Geld für alle – Die Idee des Grundeinkommens

Text von Jonas Brandt | Illustration: Nora Boiko

So könnte er aussehen, der typische Titel eines Artikels über das Grundeinkommen. Es ist gleichzeitig auch das, woran jeder als erstes denkt, wenn er das Wort „Grundeinkommen“ hört:

Geld – und das für alle. Nicht ohne Grund hat Götz Werner sein Buch „Einkommen für Alle“ genannt. Ein aufsehenerregender Titel, der sicherlich für Aufmerksamkeit sorgte, dem Grundeinkommen gerecht wird er aber bei weitem nicht. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Idee mit langer Geschichte. Seine Ursprünge reichen bis ins 16. Jahrhundert hinein, in voller Konsequenz umgesetzt wurde es allerdings bis zum heutigen Tag noch nie. Alles, was wir an praktischen Erfahrungen haben, sind zeitlich begrenzte punktuelle Feldversuche. Deren aussageschwache Erkenntnisse helfen allerdings kaum bei der Verbildlichung eines richtigen bedingungslosen Grundeinkommen.

Ja, es gibt ein „richtiges“ bedingungsloses Grundeinkommen. Definiert ist es wie folgt:

„Das bedingungslose Grundeinkommen [BGE] ist ein Einkommen für alle Menschen,

  • das Existenz sichernd ist und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht,
  • auf das ein individuellen Rechtsanspruch besteht,
  • das ohne Bedürftigkeitsprüfung und
  • ohne Zwang zu Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert wird.“1

Diese vier Punkte sind der kleinste gemeinsame Nenner aller existierender Grundeinkommensmodelle – Aufgestellt vom „Netzwerk-Grundeinkommen“, ein Zusammenschluss aus Grundeinkommensbefürworter*innen verschiedenster politischer Lager.

Der erste stellt sicher, dass Bürger*innen nach Streichung aller Sozialleistungen nicht mit einem kleinen Taschengeld auf sich allein gestellt sind.

Der zweite festigt mit der Aufnahme ins Grundgesetz den Anspruch auf ein Grundeinkommen.

Dritter und Vierter Punkt dienen voll und ganz der Bedingungslosigkeit des Grundeinkommens und grenzen es damit klar von Modellen wie Hartz-IV ab. Per Definition wird ein Modell nämlich nur der Idee des Grundeinkommens gerecht, wenn man sogar gänzlich auf Arbeit verzichten kann. Sofern man das denn will.

Vereinfacht gesehen wäre es nicht falsch zu sagen, dass ein Grundeinkommen „Geld für alle“ ist. Allerdings stellt diese verkürzte Definition vermutlich für die meisten überzeugten Verfechter*innen des Grundeinkommens eine Beleidigung dar, denn es geht um so viel mehr als nur um Geld.

An erster Stelle geht es nämlich nicht darum, dass wir Geld für unsere Arbeit, sondern wie wir Geld für unsere Arbeit bekommen wollen. Und zwar präventiv: Wir erhielten mit dem bedingungslosen Grundeinkommen zunächst die Chance, unsere menschlichen Grundbedürfnisse zu stillen. Erst dann wären wir dazu in der Lage, aus freien und eifrigen Stücken unser gesamtes Potential auszuschöpfen und einer Arbeit nachzugehen. Im – für die Wirtschaft – besten Fall sogar produktiver als jemals zuvor. Ein Vertrauensvorschuss sozusagen.2

Das ist natürlich das philosophische romantische Bild des Grundeinkommens. Realistisch betrachtet werden auch von den großzügigsten Grundeinkommensmodellen, die bei etwa 1200€ im Monat liegen, nur wenige Leben wollen. Dass ein kategorisches Einkommen jedoch, auch wenn es unsere Bedürfnisse noch nicht vollständig stillt, eine enorme Freiheit für unsere Lebensgestaltung bedeuten würde, kann nicht bestritten werden.

Illustration: Nora Boiko

„Grundeinkommen“ – Ein Wort für Tausend Dinge

Zurück zur Definition des „Netzwerk-Grundeinkommen“, denn so schön sie auch klingen mag, viel Aussagekraft hat sie kaum.

Über Faktoren, wie die exakte Höhe des monatlichen Betrages, welche Finanzierungsmethode herangezogen werden würde und welche Teile des heutigen Sozialstaats ersetzt werden, ist damit schließlich noch nichts gesagt. All diese bilden die Grundlage für Streitpunkte und Abweichungen, die zwischen den unterschiedlichen Modellen bestehen.

Und da jene Faktoren jeweils so viele verschiedene weitere Ausdifferenzierungen ermöglichen, ist die Zahl der Grundeinkommensmodelle unüberschaubar hoch. Genauso unüberschaubar ist das Spektrum derjenigen, die ein Grundeinkommen befürworten. Denn je nach Wahl des Modells kann ein Grundeinkommen sowohl für Linke als auch für Neoliberale interessant sein. So gibt es wohl kaum Themen, die Linken-Politikerin Katja Kipping wie auch Konzernchef Elon Musk gleichsam begeistern können. Das Grundeinkommen ist eine davon.

An dieser Stelle muss natürlich gesagt sein, dass beide Persönlichkeiten eine jeweils andere Vorstellung von der konkreten Umsetzung eines Grundeinkommens haben. Denn mit verschiedenen Grundeinkommensmodellen lassen sich auch verschiedene Ziele erreichen.

Angesichts der Komplexität des bedingungslosen Grundeinkommens wird dieses allerdings, das steht fest, Auswirkungen auf die Wirtschaft, die Einkommensverteilung, unser Zusammenleben und die Gesundheit haben. Insbesondere auch, da es sich je nach Modell stark unterscheiden kann. Es kann somit festgehalten werden, dass es angesichts verschiedener Grundeinkommensformen für politische Diskussionen wichtig ist, zunächst zu klären, von welchem Modell die Rede ist. Aufgrund deren Auslegungsvielfalt ist es tatsächlich denkbar, sowohl auf Kommunist*innen als auch auf Milliardär*innen zu stoßen, die ein bedingungsloses Grundeinkommen unterstützen.

Deswegen sollte man gewarnt sein: Man kann nicht grundsätzlich die Nase rümpfen oder vor Begeisterung applaudieren, wenn man die Worte „bedingungsloses Grundeinkommen“ hört. Es muss genau betrachtet werden, was die Intention hinter der Forderung ist und wie genau die Umsetzung ausgestaltet wäre. Erst dann lohnt es sich überhaupt darüber nachzudenken, ob man sie wollen kann.


Bevor wir uns mit einigen Modellen und den Absichten dahinter beschäftigen, werden wir uns im nächsten Kapitel vorerst auf eine Zeitreise begeben, um die Idee des Grundeinkommens tiefer nachvollziehen zu können.

1[Homepage: Verein zur Förderung des bedingungslosen Grundeinkommens e.V. – „die Idee“] https://www.grundeinkommen.de (Stand: 10.2021)

2Vgl. Fromm, Erich. (1966). Psychologische Aspekte zur Frage eines garantierten Einkommens für alle. Open Publishing. https://play.google.com/books/reader?id=RvEmDwAAQBAJ&hl=de&pg=GBS.PP3.w.1.0.56 (Stand:05.21) S.5

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Gefällt dir das sai-magazin?