Text: Flora Jansen, Fotos: © Stand by me Lesvos, © Paul Stegemann
Moria hat schon immer gebrannt. Doch jetzt sehen es alle. Denn es brennt lichterloh.
In der Nacht vom achten auf neunten September entlud sich in Moria all der angestaute Frust, die Hoffnungslosigkeit und Wut. Menschen, die unter Verdacht von Covid-19 standen, wurden gewalttätig gezwungen, die Station und das Camp zu verlassen, um sich in einer alten Fabrikhalle östlich des Lagers einzufinden. Dann kam es zum Feuer. Möglicherweise Brandstiftung. Die Informationen sind noch wirr und ganz eindeutig steht die Ursache der Feuer nicht fest. Allerdings scheint die Frage danach, wer möglicherweise das Feuer gelegt haben könnte, dringender als die überfällige Kritik an der EU-Asylpolitik. In der Tagesschau vom 09.09.20 ist die Rede von ‚radikalen Migranten‘. Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
Die Lage für die Bewohner*innen von Moria hatte sich Jahr für Jahr verschärft. Von anfänglich 900 Personen bis hin zu zeitweise 21.000 Personen (Februar 2020) – und das alles in einem Lager, was für maximal 3000 Personen ausgelegt war. Zum Zeitpunkt des Brandes befanden sich 12.000 Bewohnende im Camp. Die humanitäre Lage vor Ort war prekär. Es war, als ob ‚Krise‘ sich hier in einem Dauerzustand eingenistet hätte. Für die Bewohnenden bedeutete dies ein Leben im Wartezustand. Warteschlange zum Essen. Warteschlange zum Trinken. Warten darauf, einen Asylantrag zu stellen. Und nun sind auch noch die wenigen Infrastrukturen verbrannt, die NGOs und Bewohnende sich aufgebaut hatten. „[I]ch stehe hier, wo gestern noch Hütten standen, wo eine ungefähre Struktur bestand“, beschreibt Niklas Fischer von Mission Lifeline in einem Interview mit der Tagesschau am 9.9.20. Ungefähr 80 % des Camps waren in der besagten Nacht verbrannt, vorige Nacht ging nun auch der letzte Rest des Lagers in Flammen auf.
Menschen halten sich auf der Zufahrtsstraße und umliegenden Wäldern auf. Sie schlafen im Freien und die Versorgung an Wasser und Nahrungsmitteln ist unzureichend. Auch der Informationsfluss ist schwer, beziehungsweise gar nicht vorhanden. „Sie haben keine Ahnung, was mit ihnen passiert. Es wird ihnen nichts mitgeteilt. Die Organisation ist eine Katastrophe. Hilfsorganisationen und Hilfsarbeiter werden von der griechischen Regierung und der Polizei davon abgehalten herzukommen. Lebensmittel, Wasser, all das kann nicht hierhergebracht werden, wo es gerade sehr, sehr notwendig ist.“ (Fischer, ARD)
400 besonders vulnerable Jugendliche wurden nach Thessaloniki gebracht. Ein großes Fährschiff für 1000 Geflüchtete sowie weitere Schiffe der Marine seien nun unterwegs, um als Übernachtungsmöglichkeit genutzt zu werden. Und alles, was die EU als realistische Maßnahme umsetzen zu schaffen meint, ist eine Verteilung von 400 minderjährigen Geflüchteten. 400?! Und was ist mit den restlichen 11.600 Menschen, die unter lebenswidrigen Bedingungen auf Lesbos warten?
Das ist ein Hohn für alle Menschen, die an den Außengrenzen der EU heute und schon seit Jahren aufgrund der Abschottungspolitik leiden. Denn das ist nichts Neues. Es handelt sich hierbei um kalkulierte Handlungen, die im Abwägen von Interessen bewusst Menschenleben aufs Spiel setzen. Ja, die Katastrophe war absehbar. Im vollen Bewusstsein der prekären Lage auf Lesbos und in all den anderen Lagern wurde nicht gehandelt. Es war eine Katastrophe, die zu verhindern gewesen wäre. Somit müssen wir ein für alle Mal und hoffentlich zum letzten Mal fordern:
Evakuiert die Lager! Wir wollen Menschen aufnehmen! #WirhabenPlatz
Moria war schon zuvor kein Ort, an dem ein menschenwürdiges Leben möglich war – jetzt ist er endgültig dahin und wir müssen handeln! Wir brauchen Direkthilfen, um die Menschen aus der lebensbedrohlichen Gefahr zu retten – und zwar sofort! Jeder Tag, an dem nichts geschieht, ist ein Verlorener! Wir brauchen zielstrebige und humane Wege, Menschen ans Festland und in die restliche EU zu bringen. Und wir brauchen bereits jetzt progressive und selbstbewusste Agenden, um Fluchtursachen zu bekämpfen, damit Menschen sich erst gar nicht in derartige Gefahren begeben müssen. Es gibt kein ‚Weiter so‘!
Auch die Rhetorik, mit der geflüchteten Menschen begegnet wird, muss aufhören. Denn sie ist genauso menschenfeindlich wie die unterlassene Hilfeleistung! Wenn die Rede davon ist, Geflüchtete „zu verteilen“, zeigt dies schon, wie bürokratisiert mit Menschen und Menschenrechten umgegangen wird.
Hier geht’s zur Petition: