Endo-was?

Text: Celine Giese mit Auszügen von Marie | Fotografien: Damaris Raab & Celine Giese

Dieser Text ist der erste Teil einer Reihe über Endometriose. In insgesamt vier Beiträgen beleuchten wir die Krankheit und einige der Schwierigkeiten mit denen sich Betroffene konfrontiert sehen – von Diskriminierung auf der Arbeit und Sexismus im Gesundheitssystem hin zu der Intersektion mit anderen Krankheiten und Schwangerschaft. Falls ihr oder Personen in eurem Umfeld betroffen sind, findet ihr am Ende weiterführende Literatur sowie Hilfsangebote.

Mathilda stellt sich vor, sie trüge einen Maulwurf in sich, der sich emsig durch ihren Unterleib gräbt, seine festen Krallen in sie schlägt, um sich einen Weg zu bahnen zwischen Gebärmutter und Harnblase, Muttermund und Enddarm, der sich ihre Wirbelsäule hinauf windet, dabei einzelne Muskelstränge zur Seite biegt, sich entschlossen dazwischen drängt. Dieser wiederkehrende Besucher ist ein Bekannter seit vielen Jahren. Ist ungebetener Gast, macht Umstände, tobt, er scheint ihr schlecht gelaunt, beinahe cholerisch; doch sie wird panisch, wenn er sich nicht wie gewohnt pünktlich anmeldet oder gar fernbleibt. 

ENDO- WAS?
Der Maulwurf heißt Endometriose, En-do-me-tri-ose, und mit ihm hat Marie, von der die Kurzgeschichte Mathilda stammt, bereits seit Jahren zu kämpfen. Bei der chronischen Erkrankung wächst Gewebe ähnlich der Gebärmutterschleimhaut außerhalb der Gebärmutter, z.B. an den Eierstöcken oder im Bauch- und Beckenraum. Das Gewebe reagiert auf bestimmte Hormone und baut sich mit dem Menstruationszyklus periodisch auf und ab. Mit Blutungen werden Teile des Gewebes zwar abgestoßen, können den Körper jedoch nicht verlassen und stauen sich zu Endometrioseherden an, woraus sich später Zysten bilden. Diese Prozesse können zu “chronischen Entzündungen, Vernarbungen und Verwachsungen der betroffenen Gewebe” führen. Dies verursacht oft starke Schmerzen. In Deutschland sind circa zwei Millionen Menschen von Endometriose betroffen. Auch bei Marie wurde die chronische Erkrankung 2018 über eine Bauchspiegelung festgestellt. Obwohl mittlerweile eine Diagnose per Ultraschall möglich wäre, erfolgt diese oftmals noch über den operativen Eingriff. Damit die Diagnose über Bildgebungsverfahren zuverlässiger wird, fordert die Endometriose Vereinigung, ein Verein, der sich für die Interessenvertretung von Betroffenen einsetzt, die Förderung von Verfahren wie dem transvaginalen Ultraschall und dem Bauchraum-MRT für die Endometriose Früherkennung. Eine Bauchspiegelung hat den Vorteil, dass bei ihr bereits direkt mit der chirurgischen Therapie begonnen werden kann, sollten Endometrioseherde gefunden werden. Sie bringt jedoch auch Risiken mit sich. 

Marie bemerkt am Tag nach der OP zusätzliche Schnitte und vermutet daher, dass bei der Bauchspiegelung tatsächlich etwas gefunden wurde. Offiziell wird ihr dies jedoch erst einige Tage später mitgeteilt. Als sie die Diagnose erhält, weint Marie. „Das ist nichts Schlimmes“, sagt die Ärztin. Nicht schlimm, dass sie jedes Mal, wenn sie ihre Periode bekommt, für mindestens zwei Tage ausgeknockt ist. Nicht schlimm, dass ihre Schmerzen in den Rücken und die Beine ziehen, sie nur erschwert laufen und manchmal nicht sprechen oder denken kann. Nicht schlimm, dass sich diese Schmerzen über die Jahre verschlimmern und sie irgendwann nicht nur während, sondern auch abseits der Periode auftreten. Nicht schlimm, dass sie ständig voraus planen, ihr Leben nach ihren Schmerzen ausrichten muss. 

