Das bedingungslose Grundeinkommen als Naturrecht – ein Exkurs

Text und Illustrationen von Jonas Brandt

Der erste Teil der Reihe hat geklärt, was ein bedingungsloses Grundeinkommen genau ist und
davor gewarnt, dass hinter jedem Grundeinkommensmodell eine andere Absicht steckt. Es wäre
also naheliegend, an dieser Stelle über die verschiedenen Modelle aufzuklären. Das muss aber noch
bis zum letzten Teil der Trilogie warten, wo der Rahmen geschlossen wird. Hier im zweiten Teil
begeben wir uns auf eine Reise in die Vergangenheit, um die Ursprünge des Grundeinkommens zu
verstehen:


Die Zeit der Aufklärung und der industriellen Revolution war zusammen mit der Antike wohl die
fruchtbarste für philosophische Theorien und praktische Reformversuche. Sofort beginnt das
Kopfkino, geprägt von Filmen und von Bildern aus dem Geschichts- und Kunstunterricht: Eine
barbusige Dame, die auf einem Leichenberg die französische Flagge hebt und eine neue Zeit der
Freiheit und Gleichheit einläutet. Verregnete Gassen, in denen zwielichtige Gestalten, die Köpfe
unter Kapuzen versteckt, eifrig ihren Geschäften nachgehen. Riesige gläserne Bahnhofshallen, in
denen geschäftiges Treiben herrscht und ungeduldig auf die Ankunft der nächsten Dampflok
gewartet wird.

Die Geräuschkulisse ist auch unstrittig: Zischen, von feuerspeienden Schmelzöfen verursacht.
Metall, das auf Metall gestoßen wird. Und natürlich das Proklamieren des leidenschaftlichen
Kommunisten, der auf einer Obstkiste stehend zum nächsten Streik aufruft.
Die Landbevölkerung zieht zunehmend in die Städte, in der Hoffnung, in einer der zahlreichen
Fabriken eine Anstellung zu bekommen. Hunger und Krankheiten sind an der Tagesordnung, die
Armenhäuser überlaufen. Es bildet sich eine Zweiklassengesellschaft: Die Gewinner und die
Verlierer der industriellen Produktion, dem freien Markt und der Globalisierung.
Philosoph:innen widmen der Wirtschaft und Arbeit aufgrund der neuen Verhältnisse zwangsläufig
mehr Aufmerksamkeit. Es ist die Zeit, in der Adam Smith den Wirtschaftsliberalismus begründet
und Karl Marx und Friedrich Engels später die Verhältnisse von Kapital und Arbeit grundsätzlich in
Frage stellen. Es ist kaum verwunderlich, dass früher oder später auch das Grundeinkommen ins
Spiel gebracht werden musste.

Es ist Thomas Paine, der die Idee des Grundeinkommens zu dieser Zeit das erste Mal einbringt:
Er schließt in einer sehr nachvollziehbaren Argumentationskette auf das Recht jedes/r Einzelnen auf
ein Grundeinkommen. Ausgangspunkt seiner Annahme ist, dass Armut in der ursprünglichen
Gesellschaft nicht existierte hätte, weil jeder Mensch denselben Anspruch auf das Gut Grund und
Boden gehabt hätte und sich frei von der Natur ernähren konnte. Nach Paine ist es die dem
Menschen eigene Entwicklung zur Zivilisation, die das erste Mal für Armut gesorgt hätte.

Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass Paine selber keineswegs zurück in alte Verhältnisse oder die
bestehenden überwinden wollte. Er wollte lediglich die durch die gesellschaftliche Entwicklung
entstandenen Ungerechtigkeiten beseitigen. Hierfür setzte er beim Faktor Landbesitz an, denn Land
sei ungleich verteilt. Das sei erstmal nicht unfair, denn die ungleiche Verteilung könne für jedes
Gesellschaftsmitglied Vorteile haben, indem so eine effizientere Produktion ermöglicht würde: So
könnten beispielsweise Großlandbesitzer mit ihrem Kapital Risiken absichern, während einfache
Landarbeiter ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten. Allerdings müssten alle, die ihrerseits auf
Land „verzichten“ müssen, da sie weniger Fläche besitzen, als ihnen eigentlich zustände, auf jeden
Fall eine Entschädigung erhalten, damit alle gerecht profitieren.

Paine wollte diese Entschädigung in Form eines Grundeinkommens durchsetzen, das aus einem
Nationalfonds bezahlt würde. Einzahlen in diesen Fonds müsste jede Person, die mehr Land,
abheben jede, die weniger Land besäße, als ihr eigentlich zustände. Geregelt würde dies durch eine
Grundsteuer – Grund im Sinne von „Boden“. Das heißt eine Steuer auf Landbesitz.
Diese Position vertrat er in einem Werk, das er 1791 und 1792 verfasste, darin die Französische
Revolution verteidigte und außerhalb Frankreichs populär machte. (Vgl. Paine 1796: „Agrarian
justice“)

Paines Forderung nach einer Schadensersatzzahlung in Form eines Grundeinkommens wurde
anschließend aufgenommen von weiteren Philosoph:innen, darunter Thomas Spence . Er ging so
weit zu verlangen, dass alles Land enteignet und anschließend gegen Gebühren verpachtet werden
sollte. Gebühren, durch die wiederum ein Grundeinkommen für alle finanziert werden würde (Vgl.
Spence 1793: „The rights of man“).

