von: Mathis Gilsbach und Vitória Acerbi | Illustrationen: © Johannes Schröder
Stell dir vor du triffst auf den einen wichtigen Menschen in deinem Leben. Ihr sprecht zwar nicht die gleiche Sprache, habt aber dennoch, vom ersten Moment an, das Gefühl, einander wunderbar zu verstehen. Das einzige Problem sind die über 9200 Kilometer Distanz zwischen euren Heimatstädten. Das ist uns beiden passiert – „wir“, das sind, Mathis aus Deutschland und Vitória aus Brasilien – zusätzlich zu unserer Freundschaft haben sich zahlreiche andere interkulturelle und zum Teil transkontinentale Freundschaften entwickelt. So wie auch Vitórias Beziehung mit Maxime aus Frankreich. Aus unseren gemeinsamen und individuellen Erfahrungen ist dieser Artikel entstanden.
Was passiert wenn sich zwei Menschen begegnen und sich auf Anhieb sehr gut verstehen? Aller Wahrscheinlichkeit nach eine Freundschaft oder Beziehung. Nun sind diese Menschen aber auf verschiedenen Kontinenten geboren, und leben dadurch in verschiedenen Gesellschaftsstrukturen. Das bietet Raum für Entdeckungen und gegenseitige Inspiration, aber auch für Missverständnisse. Und wenn die Umstände es nicht erlauben in derselben Stadt, demselben Land oder zumindest Kontinent zu leben, kommt die Entfernung als weiterer Faktor hinzu.
Interkulturelles
Es mag sein, dass es schwierig ist, sich eine solche Freundschaft vorzustellen, ohne schon mal eine erlebt zu haben. Vor allem, wenn das eigene Umfeld einem wenig Raum lässt für Begegnungen mit Menschen anderer Herkunft und Kulturen.
Auf der anderen Seite sind es auch nur Beziehungen zwischen Menschen, die sich in Zuneigung und Freundschaft verbunden sind. Und insofern gar nicht so anders wie andere Arten von Beziehungen. Aber was ist dann das Besondere an diesen grenzübergreifenden Verbindungen zu anderen?
Nun, jede Freundschaft oder Partnerschaft betrifft immer Menschen, mit Ängsten, Vorstellungen, Begeisterungen, Bedürfnissen und Grenzen. Diese Individuen sind kompatibel in einigen Bereichen ihrer Lebensführung und der Persönlichkeit und weniger in anderen. Manche dieser Vorstellungen, Ängste und Grenzen kommen aus der Erziehung und sind damit kulturell beeinflusst. Viele aber kommen aus den individuellen Erfahrungen und dem Charakter jeder einzelnen Person.
Kulturell bedingte Unterschiede in Sprache, Verhalten, Gewohnheiten, Werten und Weltanschauungen sind definitiv ein wichtiger Teil der Beziehung aber sie definieren sie nicht, sie sind nicht alles.
Dennoch gibt es durchaus Eigenheiten in interkulturellen Beziehungen. Durch die unterschiedlichen Arten zu denken, zu kommunizieren und durch die möglicherweise vorhandene Sprachbarriere, gibt es erst mal viel Potential für Missverständnisse. Paradoxerweise haben wir in unseren interkulturellen Freundschaften und Beziehungen des Öfteren die Erfahrung gemacht, dass gerade dadurch die Kommunikation offener und ehrlicher wird. Das liegt daran, dass es von Anfang an nötig ist, sich mehr Gedanken über die Aussagen und Intentionen der anderen Person zu machen. Schließlich ist, was mir offensichtlich erscheint nicht offensichtlich für die jeweils andere Person. Die Gestik, Mimik und kleinen Zeichen, die ich benutze, haben möglicherweise nicht die gleiche Bedeutung für uns beide. Sie können einfacher missverstanden werden und daher ist es essentiell Intentionen, Meinungen und Humor zu erklären und klar erkennbar zu machen. Es ist daher wichtig, nicht vorschnell zu urteilen über die Aussagen und Handlungen der anderen Person. Möglicherweise ist die Intention hinter diesen eine ganz andere als wir zunächst annehmen.
Außerdem: Das interkulturelle Element kann unglaublich bereichernd sein! Alles kann potentiell ein Thema und eine Möglichkeit zum Lernen bieten, von den einfachsten zu den wichtigsten Dingen im Leben (die im Übrigen oft übereinstimmen). Essen, Trinken, die Sonne und der Mond, Schule und Arbeit … Weil man nicht dieselben Erfahrungen damit hat, entdeckt man beinahe jeden Moment etwas Neues. Man wird aufmerksam gemacht auf Literatur, Filme, Architektur, Bräuche, Essen, Weltanschauungen von denen man noch nie etwas gehört hat und die man ohne diese Beziehung auch nie entdeckt hätten. Einfach weil man mit einer Person im Austausch steht, die sich auf ganz andere kulturelle Referenzen bezieht, als man selbst. Das bereichert unsere Ansichten, Erfahrungen und Erlebnisse auf eine wunderschöne und angenehme Weise. Beispielsweise haben wir uns in vielen Gesprächen über ganz normale Alltagsdinge in Brasilien und Deutschland ausgetauscht und enorm viel über das jeweils andere Land gelernt und ganz nebenbei auch über unsere jeweils eigene Kultur. So haben wir beide uns sowohl mit deutscher, als auch mit brasilianischer Musik beschäftigt, was wir davor beide nur wenig gemacht hatten. Unsere Musikempfehlungen: Fynn Kliemann und Namika im Deutschsprachigen Bereich sowie Bia Ferreira, Clarice Falcão und Vespas Mandarinas aus Brasilien.
