Text von Flora Jansen| Illustrationen von Flora Jansen, Mathis Gilsbach, Friederike Teller und Lea Schön
Diskursive Gedanken über Jargon, Diskrepanz und Narrativ
Was soll eigentlich all dieser universitäre Jargon? Fühle ich mich wirklich wohl damit oder springe ich nur auf einen elitären Zug auf? Ist er ein notwendiges Instrument, sich im allgegenwärtigen Machtkampf im Diskurs – hups, schon wieder so ein Wort! – in irgendeiner Weise zu behaupten? Wen schließen wir ein, wen aus, je nach dem, welche Worte wir wählen?
Wissenschaftlerinnen versuchen, relevantes Wissen hervorzubringen und in die Gesellschaft zu tragen. Faktisch jedoch, erreicht momentan ein großer Teil der Erkenntnisse der unerschöpflichen Wissensproduktionsmaschinerie, im Fachjargon auch Universität genannt, uni-ferne Menschen nicht. Texte werden produziert, von anderen Wissenschaftlerinnen gelesen, kommentiert und rezipiert. Dass wir im Elfenbeinturm mal das Stockwerk wechseln und bei einer anderen Wissenschaft vorbeischauen, ist da dann schon das Revolutionärste, was passieren kann!
Jargon reduzieren
Es fängt schon innerhalb der Uni an. Es herrscht eine regelrechte Klassengesellschaft.
Studierende beteiligen sich oftmals aus dem Grund, „man könnte sich ja als Unwissender outen“, an Diskussionen nicht. Dadurch missen wir einen großen Teil des vorhandenen Wissens – und das nur, weil jemensch abgeschreckt und verunsichert ist?! Auch im fächerübergreifenden Gespräch ist dieses Problem deutlich erkennbar: Dass ich einem Gespräch zweier Kommilitoninnen aus der Psychologie nicht folgen kann, liegt zu 90% daran, dass ich die Begriffe nicht verstehe. Wie soll es denn dann jemandem gehen, derdie noch nie mit jeglicher Form von „universitärem Sprech“ in Berührung gekommen ist?
Deshalb muss ein Umdenken stattfinden, sodass wir den Bezug zur Lebensrealität der meisten Menschen nicht zu verlieren. Wir müssen Sprache inklusiver zu gestalten! Also so, dass möglichst viele Menschen am Gespräch teilhaben können. Der erste Schritt dorthin wäre, den Fachjargon und ellenlange Schachtelsätze im Alltagsgespräch, aber auch in Veröffentlichungen zu reduzieren. Ansonsten hilft es nämlich wenig, wenn wir in der Anthropologie über Verteilung von Macht und Ungleichheiten im Diskurs theoretisch nachdenken. Wir müssen die Ideen im alltäglichen Leben auch umsetzen! Darin müssen wir besonders stark mit einbeziehen, dass Menschen zu unterschiedlichem Maße Zugang zu Medien und kritischem Austausch haben. Nur, wenn wir es schaffen, durch einfache Sprache einen Beitrag dazu leisten, jene Ungleichheiten zu glätten, kann die Gesellschaft als Ganzes bewegt werden.
Der Jargon muss bleiben!
Aber dieser „Jargon“ kommt doch nicht von ungefähr! Der Auftrag der Wissenschaft ist es, Zusammenhänge aufzudecken, die in der Gesellschaft als naturalisierte Tatsachen angesehen werden. Dieses Phänomen zeigt sich im Bereich der Sprache. Wenn bestimmte Worte natürlich über die Lippen gehen, weil „man das halt schon immer so gesagt hat“, heißt das noch lange nicht, dass das auch gut so ist. Wir sind nicht determiniert in unserer Wortwahl! An dieser Stelle kommt die Wissenschaft ins Spiel. Sie kann neue, differenzierte Begriffe einführen, die darauf hinweisen, dass mit manchen Worten unschöne Handlungen oder Verhaltensweisen korrelieren. Dann hat es seine Berechtigung, dass sich Gleichgesinnte in der Universität ihre Themen auf ihre Art und Weise kommunizieren.
Das kann dann eben auch bedeuten, dass man sich auf bestimmte Fachtermini einigt, die bewusst bestimmte gemeinsame Ideen wiederspiegeln. So kann der Wandel von Worten revolutionäres Potential haben!
