Raus aus dem Schneckenhaus – Erfahrungen und Ergebnisse unserer kreativen Schreibworkshops

von Jale Pakhuylu | Illustrationen von Mathis Gilsbach

Kreatives Schreiben ist so eine Sache. Für manche ist es ein Werkzeug, um sich künstlerisch, oder politisch auszudrücken – ein Hobby, eine Leidenschaft. Andere verbinden mit dem Schreiben große Namen.
Sie stellen Dichter*innen und Poet*innen auf ein hohes Podest, welches sie selbst scheinbar nie erreichen können. Dabei ist Schreiben (fast) nichts anderes als Denken, wären da nicht die inneren Kritiker*innen, die zahlreiche Talentierte davon abhalten, einzigartige Texte zu kreieren.
Denn schließlich haben wir alle etwas zu sagen, oder?

„Deine Kreativität kannst Du nie aufbrauchen. Je mehr Du sie benutzt, desto kreativer bist Du.“ (Maya Angelou)

von: Mathis Gilsbach

Häufig sind es, wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, blockierende Glaubenssätze bspw. aus der Schulzeit, die uns glauben lassen, dass wir nicht gut genug sind, um zu schreiben.
Sie klingen in etwa so: ‚ich bin zu dumm‘, ‚ich bin unkreativ‘, ‚in Deutsch war ich schlecht‘, ‚so gut wie XY kann ich eh nicht schreiben‘.
Kommen dir diese Gedanken bekannt vor?

Wir sind der Meinung, dass in jedem Menschen ein unendliches Fass an Kreativität steckt und es sich lohnt, über den eigenen Schatten zu springen und sich im eigenen Ausdruck auszuprobieren.
Unter dem Motto ‚Raus aus dem Schneckenhaus‘ veranstalteten wir daher in den letzten Wochen Schreibworkshops, die sowohl Neueinsteiger*innen, als auch Schreibbegeisterte online bei einem assoziativ-kollaborativen Schreibexperiment zusammenbrachten. An zwei unterschiedlichen Tagen führten je zwei Workshopleitende eine Kleingruppe durch einzelne Assoziations- und Schreibaufgaben, um anschließend über die Erfahrungen und Erlebnisse der Teilnehmenden zu diskutieren.

„Many stories matter. Stories have been used to dispossess and to malign. But stories can also be used to empower, and to humanize. Stories can break the dignity of a people. But stories can also repair that broken dignity.“
(Chimamanda Ngozi Adiche)

Du hast auch Lust bekommen, das kreative Schreiben auszuprobieren? Dann mach dir deine Lieblingsplaylist, CD oder Platte an und stell dir einen Timer. Beginne damit, ein paar Minuten, ohne abzusetzen, ohne nachzudenken, die Worte einfach fließen zu lassen.
Wir konnten als Workshopteilnehmende feststellen, dass es anfängliche Blockaden sind, die den Schreib- und Ideenfluss hemmen. Es schien, als sei es einfacher zu schreiben, wenn der Kopf auf leise gestellt wird.
Im Laufe des Schreibprozessesplatzte bei einigen der Knoten, die Konzentration wurde höher und es entstand ein Flow in der Gruppe. Als dieser schon nach wenigen Minuten unterbrochen wurde, kam das allen viel zu früh vor, sie hätten noch weiter schreiben können.
Nach dem Schaffensprozess wurden im gemeinsamen Austausch Fragen aufgeworfen, wie‚ was ist eigentlich ein*e Künstler*in?‘ und‚ woher kommt der Leistungsdruck?‘.

Wir konnten beobachten, dass bei Schreibenden häufig der Druck herrscht, ein gutes Endprodukt abzuliefern. Sich aber dem Kreieren als Prozess zu öffnen, ohne auf den Output zu fokussieren, schuf ein völlig neues Schreiberlebnis. Neue Gefühle nach dem Call waren Freiheit, Offenheit, Einfühlsamkeit, Inspiration und Selbstliebe. Hach, wie schön!

Getreu dem asiatischen Sprichwort ‚wirf beschriebenes Papier nicht weg‘ (oder so ähnlich?) möchten wir mit euch einige tolle Ergebnisse unserer Schreibworkshops teilen. Die unterschiedlichen Werke zeigen, dass es beim Schreiben kein richtig oder falsch gibt.
Du bist einzigartig und genau dies sind auch deine Texte. Also raus aus dem Schneckenhaus und ran an die Stifte!

von: Mathis Gilsbach


Ergebnisse:


Bis wieder Freitag ist
Ballett bedeutet für Julia Schmerz, aber auch Glück; Hass, aber auch Liebe. Es ist der Sport, der so oft ihr Leben bestimmt. 
Am Freitag, wenn der Tag erwachsen und die Nacht noch unschuldig ist, beginnt Julias andere Liebe; ihre Pause: Techno. 
Es ist das Wummern der Beats, die Wärme des LSD, das durch ihren Körper fährt, wie ein Laster voll Glück.
Die Haare fliegen durch ihr Gesicht und kitzeln ihre Nase.
Doch das ist nicht das, was ihr Gegenüber beeindruckt, denn das Aussehen ist egal, wenn man die Seele des Anderen sieht.
Julias Körper wärmt sich in dem Mantel, breitet sich aus und schmiegt sich von innen an die zweite Haut.
Streift sie den Mantel über, vergisst Julia ihren Alltag.
Nur sie und der Takt.
Ich tanze, ich sehe, ich liebe, ich fühle, denkt Julia dann.
Wenn die Nacht wieder Morgen und das Blau des Himmels wieder Lila wird, wird sie den Mantel ausziehen, wie sie es immer tut.
Bis wieder Freitag ist.
(Flo)


