Fragmente des Sommers

Es riecht nach Herbst und tiefstehende goldgelbe Sonnenstrahlen lösen die gleißend hellen Sommertage ab. Wir wollen diesen besonderen Sommer aber noch nicht so ganz ziehen lassen, deswegen haben Shirin, Karla und Rike ihn festgehalten. In Bildern, Worten, Farben und Tönen kommt er jetzt noch einmal zu uns zurück: Was war neu, was war vertraut? Ist es leichter oder schwerer geworden, sich nahe zu kommen? Gab es neue Freiräume und wenn ja, welche?


Sommerstraßen (Friederike Schick)

Wir sitzen an der Straße und es ist ein bisschen so, als hätten wir alle lange an einem Ort Urlaub gemacht, an dem wir nie sein wollten. Als hätten wir uns lange nicht gesehen, obwohl wir uns natürlich immer mal gesehen haben. Beim Spazierengehen meistens. Aber jetzt sehen wir uns wieder so wie wir sind, wenn wir mit Leben gefüllt sind.
Die Wärme des Bürgersteigs erzählt von der Hitze des Tages, die langsam von der warmen Luft einer Sommernacht abgelöst wird. Das Bier perlt seine Kioskkühlschrank-Kälte in meine Hand und wir sitzen da und atmen die helle Leichtigkeit des beginnenden Abends ein.
Frei in den Grenzen unserer eigenen Stadt. Frei im Radius von Eckkiosk, Kneipe und Park. So viel mehr Freiheit in kleinen Räumen, so viel mehr Grenzenlosigkeit, weil wir sie gemeinsam erleben können. Weil da ein ausgelebtes Wir sein kann. Mehr braucht es nicht, um all die Möglichkeiten zu realisieren, die unser Übermut auf die Straßen trägt.
Meine Füße fühlen sich rau an vom vielen Barfußlaufen auf warmen Asphalt. Dabei beginnt der Sommer gerade erst richtig. Ein Sommer erfüllt von dem Gefühl, am richtigen Ort zu sein. Ein ganzer Sommer voller Zufriedenheit. Voller Zigarettenglimmen in warmen Nächten. Gefüllt mit dem Lächeln fremder Menschen und innerer Offenheit.
Und all das sich Wegsehnen hört endlich auf, weil wir unser Hiersein wieder gemeinsam leben können.


Leerräume – Friederike Schick

„Ich mache Insel-Urlaub. Inseln, in einer Stadt, die mich erfüllt und zugleich erdrückt. Orte, die mir erlauben abzutauchen, Energie zu tanken und aus zu atmen. Ich suche nach Inseln und finde sie. Nicht immer, nicht sofort, doch es gibt sie. Ich mache Urlaub auf meinen Inseln – und was machst du? Was, wer oder wo sind deine Inseln?“

(Karla Kabot)

Fahrtwind – Friederike Schick

Raumgedanken (Karla Kabot)

Ich will nicht zurückkehren in mein altes Ich. In

diesen Alltag, die vertrauten Räume.

Jene Gedanken, jenes

Abwiegen von Leben.

Jetzt schau ich mich an

Und frag mich

Bin ich das noch?

War ich das je?

Wer war das, die da in deinen Armen lag, dich küsste, dich biss, dich packte und zärtlich erfühlte?

Und wer ist die,

die da denkt,

denkt und denkt, wie sie sich wohl fühlen würde, wenn sie auch mal tun würde,

was sie denkt.



Was ist Lebendigkeit und wie geht das nochmal?

„Schweiß, Gestank und Atemnot: die Fahrt zum See. Der erste Schwimmzug und alles ist vergessen.
Wenn wir im Freiluftkino sitzen und mit all den anderen fremden Menschen lachen und weinen, die plötzlich und stetig weder fremd noch anders sind.“

(Karla Kabot)


© Shirin Krastel

Sommer in Luxembourg (Friederike Schick)

Wir laufen zwischen den Kornfeldern und Sommerwiesen bergauf. Es ist heiß und trocken. So heiß und so trocken, dass wir uns abends den Staub von unseren verschwitzten Körpern reiben müssen, den die Traktoren im Vorbeifahren über uns aufgewirbelt haben. Es ist ein bisschen wie in Schweden. Die Wiesen sind hoch und voller Summen. Alles riecht nach Gräsern und ist gesprenkelt vom Farbtrio des Sommers.
Rot-orange Mohnblüten in der Farbe, wie sie vor den Augen flimmert, wenn man sie an einem hellen Sommertag für einen kurzen Moment schließt. Blau-lila Kornblumenfetzen zwischen goldenen Ähren, umarmt von weißgelben Kamillenblüten. Ich muss an Michel aus Lönneberga denken, denn ich kann zwischen diesen schmalen Feldwegen ein auf- und zuschwingendes Gattertor vor mir sehen, auf dem ein weißblonder Junge sitzt und sich Münzen verdient, wenn die Kutschen vorbeifahren.
Die Kühle des Waldes lässt uns kurz aufatmen. Es riecht nach Moos und Pilzen. Wenn Grün ein Geruch wäre, dann würde es so riechen. Satt und voller kühler Tiefe. Wie ein Sprung in einen großen See an einem heißen Sommertag. Die erste Kälte lässt Herz und Atem kurz stocken, doch dann wird alles um einen herum für einen Moment dunkel und still. Die Kühle liebkost die Haut, schmiegt sich um den Körper. Alles verlangsamt sich. Alle Töne sind abgeschaltet. Nur noch dumpf sickert das Leben durch die Wasseroberfläche zu einem hinab.


© Shirin Krastel

vollschön (Karla Kabot)

Du, ich liege gerade in meinem Bett und mir ist kalt. Und

ich wünschte, du könntest die Person sein, mit der ich all die Erfahrungen mache, von denen du sprichst. 

Ich lag in deinen Armen und wünschte mir Zeit. Dass es nicht aufhört. Dass die Kirchenglocken aufhören würden zu schlagen. Dass der Tag nicht kommt. Dass bleibt, was ist. Dass ich in deiner Umarmung wachse. 

Ich würde dir gerne schreiben. Dass die Häuser von der Sonne gerade leuchten. Dass ich heute diesen Song gehört habe, der mich zum Lächeln gebracht hat. Dass die Straßen, durch die ich gerne mit dir gehen würde, schon nach Herbst riechen. Dass ich voll viel an dich denke. 

Aber keine Sorge. Ich habe viel zu viel Angst vor deiner Reaktion. Vor den bedienten Klischees. Vor meiner Scham. Vor meiner Verletzlichkeit. 

Also lieg ich bloß da

Und erinnere mich an die Wärme des Sommers.


Lust auf mehr Sommer?

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