Im Durchschnitt vergehen vom Auftreten der ersten Symptome bis zur Diagnosestellung sechs Jahre, bei Patient:innen, die aufgrund von starken Schmerzen eine Diagnose ersuchen, sind es oftmals sogar bis zu zehn. Auch Marie kam erst auf die Idee, dass sie krank sein könnte, als sie eine Verwandte auf Endometriose aufmerksam machte. Da war sie Anfang 20. Zuvor wurden ihre Schmerzen in ihrem Umfeld normalisiert. In ihrer Schulzeit hat Marie ständig die Sorge, dass Lehrer:innen ihr unterstellten zu simulieren, wenn sie von der Schule abgeholt werden musste und erst Jahre später erhielt Marie durch die Diagnose die Bestätigung, dass ihre Schmerzen nicht normal sind. „Und wofür das Ganze?“, fragt sie sich monatlich. „So viele Schmerzen, so viel Körpereinsatz für ein bisschen Blut“.

Manchmal lässt sich der Maulwurf besänftigen, indem sie sich eine mit kochenden Wasser gefüllte Gummihülle auf den Bauch presst. Mit ein wenig Glück ruht er dann, verweilt, kugelt sich zusammen und drängt sich von innen an ihre Bauchhöhle; so strebt er der Wärmequelle entgegen und rollt sich nur noch ab und an schläfrig von der einen auf die andere Seite. An manchen Tagen hilft auch das nicht und der Maulwurf ignoriert Bestechungsversuche konsequent. Ihre Haut trägt stattdessen rote Flecken von der Wärmflasche davon, die sie sich ungeschützt auf die nackte Haut legt. Sie versucht dann, sich auf das Brennen an der Oberfläche zu konzentrieren, um das Tier auszublenden. Es scheint ihr, als fräße es sich erbarmungslos durch sie hindurch, riss vehement an ihrer Schleimhaut wie an ungeliebten Tapeten, es spuckt sie lieblos hinaus, damit sie die Reste ausbluten kann, nur um kurz darauf die nächste Raufaserschicht pedantisch aufzuziehen. 

Einige Monate nach der Diagnose entschied sich Marie dafür, die von ihrer Frauenärztin verschriebene Pille zu nehmen, die die Periode aussetzen sollte. Auf Schmierblutungen wurde sie vorbereitet, der Körper müsse sich zunächst daran gewöhnen. Marie blutete jedoch ein halbes Jahr und hatte unentwegt Schmerzen. In der Zwischenzeit war sie in eine andere Stadt gezogen und stand daher ohne eine feste medizinische Betreuung da. Wenn sie sich bei Ärzt:innen meldete, wurde sie bereits am Telefon mit „Das ist normal“ abgewimmelt. Als sie schließlich eine neue Frauenärztin fand, war diese zunächst irritiert: Die Pille, die Marie verschrieben worden war, ist nicht explizit auf die Behandlung von Endometriose ausgerichtet. Zwei Tage nach ihrer Absetzung hörte Marie auf zu bluten. Und die Schmerzen? Waren auch weg, das erste Mal seit Monaten. Als sie das merkte, weinte sie. Aus Erleichterung und Erschöpfung, aus Fassungslosigkeit und Wut. „Ich hatte mich damit eingerichtet und so viel Lebensqualität verloren.“

Das Rot tropft aus Mathilda heraus, wenn sie über Keramik hängt, um den leeren Magen zu entkrampfen, in ihr alles und nichts und dann der Wunsch nach einer Zigarette. Nur noch selten lässt sich der wütende Erdwühler mit Tabletten betäuben. Sie könnte etwas Härteres mitgehen lassen, mit viel Glück und Sorgfalt die Kontrollen umgehen und die Werte in den Unterlagen fälschen. Morphium würde helfen. 

