vor einer vermeintlich unsicheren und arbeitslosen Zukunft den Druck auf die Studierenden.
Burnout erkennen
Wie lässt sich zu viel Stress oder gar ein Burnout erkennen? Eine eindeutige Diagnose gibt es nicht. Jedoch kann man Anzeichen feststellen. Antriebslosigkeit, Zynismus, Motivationslosigkeit, Schlafstörungen und das ständige Fehlen von Energie lassen laut Schumann auf ein Burnout schließen. Wenn du dich darin wiedererkennst, dann such dir bitte umgehend Hilfe. Unten sind Informations- und Beratungsstellen verlinkt. Doch auch, wenn du andere Sorgen hast, oder einfach nur mit jemanden anonym reden möchtest, dann gibt es diverse Ansprechstellen. Bei der Nightline kannst du als Studierender mit anderen Studierenden reden. Aber auch für nicht Studierende, oder Studierende, die nicht mit anderen Studierenden reden möchten, gibt es kostenlose Hilfstelefone, wie die Telefonseelsorge.
(Zu viel) Stress vorbeugen
Damit Studierende gar nicht erst in die Stressfalle und damit in ein Burnout geraten, ist es wichtig, dass sie ihre Leistungsgrenzen akzeptieren und sich Auszeiten gönnen. Es gilt Hobbies und soziale Beziehungen zu pflegen, damit man zwischen dem Lernen abschaltet. Studierende müssten verstehen, dass gut und freudvoll verbrachte Freizeit keine illegale Handlung ist, die einen vom Arbeiten abhalte, sondern dass diese Regeneration die Grundlage dafür schafft, gut und erfolgreich arbeiten zu können, so Schumann. Außerdem müssten die Universitäten klarstellen, dass viele Studierende ihr Studium nicht in der Regelzeit absolvieren. So könnten eigene, familiäre und gesellschaftliche unrealistische Erwartungen an das Studium vorbeugend verhindert werden. Es würde leichter fallen, dass eigene Studientempo zu finden und zu akzeptieren. Des Weiteren gibt es zu wenige präventive Angebote, in denen Studierende lernen mit Stress umzugehen, damit sie selbst lernen, auf Warnsignale zu achten. Solche Angebote, wie beispielsweise „Starthilfe“ der Universität Oldenburg, sollen den Studierenden erklären, wie sie mit Misserfolgen, Stress und anderen Herausforderungen des Studiums umgehen können. Präventive Angebote in vergleichbarer Form sind auf den Websites fast jeder Hochschule bei den geplanten Veranstaltungen oder dem Beratungsangebot zu finden.
Wir müssen handeln
Es muss ein Umdenken erfolgen. Die Tatsache, dass die Zahl der gestressten und hilfsbedürftigen Studierenden bei einem Viertel liegt, sollte zu einem Abweichen vom Studium in seiner jetzigen Form führen. Anstelle eines einheitlichen Studienverlaufs sollte es wichtiger sein, dass wir die Bedürfnisse der Studierenden berücksichtigen. Sorgen und Ängste müssen ernstgenommen werden, statt einen Teil junger Menschen blind einem System zu opfern. Jedem sollte es möglich sein, sein Studium individuell wahrzunehmen und sich nicht von Zeitdruck oder Leistungsdruck einschränken lassen. Einige Ideen gibt es schon. Es wird über eine längere Bachlorstudienzeit, durch ein Orientierungsjahr, und mehr Masterstudienplätze nachgedacht. Auch eine Abkehr von dem strengen Modulsystem wird überlegt, damit die Studenten wieder freier studieren können. Doch wird darüber bisher nur unter den Forscher*innenn und Dozierenden diskutiert. In der Politik scheint es kein nennenswertes Thema zu sein. Doch es wird Zeit für Veränderung. Es handelt sich dabei nicht mehr um ein fast schon löbliches Manager*inphänomen, sondern eher um eine Volkskrankheit. Nun wird es Zeit aktiv als Gesellschaft dagegen vorzugehen, indem wir uns gegen die von Zeit- und Leistungsdruck geprägten Studiennormen positionieren. Dieses Thema muss endlich auch die Politik erreichen.
Hier findest du mehr Informationen:
Ein Selbsttest, ob du von Burnout betroffen bist
Telefonseelsorge: 0800 1110111 oder 0800 1110222
Ansprechpersonen an deiner Universität findest du bei der psychologischen Beratung der Studienwerke.
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