Text: Lucia Hemker | Collagen: Liz Krämer
Seit einiger Zeit ertappe ich mich selbst dabei, wie ich mich immer wieder ermahne: Du musst schreiben. Wie ich mir selbst vorschreibe: Bis Jahr X musst du veröffentlichen – entgeltlich versteht sich, denn dann bin ich eine echte „Autorin“, ein Wort, das an Profit geknüpft ist. Im Duden steht: „Autor, der: Verfasser eines Werkes der Literatur, eines Textes; Urheber eines Werks…“ und ich schreie meinen Bildschirm an, das stimmt nicht, das reicht nicht, da fehlt was, da fehlt ein Preisschild und ein Verlag und eine physische Kopie dieses Textes. Eine, die nicht nur meine Mama aus dem Internet ausgedruckt hat. Urheber hängt zusammen mit Urheberrecht, hängt zusammen mit Eigentum, hängt zusammen mit Diebstahl, hängt zusammen mit Vermögen, mit Einkommen. Wo in meiner Assoziationskette versteckt sich Leidenschaft, versteckt sich Kreativität, versteckt sich Schöpfung? Wie hat sich das Wort „zielführend“ dort hineingeschlichen? Seit wann fühlt sich das Wort „Hobby“ so sinnlos an?
Hobbys in meinem Lebenslauf
Hobbys sind für Kinder. Kinder gehen schwimmen und reiten, Kinder lernen Blockflöte spielen. Kinder malen und singen und tanzen und schreiben und denken sich Sachen aus, Kinder spielen. Und man sagt: Mh, das sind aber leckere Kekse, die du gemacht hast! Wirst du mal Bäcker:in? Wirst du mal Künstler:in? Und sie sagen: Ja, klar. Warum nicht? Meine Brüder wollten Inlineskating-Profi und Archäologe werden, weil sie Inlineskating und Dinos mochten. Ein kleiner Prozentsatz dieser Kinder macht ihr Hobby zum Beruf, der Rest hört auf mit dieser ganzen Spinnerei.
Zeitvertreib ist Zeitverschwendung, denn deine Zeit kannst du investieren. Früher hast du gerne Volleyball gespielt, aber davon sieht man halt am Ende nur wie ein Volleyballspieler aus. Deswegen gehst du jetzt ins Fitnessstudio und selbstoptimierst dich. Lesen war ja schon immer dein Ding, letztes Jahr hast du ein Buch gelesen über Ernährung, davor das Jahr eins über Gewohnheiten und wie man sie aufbaut. Das bringt dich wirklich weiter, ganz im Gegensatz zu Romanen über Abenteuer im Weltall und Romanzen in einem anderen Jahrhundert.
Hobby, das: eine selbst gewählte, vergnügliche oder entspannende Beschäftigung, welcher eine Person in der Freizeit nachgeht. Spazieren ist schön, aber ich kann es effizienter gestalten, wenn ich die Schritte von meinem Handy zählen lasse. Dann kann ich vergleichen, ob ich heute mehr oder weniger als gestern gelaufen bin, und stelle mich selbst unter die Erwartung, mein Level mindestens aufrecht zu erhalten, bestenfalls zu steigern indem ich noch eine kleine Runde drehe, mit der ich dann die 10.000 knacke.
„Ha-Oh-Be-Be-Ypsilon“
Soziolog:innen definieren gerne und kodieren ungerne. Wenn sie festmachen wollen, ob jemand nun ein Hobby hat oder nicht, möchten sie nur „Ja“=1 oder „Nein“=0 wissen. Sie fragen: „Haben sie ein oder mehrere Hobbys?“ Und geben keine Möglichkeit für „Ich weiß nicht“. Sie fragen nicht: „Was machen Sie in Ihrer Freizeit?“ Und legen dann fest ob „am Handy sitzen“ oder „Serien schauen“ als Hobby zählt. In meinem Kopf mache ich das gleiche. Mit Freund:innen treffen – das mag jede:r. Lesen – ich müsste schon jeden Tag ein selbsterwähltes Buch lesen, damit das zählt, oder? Ich kritzle manchmal vor mich hin und tanze und singe zu meiner Musik, aber ich bin ja schlecht darin, also – ich kreuze „Nein“ an. Und ich frage herum, und fast niemand in meinem Freundeskreis hat Hobbys. Ich glaube, das Wort „Hobby“ schreckt ab: Die Sachen, die ich gerne mache, sind nicht für diesen Titel qualifiziert.