Was aus damaliger Sicht noch fortschrittlich klang, ist heute natürlich lange überholt: Ein linearer
Zusammenhang zwischen Besitz von Fläche und Profit kann im 21. Jahrhundert natürlich nicht
mehr ausgemacht werden. Dieser Zusammenhang gehört seit dem Übergang von der
Agrargesellschaft in die Industriegesellschaft der Vergangenheit an.
Es ist also nur gut, dass Philosoph:innen wie Charles Fourier noch andere Begründungen für ein
Grundeinkommen gefunden haben. Fourier argumentiert nicht mit Besitz- sondern mit
Freiheitsrechten, die der Mensch in der Urgesellschaft hatte und die ihm genommen wurden.
Konkret wäre das die Freiheit, einer Arbeit nachzugehen, die den eigenen Trieben entspräche.
Bildlich veranschaulichen ließe sich das durch einen Neandertaler, der morgens aufwacht und –
ohne dass ihm jemand irgendwas befiehlt – triebgesteuert Tätigkeiten ausführt. Diese würden
letztendlich dafür sorgen, dass er am Ende des Tages einen gefüllten Magen hat.

Im Kontrast hierzu können sich die wenigsten so glücklich schätzen, einer Arbeit nachzugehen, zu der sie morgens nach dem Aufstehen intuitiv, ohne jegliche Überwindung gehen würden.
Doch es mag auch naiv sein, anzunehmen, dass Neandertaler ihrerseits ganz ohne äußeren Druck ihren Tätigkeiten nachgingen. Trotzdem war ihr „Arbeitsverhalten“ mit großer Wahrscheinlichkeit natürlicher und damit für die Psyche sicherlich gesünder als eine Vielzahl heutiger Tätigkeiten.
Fourier leitet daraus das Recht auf sogenannte anziehende Arbeit ab. Der Name ist großartig, denn
genau das soll Arbeit für Fourier leisten: Sie soll uns anziehen und damit fast schon selbstzweckhaft
ihren Sinn erfüllen. Nach diesem Prinzip fordert Fourier, dass man sich für eine Erwerbstätigkeit
entscheiden können müsse, die der eigenen Leidenschaft entspricht . Man erinnert sich vielleicht an
Marx, der deterministisch den Weg der Gesellschaft in den Kommunismus beschrieben hat (Marx,
Karl: Manifest der Kommunistischen Partei). Fourier , der wohlgemerkt etwas früher lebte, machte
es ähnlich: Bei ihm war es das Zeitalter der „Harmonie“, auf das Gesellschaften zustreben sollten.
Jeder Mensch würde dann nach seinen Trieben leben und damit laut Fourier den größtmöglichen
Nutzen für die Gesellschaft erbringen. Eine Stufe vor der Harmonie steht der Garantismus. Diese
Form der Gesellschaft würde jener ähneln, die sich auch die meisten
Grundeinkommensbefürworter:innen wünschen: Die Grundbedürfnisse jeder Person würden über
die Einführung des Grundeinkommens gedeckt werden.

Im 19. Jahrhundert traten diese Reformvorschläge auf, in einer Zeit, wo die Ohren der einfachen
Bevölkerung kaum offener für Ideen zur Armutsbekämpfung hätten sein können. Eine Zeit, in der
der Druck für die Einführung von Sozialmaßnahmen so hoch geworden ist, dass Otto v. Bismarck
den heutigen Sozialstaat etablierte. Damit schuf Bismarck eine der größten Errungenschaften der
Demokratie und eine, an der bis heute mit am stärksten – und das aus guten Gründen – festgehalten
wird. Interessant bleibt dennoch die Frage, ob es damals mit Einführung eines Grundeinkommens
auch funktioniert hätte, ein stabiles System mit allgemeiner Grundversorgung aufzubauen. Noch
interessanter ist aber die Frage, ob heute der Wechsel vom Sozialstaat zum Grundeinkommen
möglich, wünschenswert und vielleicht sogar zwangsläufig notwendig ist.


Laut Expert:innen wird die Zukunft große Herausforderungen für das Arbeitsleben mit sich
bringen. Ob der Sozialstaat diesen Herausforderungen gewachsen ist, darf bezweifelt werden. Aber
kann ein Grundeinkommen die Lösung sein? Und was bedeutet das überhaupt konkret:
Grundeinkommen?


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