Eine bestimmte Wortwahl kann dann eben auch ein politisches Statement sein: Es ist eben ein Unterschied, ob ich nun den Begriff „Klimakrise“ anstatt „global warming“ verwende. Im Ersteren erkennen wir an, dass die momentanen klimatischen Veränderungen eine Krise sind, die extreme soziale, politische und ökonomische Folgen hat/haben wird. Der Begriff des „global warmings“ hingegen spiegelt in seiner wörtlichen Verwendung eine physikalische Perspektive auf die Krise wider. Darin wird die Vielschichtigkeit des Problems auf rein naturwissenschaftliche Beobachtungen reduziert. Dies wiederum hat Auswirkungen auf die Art der Maßnahmen, die Regierungen durchführen.
Sie können also holistisch gedacht oder rein auf technische Lösungen fokussiert sein. In ähnliche Denkmuster ist auch die Verwendung von „Klimanotstand“ oder „Klimaverträglichkeitsprüfung“ einzubetten. Unsere Wortwahl ist also nicht nur eine Frage des Geschmacks, sondern eine Frage dessen, ob ich mir bewusst bin, welche Stellung ich durch meine Worte beziehe – Bewusst oder unbewusst. Denn mit Worten schwingen Bilder mit und mit den Bildern wiederum Inhalte.
Die Macht der Sprache
Unsere Sprache sagt viel über uns aus. Wie sind wir aufgewachsen? Welche Begriffe verwendet unser soziales Umfeld? Sprache kann Abbild von Erfahrungen, Verhaltensweisen und Denkmustern sein. Sie weist aber auch eine eigene Wirkkraft, eine agency auf. Das bedeutet, dass sie nicht als abgeschlossenes Objekt „irgendwo da draußen“ vor sich hin existiert, sondern selbst aktiv unsere Realität mitgestaltet. Sie ist nicht defensiv, sondern ein aktiver Teil der Gesellschaft und hat somit auch die Macht, diese zu verändern. Diese Macht darf nicht unterschätzt werden.
Deshalb versuche ich beide Seiten der Medaille miteinzubeziehen.
Das, was hinter gewählter Sprache steckt (Reflektion über gesellschaftliche Probleme) ist intern bis zu einem gewissen Grad notwendig.
Doch um Gesellschaft wirklich zu bewegen, müssen alle Menschen Zugang zu Ideen, die dem zugrunde liegen, erfahren! Sie sollen Sprache nicht nur als fertiges Produkt erfahren, sondern auch als aktive Gestalter*innen mitreden können!
Ein erster Schritt dorthin wäre, Diskussionen über Uni-Inhalte im Alltag so zu führen, dass andere Menschen sich nicht abgeschreckt fühlen.Wir müssen es schaffen für das, wofür wir brennen, im breiteren Publikum Interesse zu wecken!
Jetzt mal ganz ehrlich – was ist denn ein Diskurs?
Hinzu kommt, dass ohnehin ein Großteil, mir inklusive, bestimmte Begriffe schluckt und mit ihnen wild um sich wirft. „Diskurs“, alles klar. „Narrativ“, hört sich gut an, nehm‘ ich mit. „Diskrepanz“, auch nicht schlecht! Wenn ich nun aber ein kleines Kind an der Hand hätte, welches durchwegs fragen würde: „Floraa, was ist diese Diskrepanz? Was kann ich mit einem Narrativ machen?“ und: „Kann ich auch in diesem Kurs mitmachen, von dem du da die ganze Zeit sprichst?“ – ja, da würde ich auch erstmal schlucken. Nachdenken. Und mich dann wohl dabei erwischen, es mit anderen, ähnlich komplexen Begriffen zu erklären.
Und jetzt?
Lasst uns die bohrenden Fragen des Kindes an der Hand zu Herzen nehmen: Ohne Zweifel können – nein müssen mit unserer Sprache sensibel sein. Doch wenn jenes uns unentwegt fragt: „Warum sagst du das da nicht einfacher?“, müssen wir eine gute Antwort parat haben. Ansonsten ist die ausgrenzende Formulierung es wohl nicht wert, genutzt zu werden.
Ich kann dir nur beipflichten, Flora! Meiner Meinung nach ist es außerdem viel schwieriger, komplizierte Themen in einfachen Worten, ohne Fachbegriffe, zu beschreiben. Denn man kann sich hinter der Fachsprache wunderbar verstecken. Einen Text, z.b. über kognitionspsyhologie in Leichte Sprache zu übersetzen, mit allen Bedeutungs -schattierungen, das ist eine wahre Kunst! Und eine wichtige Aufgabe !
wunderbarer Appell und Denkanstoß – und auch sprachlich toll gemacht!
und auch für mich als (noch) nicht akademisch gebildete Person verständlich 🙂
Vielen Dank, ich freue mich, wenn ich zu Gedanken anregen konnte! – und perfekt, das war eine Gratwanderung. Schön, wenn es mir gelungen ist 🙂
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