Freizeitbeschäftigung
Wer von sich selbst behauptet, hobbylos zu sein, begründet das meist mit fehlender Freizeit. Haben wir weniger Freizeit? Und was ist Freizeit? Frei wovon? Ist Freizeit das, was nach der Arbeit, nach der Ausbildung, nach der Schule noch übrigbleibt? Minus all die ich-sollte’s und ich-müsste’s und ich-könnte-nochmal-eben’s, minus Hausaufgaben und Projekte, die wir mit nach Hause nehmen, minus all das, was sich in unserer existenziellen Spüle so an Geschirr stapelt. Dazwischen brauch ich meine Pausen, aber Pausen dürfen nicht langweilig werden. Bestimmt kennst du diese Experimente: Personen werden in leere Räume gesetzt, in denen sie sich langweilen. Der einzige zur Verfügung stehende Reiz ist ein Knopf, der ihnen einen Stromschlag versetzt, wenn sie draufdrücken. Sie wissen das, und sie kennen den Reiz. Und trotzdem drücken sie, zum Teil mehrmals. Menschen halten Schmerz besser aus als Langeweile.[1] Meine Pausen sind kurz. Wozu ein Buch anfangen? Ich muss ja noch und ich wollte ja noch und ich könnte ja noch all diese Sachen machen heute. Ein Buch erfordert da viel zu viel Zeit, ich scrolle nur schnell nur durch mein Handy, ich schau nur eine Folge, da kann ich jederzeit aufhören, das erfordert keinen Fokus, es ist nur Entspannung. Richtig? Instagram und Facebook sind designed wie Glücksspielautomaten.[2] Immer, wenn ich aktualisiere, sehe ich was Neues, immer wenn ich den Hebel runterziehe, könnten drei Kirschen erscheinen, immer wenn ich aktualisiere, könnte was für mich dabei sein, könnte ich den Jackpot knacken. Und meine kurze Pause endet in einer Stunde scrollen, weil ein Teil meines Gehirns diese ziellose Zeit fasst und nicht mehr loslässt, während ein anderer mir sagt: Du könntest du solltest du müsstest eigentlich noch. Der Freizeit-Monitor[3] ist eine Studie, die jährlich festhalten möchte, wie Menschen in Deutschland ihre Freizeit gestalten. Die beliebtesten und am häufigsten genannten Aktivitäten sind seit Jahren solche Sachen wie Fernsehen und Internet. Im Jahr 2019 sagen 46% der Befragten, dass sie unzufrieden sind mit ihrer Freizeitgestaltung.
Zeit, zu kaufen
Wenn ich meine Zeit also tatsächlich für mich selbst beanspruche, dann ist das was Besonderes. Das kann gefeiert werden. Worte wie Auszeit und Erholung und Atempause gehören der Werbebranche. Freizeit ist die Zeit, in der ich keine Arbeitskraft, sondern Konsument bin. Entspannung verbinde ich mit Gönnen verbinde ich mit Geld. Ich tue mir also was Gutes, gehe shoppen, gehe essen, gehe trinken, gehe Aktivitäten nach, die ich umso höher bewerte, desto mehr sie kosten. Ich kenne Leute, die Entspannung nicht kostenfrei erzielen können. Ich denke, das hängt zusammen mit fleißigem Marketing, das mir weismacht, eine warme Badewanne ist nur zu genießen mit teuren Badebomben, die sich im Wasser auflösen. Mit einem All-Inclusive Spa-Day. Mit diesem Resort in diesem Land, in welches ich erstmal fliegen muss – so hohe Ausgaben müssen doch eigentlich in absoluter Gelassenheit resultieren, oder?
Und wenn’s mal nicht absolute Gelassenheit sein soll, gibt es eine Branche für das Gegenteil. Fußball habe ich vor langer Zeit einmal als Spiel mit Ball und mit Fuß verstanden. Als Kind war das Bild, was ich im Kopf hatte, wenn jemand „Fußball“ sagte, ein Bolzplatz und Spaß. Welches Bild hast du jetzt im Kopf, wenn jemand von „Fußball“ spricht? Ein Stadion, ein Spielerlohn, ein TV-Special, Trikots mit Unterschrift? Irgendwo habe ich mal etwas gespürt, das würde ich jetzt „Gruppensolidarität“ nennen. Da hat jemand in meinem Team ein Tor geschossen, und wir lagen uns in den Armen und haben uns gefreut. Ich denke gerne daran, und versuche dieses Gefühl zurückzugewinnen indem ich mittlerweile alle zwei Jahre all den Schrott kaufe, auf den die Gesichter der aktuellen Nationalelf gedruckt wurden. Spielen ist ein zentrales menschliches Bedürfnis. Spielen wirkt identitätsstiftend und kooperationsfördernd, nicht nur für Kinder, sondern für Menschen jeden Alters.[4] Kommerzieller Sport ist ein Produkt des Kapitalismus und der Klassengesellschaft.[5]
Hobbylos
Fazit: Die einzig echte Freizeitgestaltung ist einfach, ziellos, kostet kein Geld und findet geheim statt. Wenn du die Chance kriegst, solltest du dich auf den Rücken legen und an die Decke starren, und wenn du da keine Lust drauf hast, dann wurdest du bereits von Werbung und sozialem Druck überlistet. Wenn du mal ein Stickerheft mit Fußballspielern hattest, bist du ohnehin schon längst verloren. Wenn du am besten woanders entspannen kannst, als zuhause, weil du physischen Abstand von deinen Verpflichtungen brauchst – Schande über dein Haupt! Natürlich nicht. Du weißt selbst, was dir guttut und was nicht.
