E-Autos sind schlecht für die Umwelt – Widersprüche der Nachhaltigkeit

von Michael Nagel | Beitragsbild © Nora Boiko

Es wird viel über Nachhaltigkeit gesprochen und geschrieben. Alle wollen grün, klimaneutral, umweltfreundlich, erneuerbar und nachhaltig sein. Viele ahnen dabei schon, dass nicht alles, was ein grünes Design hat, auch nachhaltig ist. Oft werden wir in unserem Bestreben nachhaltig zu sein mit Widersprüchen konfrontiert. Besonders deutlich zeigen sich diese Widersprüche bei E-Autos.

Aus der Debatte über Klimaschutz sind sie nicht mehr wegzudenken. Während die einen in E-Autos einen Weg sehen, um einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, ohne wirklich etwas an ihrem Leben verändern zu müssen, sind E-Autos in den Augen anderer eine schwere Sünde an der Umwelt.

Das E-Auto als Klimaretter

E-Autos bieten riesige Vorteile: Sie verursachen im Gegensatz zu Verbrennern deutlich weniger Lärm. Obwohl durch Bremsen und Reifenabrieb auch bei E-Autos Feinstaub entsteht, stoßen sie verglichen mit Verbrennern eine viel geringere Menge schädlicher Abgase aus. Beides kommt der öffentlichen Gesundheit sehr zugute. Der wichtigste Punkt ist aber, dass elektrisch betriebene Auto kein klimaschädliches CO2 ausstoßen – zumindest während der Fahrt.

Im Produktionsprozess entsteht dagegen eine Menge CO2, mehr sogar als bei der Herstellung eines Autos mit Verbrennungsmotor. Und der Strom, den die Autos tanken, muss ja auch erzeugt werden. Weil dieser in Deutschland immer noch zu mehr als 36 % aus Kohle und Gas stammt, entstehen auch für den Strom von E-Autos Emissionen. Trotzdem lässt sich sagen, dass E-Autos ab etwa 60.000 km Nutzung eine bessere CO2-Bilanz haben als Verbrenner. Und je höher der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung ist, desto besser die CO2-Bilanz. Fürs Klima sind E-Autos definitiv schon heute besser als Verbrenner.

Umweltsünder E-Auto

Einen besonders brisanten Punkt habe ich aber ausgespart: Die Akkus. Kaum etwas macht die Gegner*innen von E-Autos wütender als die Akkus. Denn diese brauchen ein Alkalimetall namens Lithium. Eine finanziell günstige Methode diesen Rohstoff zu gewinnen ist es, Salz aus Seen mit einem hohen Lithiumgehalt zu nutzen. Diese Seen gibt es vor allem in Argentinien, Chile und Bolivien. Um das Salz aus dem Wasser zu fördern, wird die unterirdisch lagernde Sole zunächst in riesige offene Becken gepumpt, um dort das Wasser verdunsten zu lassen und anschließend das zurückbleibende Salz abzubaggern. Dabei geht das Wasser der Seen verloren.

Ein Akku braucht durchschnittlich etwa 10 Kilogramm Lithium, um ein Auto bewegen zu können. Allein die Gewinnung dieses Lithiums verbraucht bis zu 10.000 Liter Wasser. Zwar ist die Sole aus den Salzseen ohnehin nicht als Trinkwasser geeignet, doch durch das Abpumpen der unterirdischen Vorkommen besteht die Gefahr, dass der Grundwasserspiegel absinkt, Trinkwasser versalzen wird und damit in den trockenen Regionen Südamerikas die Lebensgrundlage der Menschen bedroht wird.

Jetzt ließe sich entgegenhalten, dass beispielsweise in Australien große Mengen Lithium aus Festgestein abgebaut werden, was weitaus weniger Wasser benötigt. Man könnte auch anmerken, dass Lithium-Ionen-Akkus schon seit vielen Jahren in Smartphones, Laptops und anderen Geräten verbaut werden, und die Lithiumgewinnung dafür bislang kaum jemanden gestört hat. Oder auch darauf hinweisen, dass die Herstellung von nur einem Kilo Rindfleisch bis zu 15.000 Liter Wasser benötigt. Am versalzenen Trinkwasser in Südamerika ändern diese Verweise aber nichts.

Und Lithium ist nicht der einzige problematische Rohstoff, den E-Autos benötigen. Auch Kobalt ist essentiell für die Akkus der Autos. Etwa die Hälfte des weltweit geförderten Kobalts wird in der Demokratischen Republik Kongo oft unter unmenschlichen Bedingungen und vielerorts von Kindern abgebaut. Die menschrechtliche Lage in den Minen ist frappierend. Die Gewinne aus dem Abbau fließen an ostasiatische, westeuropäische und nordamerikanische Konzerne – Neokolonialismus. Auch hier könnte man darauf hinweisen, dass Kobalt auch für andere Elektrogeräte verwendet wird. Den Arbeiter*innen in den Minen hilft das aber auch nicht.

E-Autos sind also deutlich besser fürs Klima als Verbrenner, die Produktion richtet trotzdem erhebliche Schäden an Mensch und Umwelt an. Sind sie dadurch jetzt nachhaltig oder nicht?

Jetzt mal Tacheles! Nachhaltigkeit?

