von Mathis Gilsbach | Illustrationen: © Nora Boiko und Mathis Gilsbach
In der Antike war die Zeit der Olympischen Spiele eine Zeit des Friedens zwischen den Stadtstaaten Griechenlands.
In der Gegenwart, bei den Winterspielen 2022, soll der Glanz der olympischen Fackel die Menschenrechtsverletzungen und Repressionen des Gastgebers überstrahlen.
Am Freitag den 04.02 wurden die 24. Olympischen Winterspiele in Peking, China eröffnet. Schon seit der Vergabe durch das Internationale Olympische Komitee (IOK) im Jahr 2015 standen die Spiele, aufgrund der Menschenrechtslage in China sowie der demonstrativen Nähe des IOK-Präsidenten Thomas Bach zu Chinas Präsident Xi Jinping, stark in der Kritik. Bach war einer der ersten ausländischen Würdenträger, der seit Beginn der Corona Pandemie in Peking empfangen wurde.
Das Ziel der modernen Spiele formulierte der Gründer Pierre de Coubertin. Er wolle durch Sport junge Menschen aus aller Welt zusammenbringen, Brücken zwischen den Menschen bauen und Frieden stiften. Das Internationale Olympische Komitee (IOK), die Trägerorganisation der Olympischen Spiele der Neuzeit, schreibt sich dieses Ziel bis heute auf seine Fahnen. Die Ringe auf der Fahne stehen für die Kontinente und für die Sportler:innen, die aus aller Welt zusammenkommen. Auf seiner Webseite schreibt das IOK, die Spiele seien das „weltweit stärkste Symbol von Einheit in Vielfalt“ und senden ein „Signal der Vielfalt, Inklusion und Nichtdiskriminierung“. Zu diesem Ziel verhalte sich das IOK und die Olympische Bewegung politisch neutral.
Die China-Direktorin von Human Rights Watch, Sophie Richardson, widerspricht dieser Darstellung:
„Es ist nicht möglich, dass die Olympischen Spiele eine ‚Kraft für das Gute sind‘, wie das IOK behauptet, während die Gastregierung schwere Verbrechen begeht, in Verletzung internationalen Rechts.“
Was passiert in anderen Teilen von China, während die Welt auf Peking schaut?
Im äußersten Westen Chinas, in der autonomen Region Xinjiang leben viele Angehörige der muslimischen Volksgruppe der Uiguren. Sie sind Opfer einer massiven Kampagne gegen ihre kulturelle Identität. Laut dem Xinjiang Data Projekt des Australian Strategic Policy Instituts ist die uigurische Bevölkerung gefangen in einem Netz aus umfassender staatlicher Überwachung, willkürlichen Festnahmen und Internierungen in Umerziehungslagern, Zwangsarbeit und erzwungenen Sterilisierungen. Das Ergebnis ist die Repression ihrer Sprache, ihres Glaubens und ihrer Kultur. Dabei, so schreibt etwa Felix Lee ,der frühere Chinakorrespondent der taz, erinnert die Situation stark an die ideologischen Kampagnen der Mao Zeit, die von öffentlichen Verhörsitzungen, Scheinprozessen, Denunziation und Willkür geprägt war. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt auch das Xinjiang Data Project in einem Report über die strukturelle Unterdrückung der uigurischen Bevölkerung.
China streitet diese Vorwürfe ab und setzte zur Eröffnung der Spiele ein symbolisches Zeichen. Die uigurische Cross-Country Skifahrerin Dinigeer Yilamujian entzündete zusammen mit dem Biathleten Zhao Jiawen, das Olympische Feuer.
Die Uiguren sind nicht die einzige Gruppe in China, die unter derartigen Repressionen zu leiden hat. So sind auch andere ethnische Minderheiten in der Inneren Mongolei oder in Tibet von der Unterdrückung ihrer Kultur, Sprache und Lebensweise betroffen.
Die ehemalige britische Kolonie Hongkong genoss lange Zeit mehr Freiheiten als der Rest Chinas. Unter der Prämisse ‚Ein Land, zwei Systeme‘ waren Demonstrationen und eine freie Presse erlaubt. Das Parlament wurde in einigermaßen demokratischen Wahlen vom Volk gewählt. Nach massiven Protesten in 2019 und 2020 wurden diese Freiheiten mit dem ‚Nationalen Sicherheitsgesetz‘ de facto ausgehebelt. Aktivist:innen flohen oder wurden verhaftet, viele Zeitungen wurden geschlossen und die politische Opposition von den Wahlen ausgeschlossen.
Auch die Sportler:innen in Peking selbst sehen sich dem Druck der chinesischen Führung ausgesetzt. Das IOK selbst verbietet es den Athlet:innen, sich auf dem Podium zur Menschenrechtslage in China zu äußern und es gibt Berichte, die auf staatliche Überwachung der Sportler:innen hindeuten. So fand das Citizenlab der Universität Toronto gravierende Sicherheitslücken in der offiziellen Begleitapp der Spiele. Die App MY2022 wird auch zum Coronatracking genutzt und ist für alle Teilnehmenden Pflicht. Die niederländischen und britischen Verbände raten ihren Sportler:innen daher, keine privaten Telefone zu nutzen, um eine Überwachung zu vermeiden. Ein Vertreter des chinesischen Organisationskomitees, Yang Shu, warnte recht explizit vor zu starken Meinungsäußerungen:
„Jede Äußerung, die mit dem Olympischen Geist zu vereinbaren ist, da bin ich sicher, ist geschützt. Jedes Verhalten, jede Rede, die gegen den Olympischen Geist, besonders gegen chinesische Gesetze und Regularien ist, unterliegt genauso gewissen Bestrafungen.“
Ob die Athlet:innen austesten wollen, wie weit der Olympische Geist reicht, müssen sie selbst entscheiden. Es ist zu erwarten, dass sie sich auf den Sport konzentrieren werden. Die Spiele in China sind nicht das erste Mal, dass internationale Sportveranstaltungen in der Kritik stehen autoritäre Regime aufzuwerten und zu legitimieren. Schon 2008 standen die Sommerspiele in Peking in der Kritik, 2014 dann die Winterspiele in Sotschi. Die russischen Spiele wurden von Berichten über Enteignungen und Verhaftungen von Oppositionellen begleitet. Im Dezember 2022 findet die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar statt, unter dem Schatten von über 6500 Arbeitsmigranten, die seit der WM-Vergabe 2010 gestorben sind – die meisten arbeiteten auf den Baustellen des Emirats unter teils extremer Hitze.
Es bleibt an uns zu entscheiden, ob wir Sportveranstaltungen unter diesen Vorzeichen unterstützen wollen oder doch lieber den Fernseher ausschalten. Wir könnten die Zeit nutzen, um uns über die Gastgeberregime zu informieren. Wenn wir uns mit den Opfern solidarisieren, trägt das sicherlich mehr zur Völkerverständigung bei als es der Schein des friedvollen Olympischen Feuers in Peking vermag.
Um mehr über die Situation der Uiguren zu erfahren, empfehle ich zwei Dokumentarfilme von arte:
Falls du weniger Zeit hast (24 Minuten):
Falls du tiefer einsteigen möchtest (104 Minuten):