Auch die neue Pille setzte sie nach einiger Zeit wieder ab, da diese bei ihr depressive Stimmungen hervorrief. Der lange Zeitraum bis zur Diagnosestellung, starke Schmerzen, Schwierigkeiten bei der Arbeit, im Studium oder in der Schule und soziale Isolation wirken sich auch auf die Psyche der Betroffenen aus. Einer Studie aus dem Jahr 2011  zufolge leiden 48% der Endometriose-Betroffenen unter milden Depressionssymptomen und 16,7% unter einer moderaten bis schweren Depression (Schute, 2011). 62% haben mit milden Angstsymptomen und 31,4% mit einer moderaten bis schweren Angststörung zu kämpfen. Marisa, mit der wir ebenfalls über ihre Endometriose gesprochen haben, hat durch die Krankheit eine Angststörung entwickelt, wegen der sie nun in Therapie ist: „Ich versuche Situationen zu vermeiden, in denen die Schmerzen unpassend wären; was ganz schön viele sind”. Auch das Risiko für andere stressbezogene Erkrankungen, aber auch ADHS und Alkohol- und Medikamentenabhängigkeiten wird durch Endometriose erhöht. Gängige Hormonbehandlungen, wie die mit Gestagen oder GnRH-Analoga können zu Nebenwirkungen wie Depressionen, Gewichtszunahme, Schlafstörungen und Kopfschmerzen führen. Gerade bei psychischen Vorbelastungen kann es daher zu Depressionen kommen. Ibuprofen und Buscopan Dragée hat Marie mittlerweile immer dabei und auch die Wärmflasche hat sie schon mal mit zu Univeranstaltungen genommen, als es nicht anders ging.

Mathilda fühlt sich oft um ihre eigenen Gedanken und Gefühle betrogen, weil er sie so sehr einnehmen kann. Sie intensiviert, sie polarisiert. „Das war gar nicht echt. Das warst ja nur du.“ denkt sie dann und unweigerlich stellt sie sich jedes Mal erneut die Frage, wie sehr „er“ nur bestimmte gedankliche Weichen stellt, die sie allein zu ergründen nicht fähig ist. 

Schlimm genug?
Vorausplanen gehört mittlerweile zu Maries Alltag; genügend Essen im Haus zu haben, von Zuhause aus zu arbeiten, Außerhaus-Termine von vornherein vermeiden und Verabredungen abzusagen, wenn es nicht geht. Für die eigenen Bedürfnisse einzustehen ist schwer, vor allem wenn einem das Umfeld mit Erwartungen begegnet. Zum Beispiel die Erwartung, Zuhause im Bett zu bleiben, wenn eine Verabredung abgesagt wurde – obwohl ein Spaziergang gut tun oder drei Stunden später die Ablenkung durch ein Treffen helfen könnte. Und dann gibt es auch die Erwartung, nicht oder nicht so viel darüber zu reden. Bei einem Gesundheitscheck bekam Marie von der Ärztin einmal gesagt, dass man „manche Sachen auch mal gut sein lassen und akzeptieren müsse, was man nicht ändern kann”. Doch Betroffene können die Schmerzen nicht einfach „mal gut sein lassen“; die Lebenserfahrungen mit Endometriose müssen anerkannt und sichtbar gemacht werden. Für Marie bedeutet die Erkrankung monatliche Schmerzen, durch die sie mindestens zwei Tage komplett flach liegt und das, seit sie 12 Jahre alt ist. Wenn nicht durch akute Schmerzen, dann aufgrund der Erschöpfung der Schmerzintervalle oder PMS (prämenstruelles Syndrom). „Ich musste erst lernen, dass mein Schmerz nicht normal ist und dass es okay ist, darüber und über die Einschränkungen, die ich dadurch habe, abgefuckt zu sein”, erzählt Marie. 