Viele denken bei Nachhaltigkeit vor allem an Umweltschutz, meinen also ökologische Nachhaltigkeit. Die Diskussion um Nachhaltigkeit ist historisch aber auch eng mit der Entwicklungspolitik verknüpft. Das Konzept der nachhaltigen Entwicklung verbindet das umweltpolitische Bestreben, die natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und das entwicklungspolitische Bestreben, ökonomischen Wohlstand zu erreichen. Das Ziel ist ein gutes Leben für alle. Die UN-Kommission für Umwelt und Entwicklung formulierte 1987 die Synthese folgendermaßen: „Dauerhafte [nachhaltige] Entwicklung ist eine Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, dass künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können.“

Damit hat Nachhaltigkeit drei Dimensionen: eine ökologische, eine soziale und eine ökonomische. Wirtschaftliche Entwicklung zur Beseitigung menschenunwürdiger Lebensbedingungen darf sich demnach nur innerhalb ökologischer Leitplanken bewegen und muss so gestaltet sein, dass die natürliche Umwelt nicht übermäßig zerstört wird. Wenn von Nachhaltigkeit die Rede ist, müssen stets alle drei Dimensionen zusammengedacht werden.

Wohin soll es gehen?

Damit ist zwar der Rahmen klar, in dem sich Nachhaltigkeit bewegt, die genaue Definition aber nicht. Das Verhältnis, in dem die drei beschriebenen Dimensionen zu einander stehen, ist sehr umstritten. Was es für ein gutes Leben braucht und welche menschlichen Bedürfnisse in welchem Umfang befriedigt werden sollen, lässt sich schwer definieren.

Noch schwieriger wird es, wenn es konkreter wird. Beim Klimaschutz haben sich 2015 in Paris 195 Staaten auf den Kompromiss geeinigt, die globale Erwärmung auf 2°C, am besten 1,5°C zu begrenzen – ein recht großer Spielraum. Die anvisierten Maßnahmen der einzelnen Staaten für die nächsten Jahre reichen aktuell aber nur für 2,4°C. Klar ist, dass wir irgendwann Klimaneutralität erreichen müssen, um die Klimakrise zu stoppen. Immerhin da besteht weitgehend Einigkeit. Wann genau das sein soll, ist aber unklar.

Und wie kommen wir dahin?

Selbst wenn über das Ziel Einigkeit bestehen würde, stellt der Weg dahin die nächste Herausforderung dar. Die meisten Ziele lassen sich auf unterschiedlichen Wegen erreichen. Unterschiedliche Wege bedeuten meist unterschiedliche Lasten und Nutzen für die Beteiligten.

Wie soll also zum Beispiel das verbleibende CO2-Budget verteilt werden, um die Klimakrise einzudämmen? Staaten wie Deutschland haben schon im 19. Jahrhundert angefangen massenhaft CO2 auszustoßen. Sollen sie deshalb jetzt einen kleineren Teil vom Budget erhalten, damit die Staaten des globalen Südens noch mehr zur Verfügung haben? Oder sollten lieber alle den gleichen Anteil bekommen?

Und auf welchem Weg soll Deutschland klimaneutral werden? Sollen wir alle auf unser Steak und den Flug in den Urlaub verzichten, um CO2 einzusparen, oder sollen wir die Kohlekraftwerke früher abschalten? Immerhin verursachen sie den größten Anteil an CO2-Emissionen in Deutschland. Oder sollen wir beides gleichzeitig machen? Brauchen wir eine höhere CO2-Steuer oder gezielte Regeln und Verbote für alle?

Die Widersprüche werden bleiben

Obwohl Klimaschutz und Nachhaltigkeit eng miteinander verwoben sind, bezeichnen sie nicht das Gleiche. Klar ist, dass die Klimakrise alle Dimensionen der Nachhaltigkeit bedroht. Ohne die erfolgreiche Bewältigung der Klimakrise ist weder ökologische, soziale noch ökonomische Nachhaltigkeit erreichbar. Gleichzeitig zeigen sich im Klimaschutz aber auch immer wieder Konflikte zwischen den verschiedenen Zielen der Nachhaltigkeit.

Das E-Auto ist nur ein Beispiel dafür. Einerseits trägt es durch den vergleichsweise geringen CO2-Ausstoß zum Klimaschutz bei. Andererseits stehen die Bedingungen der Rohstoffgewinnung insbesondere den sozialen Zielen der Nachhaltigkeit diametral entgegen. Zudem ist es wohl auch nicht das effizienteste Mobilitätskonzept, einzelne Menschen in durchschnittlich anderthalb Tonnen schweren Autos durch die Gegend fahren zu lassen. Aber auch wenn E-Busse ein deutlich effizienteres Konzept sind, brauchen auch sie derzeit Lithium-Ionen-Akkus. Und wenn erheblich weniger Autos hergestellt werden, verlieren im Autoland Deutschland womöglich viele Menschen ihre Erwerbsarbeit. Auch das kann ein Problem für die sozialen Ziele der Nachhaltigkeit sein.

Der Weg zur Nachhaltigkeit ist also nie ohne Widersprüche zu haben. Den perfekten Weg gibt es nicht. Wer ein ökologisches Ziel erreichen will, gefährdet nicht selten ein soziales oder ökonomisches Ziel. Wer sich ein E-Auto kauft, kann damit einen Beitrag zum Klimaschutz in Deutschland leisten. Von echter Nachhaltigkeit sind E-Autos aber noch weit entfernt.

Was genau Nachhaltigkeit heißt, lässt sich nicht einfach vorgeben. Nachhaltigkeit ist ein andauernder Suchprozess, den wir als Gesellschaft gemeinsam gestalten müssen. Konflikte und Widersprüche, wie sie sich bei der Elektrifizierung von Autos zeigen, dürfen dabei nicht zur Resignation führen, sondern müssen weiterhin gesellschaftlich diskutiert werden. Statt abzustumpfen oder in Zynismus zu verfallen müssen wir Widersprüche aushalten. Für das Ziel eines guten Lebens für alle zu streiten, ist es das wert. Auch, wenn es anstrengend ist.


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