Eine Freundin erzählt mir, sie mache seit ein paar Wochen eine Yoga-Challenge: Jeden Morgen nach dem Aufstehen macht sie ein paar Herabschauende Hunde und Schmetterlingssitze. Erfolgreiche Leute machen das so. Die meditieren oder machen Yoga oder irgendwas, was mir Massenhersteller:innen von Klangschalen als besonders geistreich und gesund verkaufen. Meine Freundin jammert: Jeden Morgen schreit die Fitness-App sie an, sie solle die Knie gerade lassen, und sie hat nicht mal die Augen ganz geöffnet. Sie muss jetzt eine halbe Stunde früher aufstehen, und diese halbe Stunde Schlaf fehlt ihr. An Tag 26 der Challenge sagt sie mir: Ich hab aufgehört. Ich mache jetzt eine Kaffeetrink-Challenge. Jeden Morgen trinke ich eine Tasse Kaffee, und auch sonst mach ich Sachen, die ich mag.
Du kannst reflektieren, ob das, was du machst, wirklich ein Hobby ist, oder eher Selbstoptimierung; ein Side Hustle, oder Konsum. Nicht, dass all das nicht auch seinen Platz in unseren Leben hätte – aber eben nur einen Platz neben all den wundervollen Tätigkeiten, an denen wir nichts weiter und nichts geringeres als Spaß finden.
Quellen:
(1): Nederkoorn, Chantal / Vancleef, Linda / Wilkenhöner, Alexandra / Claes, Laurence / Havermans, Remco C (2016): Self-inflicted pain out of boredom. In: Psychiatry Research Volume 237, 30.03.2016, Pages 127-132. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2016.01.063 (zuletzt aufgerufen 13.10.20)
(2): Price, Catherine (2018): Trapped – the secret ways social media is built to be addictive (and what you can do to fight back). Social media isn’t designed with your long-term happiness in mind.In: BBC Science Focus Magazine. 29.10.2018. https://www.sciencefocus.com/future-technology/trapped-the-secret-ways-social-media-is-built-to-be-addictive-and-what-you-can-do-to-fight-back/ (zuletzt aufgerufen 13.10.20.)
(3): Stiftung für Zukunftsfragen (Eine Initiative von British American Tobacco) (2019): Freizeit Monitor 2019. In: Forschung aktuell Newsletter I Ausgabe 286 I 40. Jahrgang I 12. September 2019. https://epub.sub.uni-hamburg.de/epub/volltexte/2019/93861/pdf/Forschung_Aktuell_286_Freizeit_Monitor_2019_1.pdf (zuletzt aufgerufen 13.10.20)
(4): Maratz Henig, Robin (2008): Taking Play Seriously. In: The New York Times Magazine. 17.02.2008. https://www.nytimes.com/2008/02/17/magazine/17play.html?pagewanted=all. (zuletzt online 13.10.20)
(5): Collins, Tony (2013): Sport in Capitalist Society. A Short History. (teilweise zu finden unter https://books.google.de/books?hl=de&lr=&id=DiqSGkDmxdUC&oi=fnd&pg=PP1&dq=hobbies+leisure+and+sports+capitalism&ots=hbuIEgm0qW&sig=kqE5C5nGpcDgY7U99heyKV_Lq0Q&redir_esc=y#v=onepage&q=hobbies%20leisure%20and%20sports%20capitalism&f=false zuletzt aufgerufen 13.10.2020)
Bildquellen:
Collage I © Liz, In der Collage zu sehen: Pinterest (2020): ölü zihinler •Anket•, Online unter: https://www.pinterest.de/pin/41165784082729224/?nic_v2=1a2aNdQEL [zuletzt aufgerufen: 15.10.2020].
Collage II © Liz, In der Collage zu sehen: Pinterest (2020): KatyChamberChorus, Online unter: https://www.pinterest.de/pin/562950022165130923/?nic_v2=1a2aNdQEL [zuletzt aufgerufen 15.10.2020].
Collage III © Liz, In der Collage zu sehen: Pinterest (2020): Katrien Brys, Online unter: https://i.pinimg.com/originals/ae/ec/27/aeec276e58e23749fdef3b971ead7634.jpg [zuletzt aufgerufen 15.10.2020].