Die Tänzerin
Ich lebe. Ich bin hier.
Im Jetzt in der Natur.
Wie konnte ich all das nicht sehen?
Die Farben erfüllen meine Seele.
Ich sehne mich nach Ihnen.
So lange nicht gesehen.
Ich kann es spüren. Mein Herz.
Es reißt sich los von allen Ketten.
Ich bin schwerelos und frei.
Diese Kraft und diese Fülle.
Sie steigt auf in mir.
Sie war so tief vergraben.
Nun da, um mich zu tragen.
Ich blicke hoch und blicke um mich.
So verbunden mit der Welt.
Ich tanze, ich sehe, ich liebe und fühle.
Ich tanze, ich atme, ich springe und berühre.
Ich tanze, ich tanze, ich tanze, ich tanze.
Die Welt hat mich zurück.
(Feli)


Die Tänzerin II
Sie kann nicht anders. Sie möchte die Grenzen vergessen, vor allem die Vergangenheit. Das erste Mal seit 10 Jahren beginnt sie zu tanzen.
Aus dem Nichts bewegt sich ihr Körper mitten auf der Straße.
Wie in Trance zieht sie die Welt in ihren Bann. Die Tropfen prasseln auf ihre Haut. Sie sehnt sich nach ihnen. Streckt ihr Gesicht ins kühle Nass.
Wo war sie nur die ganze Zeit?
Wie konnten der Schmerz, die Enge und die Angst ihr alles nehmen?
All das was sie liebt? Oder liebte?
Nein! Sie spürt es in sich. Es ist noch da. Wird sie befreien, endgültig und diesmal für immer. Sie öffnet die Augen und schaut mir ins Gesicht:
„Ich tanze, ich sehe, ich liebe, ich fühle“.
(Feli)


Hass erfüllt meine Seele. Wenn ich nur an die unerträglichen Schmerzen zu denken vermag, ist der einzige Gedanke den ich fassen kann: Resignation. Ich gebe alles zu jeder Zeit an jedem Ort für jedermann.
Und doch ist das Wort, welches niemals verblassen wird und wie ein Stern über dem Nachthimmel steht um mich jederzeit zu begleiten, umgeben von einem handlungsleeren Raum. Nichts wird jemals in diese Welt gelangen, welches dieser eine sinnstiftende Vergangenheit verleiht.
Es wird der Tag kommen an dem Taten nur als Nachhall in der Ewigkeit erklingen und jeder noch so triftiger Grund auf die eine Singularität zusammenschrumpft: Resignation.
Ich lass mich fallen und tauche ab. Tief in der amorphen Masse der Resignation ringe ich geduldig um Halt. Doch je schneller die Zeit gerinnt, desto ununterscheidbarer füge ich mich ein, in die Erbarmungslosigkeit der Resignation.
(Tim)


Nachtschwärmer
Wir stehen an der Bushaltestelle in der Stille der Nacht. Warten auf den Abschied. Warten auf den Bus, der dich ins Ungewisse bringt. Die Freiheit willst du liebkosen, einfach ins Leben hineinspringen. Und ich hab dich nur verwundert angeschaut, war zu feige dir hinterherzuspringen, dem Ruf des Ungewissen zu folgen. Ich habe Respekt vor deiner Entscheidung aber auch Angst. Du wirkst so schwerelos und leicht wie ein Lufthauch. Wie eines der Glühwürmchen die über uns ihre Bahnen ziehen. Ich habe Angst, dass du davonfliegst, schwerelos und umhergewirbelt von den Stürmen des Lebens.
Und doch, als der Bus kommt, sagt mir eine leise Stimme im Herzen, es dir nachzutun und mich einzulassen auf diesen Aufbruch ins Ungewisse. (Mathis)


Home coming
Die Haare fliegen durch sein Gesicht und kitzeln seine Nase,
doch das ist nicht was mich – sein Gegenüber – beeindruckt,
denn das Aussehen ist egal, wenn man
die Seele des Anderen sieht.
In den dunklen Augen spiegeln sich Schmerz,
aber auch Glück, aber auch Hass,
In den dunklen Augen spiegelt sich Liebe.
Ich tanze, ich sehe, ich liebe, ich fühle,
wenn ich ihm ins Gesicht sehe.
Mein Körper wärmt sich in dem Mantel, breitet sich aus
und schmiegt sich von innen an die zweite Haut.
So fühlt es sich also an, anzukommen.
Jetzt bist du nicht mehr du, sondern mein
Das Zuhause, was ich nie wollte.
Zuhause bedeutet für mich Schmerz aber auch
Glück und Hass, aber auch Liebe. 
(Jale)


Mein Körper spürt diese Lebendigkeit, wenn ich das Gefühl habe fliegen zu können. Ballett ist mein Ausdruck. Der Ausdruck meiner Seele. Der Schmerz des harten Trainings ist in dem Moment des Glücks, in dem ich über den Tanzsaal schwebe vergessen. Es gibt nur diesen Moment. Er ist alles, was zählt. Der wärmende Mantel in meinem Leben ist der Tanz. Ich fühle mich bei jedem Schritt, den mich meine Spitzenschuhe tragen, geborgen.
(Jelena)

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