von Lisann Mai
Von Stadtfesten, Edeka- und Obi-Logos, über „Abitur 2004“ bis zu unzähligen Aufschriften von kleinstädtischen Sportvereinen, aber auch Markenware, konnte ich alles betrachten. Die deutschen oder niederländischen Aufschriften auf getragenen T-shirts in Kumbo, einer Kleinstadt in Kamerun, sind mir ständig aufgefallen. Ich war schon sehr erstaunt, als ich ein T-Shirt des in Deutschland benachbarten Stadtteilsportvereins gesehen habe.
Aber von vorne: Nach meinem Abitur absolvierte ich einen weltwärts-Freiwilligendienst in Kumbo, einer Kleinstadt im anglophonen Teil Kameruns. Dort ist mir ein globales Phänomen besonders aufgefallen und es lässt mich auch nach meinem Auslandsaufenthalt nicht wirklich los: Kleidung und deren Verteilung. Dabei meine ich nicht jegliche Kleidung, sondern Altkleider. Besonders am Anfang meiner Zeit in Kumbo sind mir getragene T-Shirts ständig aufgefallen, die eine niederländische oder deutsche Aufschrift haben. Zu Anfang habe ich mich häufig gefragt, ob die Tragenden wissen, was auf ihrer Kleidung steht. Schnell habe ich gemerkt, dass dies vermutlich nicht der Fall ist. Mit einer kamerunischen Freundin war ich auf dem Second Hand Markt in Mbve, dem Mainmarket in Kumbo. Einmal wöchentlich gibt es Bett- und Unterwäsche, Socken, Pullis und eben besagte T-Shirts ab 100 franc zu kaufen, was in etwa 15 Cent sind. Diese Preise haben mich wirklich erschreckt, finde ich doch schon die Preise von Primark und Co. verwerflich billig.
„Ich shoppe mir die Welt, wie sie mir gefällt“
Da mich dieses Thema nicht mehr losließ, habe ich angefangen zu recherchieren und mich erst einmal auf die Spuren der First-Hand Kleidung gemacht. Durch den Film The True Cost und anderen Dokumentationen, Berichten oder Einträgen, wird der konsumierenden Gesellschaft, also mir und dir, vor Augen geführt, was für klimatische und gesellschaftliche Folgen Fast Fashion – also schnelllebige Mode, die von großen Ketten verkauft wird – hat. Die mit Pestiziden belastete Baumwollproduktion ist extrem gesundheitsschädlich, Näher*innen arbeiten in überfüllten, stickigen Fabriken für einen Hungerlohn und chemische Bleichmittel gelangen zum Teil durch fahrlässige Vorschriften ins Grundwasser und somit auch in unser Ökosystem.
Wie verrückt ist es doch, dass sich ein großer Teil der Bevölkerungen des Globalen Nordens wünscht, immer mehr und noch günstigere Kleidung zu bekommen.
Second Hand = Nachhaltig. Oder überschätzen wir uns da?
In Deutschland gibt es schon seit einigen Jahren den Trend zu Second-Hand. Gründe dafür könnten sein, dass etwas schon Getragenes besonders hip aussehen kann und durch häufige Waschvorgänge Schadstoffe des Produktionsprozesses nur noch abgeschwächt in den Kleidungsstücken vorhanden sind. Zudem wird erst einmal Kleidung aufgetragen, anstatt die Nachfrage nach immer wieder Neuem zu erhöhen. Eigentlich doch ein guter Ansatz und nachhaltiges Denken, oder? Genau das könnte man ja auch von den Altkleidern in Kamerun behaupten. Schon getragene Kleidungsstücke in Länder des Globalen Südens zu verschiffen, sei erst einmal nachhaltig. Aber was spricht gegen das vermeintlich ehrenhafte Motiv? Woher kommt überhaupt die Second-Hand Ware, die auf dem Markt in Mbve verkauft wird? Wieso sind besonders oft deutsche Aufschriften abgebildet? Das heißt wohl, sie müssen aus Deutschland exportiert worden sein. Aber woher genau in Deutschland kommt diese Kleidung, die zum Teil noch wie neu aussieht? Einzelne Haushalte oder Sportvereine werden wohl nicht ihre herausgewachsenen und verwaschenen Klamotten eigenständig in Länder des Globalen Südens verschiffen.
Mit Altkleidern im Gepäck um die halbe Welt
In Kumbo habe ich einmal einen großen Stoffballen gesehen. Dieser war mit Seilen zusammengeschnürt und wurde auseinandergefaltet; die Kleidung fiel sofort auseinander. Täglich kommen unzählige Stoffballen auf Mbve an. Die Händler*innen wirken nahezu überfordert mit der Vielzahl an Klamotten.
Dokumentationen der ARD und Arte zeigen: viele Schuhe und Klamotten werden aus deutschen Altkleidercontainer in Länder des Globalen Südens verschifft. Noch gut erhaltene Kleidung, die aber nicht mehr dem eigenen Geschmack entspricht, wird nicht nur an deutsche Bedürftige weitergegeben, sondern verschifft und in Ländern des Globalen Südens auf Second-Hand Märkten oder auch in Geschäften verkauft. Viele Organisationen, darunter auch das Deutsche Rote Kreuz, arbeiten mit gewinnorientierten Unternehmen zusammen. Diese sammeln die Kleidung aus den Containern ein, sortieren sie und bündeln sie gepresst in Stoffballen. Für den Globalen Süden hat das zum Teil fatale Folgen: Durch den Import von Second-Hand Waren geraten lokale Schneider*innen in Existenznöte. So bemerkte ich in Kumbo selbst, dass geschneiderte Kleidung deutlich teurer ist. Von Einheimischen wird sie nicht mehr bevorzugt getragen und gekauft. Wenn auch ästhetischen Gründe mit reinspielen können, musste ich oft beobachten, dass die lokal geschneiderte Kleidung eher aus finanziellen Gründen weniger getragen und gekauft wird.
Stoppt Altkleidercontainer!
In diesem perfiden System wird also der ehrwürdige Gedanke, Hilfsbedürftigen etwas Gutes zu tun, ausgenutzt, um auf Kosten der lokalen Textilindustrie und deren Angestellten Profit zu erwirtschaften. Dies ist ein Beispiel für Globalisierung, wie sie nicht funktionieren sollte.
Unternehmen des Globalen Nordens haben einen großen Einfluss auf kleine Unternehmen und Selbstständige, in diesem Beispiel Schneider*innen, und bringen diese in Existenznöte. Für einige lohnt es sich vom Schneidern in den Verkauf von Second-Hand Ware umzusteigen. Das Verrückte an allem ist für mich jedoch, dass nicht unbedingt die Verkäufer*innen der Second-Hand Ware in Kamerun besonders viel verdienen, sondern die Unternehmen, die Altkleider von den Hilfsorganisationen aufkaufen und wieder weiterverkaufen. Die Folgen der Globalisierung sind unfair. Das habe ich aus meinem Freiwilligendienst mitgenommen. Auch nach meiner Rückreise beschäftigt mich der Kleiderkonsum.
Ich habe es geliebt, in Mbve aus dem Stoffmarkt nach Stoffen Ausschau zu halten und mir dann Schnitte herauszusuchen. Gespannt habe ich auf das Ergebnis meiner Schneiderin gewartet, war immer begeistert, wie diese Unikate entstanden sind und – für meine Verhältnisse – günstig waren. Dieses Beispiel ungerechter Handelsstrukturen durch die Globalisierung kann auch auf viele andere Wirtschaftsbereiche übertragen werden. So werden zum Beispiel Reste unseres Hähnchens, welche in Deutschland nicht verkauft werden, eingefroren und auf Märkten in Ländern des Globalen Südens für deutlich billigere Preise verkauft. Die Auswirkungen für Kleinbäuer*innen sind ähnlich zu denen der Schneider*innen in Kumbo. Ebenso ist das Kleidungs-Phänomen nicht nur auf Kumbo begrenzt; auch in vielen anderen Ländern kann man deutsche Sportjacken mit deutschen Aufschriften sehen.
Es ist also notwendig damit aufzuhören, Kleidung in Container zu werfen. Vielmehr ist es sinnvoll in den benachbarten Second-Hand-Laden zu gehen oder seine „alte“ Ware zu verschenken. Nur so können sich Unternehmen in Ländern des Globalen Südens eigenständig entwickeln und ein selbstständiges Wirtschaftssystem aufgebaut werden!