Ein Brief an den Mann, der die Generation X erfand

Text und Fotografien von Justin Adam

Lieber Douglas,

du kennst mich nicht. Ich bin Justin, 24 Jahre alt, studiere und arbeite glücklich vor mich hin und stelle sonst sehr gerne sehr viele Fragen. Und obwohl du viele deiner Leser und auch mich nicht kennst, hast du mit deinen Büchern, allen voran Generation X, die Sicht auf uns selbst und auf unsere Welt verändert.

Du hast einer ganzen Generation einen Namen gegeben – auch wenn du eher Stereotype beschreibst, als einzelne Individuen. Aber du hast ein Lebensgefühl eingefangen und eine Sicht auf die Welt beschrieben, die prägend ist. Und du gibst uns die Chance uns selbst mit gesunder Distanz in deinen Büchern zu sehen und zu hinterfragen. Du schreibst über Konsumverweigerung und junge Leute, die lieber irgendwas, aber bloß nichts ernsthaftes arbeiten. Lieber irgendwas statt für gespenstische Yuppies ohne Aura „kleine Monster so scharf auf einen Hamburger zu machen, dass ihre Begeisterung auch über ihr Kotzen hinaus anhält“. Du erzählst von jungen Menschen, die in heruntergekommenen Bungalows leben, während sie mit Distanz und lakonisch süffisanter Ironie auf ihre Umgebung blicken und obskur-endzeitliche Hobbys, wie das Sammeln von Hirschgeweihen, pflegen.

© Justin Adam

Beim ersten Lesen deines Romans habe ich mich sehr angesprochen gefühlt, nur um dann festzustellen, dass du eine Generation beschreibst, die meine Eltern oder ihre jüngeren Geschwister sein könnten.

Was ist es denn, dass deine Generation X mit unserer Generation Y gemeinsam hat?  Vielleicht, dass du deine Protagonisten als die Generation beschreibt, die nun nach dem exzessiven Leben der Babyboomer die ganzen negativen Folgen politisch, gesellschaftlich und als drohende Umweltkatastrophe ausbaden müssen? Und in der Tat pflegen Clair, Dagmar und Andrew auch eine ausgeprägte Begeisterung für apokalyptische Szenarien und ein Krisenbewusstsein. Gleichzeitig leben sie aber ein zufriedenes Leben am Rand der Reste der Party ihrer vorherigen Generationen. Vielleicht ist es auch das, was es Menschen, die heute um die 25 sind, so gut ermöglicht sich mit deinen Protagonisten zu identifizieren. Leben wir nicht auch in dem Gefühl, den Preis für die Party der Älteren zu zahlen und zusehen zu müssen, wie sie trotzdem weiter machen?

Wir sind aufgewachsen, da war der Kater von der Party nach dem Sturz des Ostblocks schon allgegenwärtig. Wir wurden groß, da begannen Kriege in Nahost. Wir waren in der Schule und hörten immer nur Euro, Krise, Europa, Krise, Immobilien, Krise, Arbeitslosigkeit, Krise. Und über all dem zieht sich düster wie ein Gewitter die Gewissheit über die Umweltschäden der alten Generationen zusammen.

Und trotzdem sind wir eine Generation, die genau wie deine Protagonisten 30 bis 40 Jahre zuvor ihr Glück suchen. Wir sind nicht pessimistisch, bilden uns mehr als notwendig, einfach weil es uns interessiert, arbeiten lieber mit Ambition, als für das große Geld und die meisten von uns haben das Statussymboldenken der Alten schon hinter sich gelassen. Vielleicht verzichten wir auch nur so gerne, weil wir dann gar nicht entscheiden müssen. Oft orientierungslos in dieser globalisierten Welt ist keine Entscheidung eben die einfachste – nur was machen wir dann? Was wollen wir?

Douglas, ich wünsche mir, du würdest einen Roman über uns schreiben, mit der gleichen Schärfe und Ehrlichkeit, mit genauso viel Ironie und Süffisanz wie für die Generation X. Du wirst uns nicht alle damit erfassen – aber wozu auch? Du würdest uns aber eine gemeinsame Identifikation geben, du würdest uns ein Gesicht geben und allen anderen erklären können, wer wir denn sind. Denn das ist unser Problem: Wir sind viele, wir haben Ziele, Vorstellungen und sogar Visionen. Aber wenn die uns umgebende Gesellschaft nicht weiß, wer wir sind, werden wir auch nur schwer Berücksichtigung finden – die brauchen wir jedoch, wenn wir alles besser machen wollen, was vorher verbockt wurde.

Ich kann mir auch schon gut vorstellen, wie du eine fiktive Wohngemeinschaft von Studenten und Azubis in einer beliebigen mittelgroßen Stadt beschreibst und ich bin gespannt auf die prägenden Erlebnisse deiner neuen Protagonisten.

Liebe Grüße,
Justin


Douglas Coupland (1991), Generation X – Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur, Goldmann-Verlag.

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