Eigentlich hatten sie sich angefreundet, mit der Zeit, seit sie damals das erste Mal blutete – wenige Tage nach ihrem zwölften Geburtstag. Ein unspektakulärer Ablauf, sie fragte eher genervt nach Hilfe. Ihre Mutter holte an dem Abend einen Talisker aus der Vitrine, um auf das „Frau-werden ihrer Tochter“, wie sie es nannte, anzustoßen. Sie goss beiden einen kleinen Schluck ein. „Man gewöhnt sich daran.“ sagte ihre Mutter und hob das Whiskyglas. Die goldbraune Flüssigkeit schmeckte nicht nach Torfrauch und süßen Früchten, wie es auf dem Etikett stand, vor allem brannte sie. Und die wirklichen Schmerzen kamen erst später.“

Endometriose kostet Kraft
Nötig ist ein Systemwandel hin zu einem System, in dem Ärzt:innen Zeit für ihre Patient:innen haben und informiert sind. Weg von einem kapitalistischen Abwägen darüber, welche:r Patient:in die Zeit mehr braucht, hin zu einem System, das Zeit für Empathie bietet. „Mittlerweile macht es mich wütend, gesagt zu bekommen, dass das nichts Schlimmes sei”, sagt Marie. Betroffene müssen ernst genommen werden und ihre eigenen Bedürfnisse einfordern können, auch vor Autoritätspersonen. Sei es beruflich durch Möglichkeiten wie das Home Office oder im Privaten. Die Endometriose Vereinigung fordert daher eine Vergütung der Diagnose Gespräche und die Sensibilisierung von Fachpersonal sowie eine Möglichkeit von telefonischen Krankschreibungen. Gleichzeitig sei es auch wichtig, sanft zu sich zu sein, denn „Endometriose kostet Kraft”, sagt Marie. „Ich will es nicht unangenehm machen für andere Personen, aber ich will auch nicht mich selbst darin begrenzen, wie ich über mich selbst und meinen Körper spreche. Ich muss keine Aufklärungsarbeit leisten, aber ich habe gelernt, mir selbst zu erlauben, jedes Mal neu zu entscheiden, ob und wie ich darüber reden möchte.”

Quellen & weiterführende Literatur
Die kursiven Absätze sind Auszüge der Kurzgeschichte „Mathilda„, in der Marie ihre Endometriose-Erfahrungen als prädiagnostische Geschichte literarisiert. Sie wurde 2019 in der Literaturzeitschrift BELLA triste Nr. 55 veröffentlicht. Wenn ihr noch mehr von Marie hören möchtet, klickt euch in die Podcastfolge rein, in der sie von den Auswirkungen ihrer chronischen Erkrankungen auf ihr Studium erzählt. Aufhänger hierfür war das Thema „Studienzweifel”.

Schute, L.K. (2011). Prävalenz von Depressionen und Angststörungen und ihre Einflussfaktoren bei Frauen mit Endometriose. (Dissertation, Medizin). Medizinische Fakultät Charité – Universitätsklinikum Berlin, 09.09.2011.

Hier findet ihr Angebote für Betroffene und Angehörige:
[KONTAKT] Die Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. bietet eine Telefon- oder Videoberatung durch betroffene Frauen und/oder psychologisch ausgebildete Beraterinnen an:
0341 – 3065304 // info@endometriose-vereinigung.de // Endometriose Vereinigung auf Instagram

[SOCIAL MEDIA] Endometriose-App

[VEREIN] Endosilence – Verein für geschlechtergerechte Medizin

[BUCH] Pain and prejudice von Gabrielle Zevin

[WEITERFÜHRENDE LITERATUR] Literaturtipps von der Endometriose Vereinigung

  1. Pingback: Hoffnung im Prozess – sai

  2. Pingback: „Wenn ich an Endometriose denke, denke ich hauptsächlich an Schmerz” – Von Endometriose und Kinderwunsch – sai

  3. Pingback: Wartungsintensiv – Besuche zwischen blassgelben Wänden – sai

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Gefällt dir das sai-magazin?