Entfernung und alles was dazu gehört
Was ist nötig, um die Entfernung zwischen zwei Kontinenten zu verringern? Schließlich ist jede*r in einer ganz anderen Umgebung, lebt ihr*sein eigenes Leben, hat eigene Freunde, Arbeit, Uni, und den individuellen Alltag. Wie verliert man sich bei einer solchen Distanz nicht aus den Augen ?
Das wichtigste Element ist, im Leben der anderen Person involviert zu bleiben, sich zu erkundigen wie es ihr geht, was sie beschäftigt, was sie freut, was ihre Träume und Ambitionen sind.
Je nach Personen und Form der Beziehung, kann das ganz unterschiedlich aussehen. In unserer Erfahrung hat jede unserer Distanzfreundschaften eigene Formen der Kontaktpflege hervorgebracht. Wir beide sind regelmäßig über Skype in Kontakt. Mit anderen Freunden dann wieder nur ein paar mal im Jahr oder man sieht sich tatsächlich nur ab und zu in Person.
Was die Form der Kommunikation angeht, gibt es diverse Möglichkeiten. Die einen schreiben sich täglich Nachrichten, oder skypen regelmäßig, andere schreiben lange Briefe oder nehmen Videobotschaften auf, verschicken, wie bei Harry Potter, eine Eule oder erfinden eine Zeitmaschine um zur letzten Begegnung zurückzureisen. Grenzen werden nur durch die eigene Kreativität, oder Technologien, Entfernungen und die Naturgesetze vorgegeben.
Jedoch kann, im Laufe der Zeit selbst dieser tiefe Fluss der Kommunikation und des Austausches schwächer werden und in der Routine des Alltags geteilter Essens- und Katzenfotos versickern. Um die Routine aufzubrechen ist es daher ebenso wichtig, die jeweils andere Person unabhängig leben zu lassen, ihr*ihm Zeit und Raum für sich selbst zu geben. So können beide (oder alle) neue Erfahrungen machen und neue Dinge entdecken, die sie sich dann erzählen können.
Zum anderen, wenn zu viel Distanz und Routine aufkommt, kann man die Dinge ein bisschen durch gemeinsame Projekte und Unternehmungen anheizen – beispielsweise haben wir beide uns dazu entschieden, diesen Artikel über unsere Freundschaft zu verfassen. Auf den ersten Blick scheint dieser Aspekt einer Freundschaft am meisten eingeschränkt durch die schiere Distanz zwischen den Haustüren. Aber mit etwas Vorstellungskraft, gibt es doch einige Optionen. Auf Skype lässt sich einfach eine Runde Stadt, Land, Fluss spielen oder ein Film schauen. Dann ist es schön (für-)einander zu zeichnen, sich gemeinsam eine Geschichte auszudenken, eine Sprache zusammen zu lernen, Videospiele zu spielen, das gleiche Buch zu lesen und zu besprechen. Trotz aller Beschränkungen gibt es vielfältige Möglichkeiten. Beispielsweise haben wir einige Monate damit verbracht einander Deutsch, sowie Portugiesisch Unterricht über Skype zu geben. Dieser Unterricht war dann auch der Aufhänger für einen tiefgehenden Kulturaustausch über Literatur, Musik, Poesie und vieles mehr.
Natürlich können all diese Dinge keine Umarmung, keinen gemeinsamen Spaziergang oder keinen Film gemeinsam auf dem Sofa ersetzen. Manchmal ist es frustrierend eine Umarmung zu brauchen oder einfach nur gemeinsam einen Kaffee trinken zu wollen und das nicht zu können.
Wenn man sich in solch trübseligen Stimmungen wiederfindet, kann es beruhigend sein, wenn man weiß, dass die Trennung nicht für immer ist, dass in ein paar Wochen oder Monaten schon der Moment des Wiedersehens kommen wird. Es ist wichtig, eine klar abgesteckte Zeitspanne zu haben bis zur nächsten Umarmung. Und wenn dieser Tag schließlich gekommen ist, wird er umso wundervoller.
Dadurch, dass diese Treffen so selten sind, sind sie auch umso kostbarer, und werden zu einem besonderen Erlebnis. Man freut sich darauf, plant mit Sorgfalt und bemüht sich wirklich zu einhundert Prozent für den*die andere*n da zu sein – daher jede Minute auszukosten. Etwas das sonst oft verloren geht, wenn man am gleichen Ort lebt, sich eventuell schon zu oft sieht.
Eine transkontinentale oder interkulturelle Freundschaft kann schwierig zu navigieren sein, aber auch wundervoll auf ihre eigene Art und ist ansonsten jeder anderen Beziehung oder Freundschaft doch recht ähnlich. Wichtig ist es, offen in der Kommunikation zu sein sowie flexibel und beharrlich mit der Entfernung umzugehen, Herausforderungen gemeinsam anzugehen und die gegenseitige Zuneigung in der Freundschaft voll zu genießen.
Wenn dich nun das Leben mit einer Person aus einer anderen Kultur oder einem weit entfernten Ort überrascht, habe keine Angst vor der Entfernung und den Unterschieden, sondern verwandele diese in eine starke und erfüllende Verbindung. Es lohnt sich!
Den Englischen Originaltext findet ihr hier beim VOICES Magazine.