von Lena Whooo
„Ab heute sind wir Solidarisch!“ – nur für wie lange? Reicht es bis morgen oder doch bis zum nächsten Monat? Und warum überhaupt hat es so lange gedauert, Solidarität als selbstverständlich zu erachten? Diese zweifache literarische Auseinandersetzung von Lena Whooo handelt genau davon und auch nicht; von wiederholenden Selbstvortäuschungen und kollektiven Leugnungen.
adaptierte #Solidarität
„Ab heute sind wir
Solidarisch!
Rennen trotzdem
Richtig panisch
All die Discounter und die Märkte ein
Und ‘raiden‘ sie ganz ich-zentriert;
Dass sich gar die Jugend echauffiert,
weil wir alle Läden von Klopapier befreien.
Aber doch,
wir ham‘s gelesen!
Ab heute sind wir
solidarisch gewesen.
Hab sogar Petitionen unterschrieben.
Vielleich gegen JEFTA; war das nicht liegen geblieben?
Oder fürs Grundeinkommen – bedingunglos –
Denn in Krisenzeiten sind wa‘ hemmungslos.
Da kann man auch ma‘ kräftig
Mit der Faust auf den Tisch ganz heftig
Zuschlagen und sich positionieren –
Die breite Masse: nicht irritieren.“
Auch diese findet Mensch im Netz
Hashtag Solidarität?
Hab‘ ich mich verpetzt;
Dass das nicht richtig geht?
Schließlich erheben wir erst jetzt unsere Stimmen
Da Oma und Opa sich um Corona besinnen.
„Oh; wir sind direkt betroffen“ – es in Europas Raume steht.
Aus Angst „doch noch ’n paar Grenzen schließen,
Massenpaniken auslösen und Ruhe vor dem Sturm genießen“
wird leise das Versagen beteuert: „wir handeln aus Solidarität!“
Dabei sehe ich so gut wie nie mehr
Eine solidarische Haltung hier:
Was war in Hanau? Warum gedenken?
Können wir nicht länger als einen Moment Aufmerksamkeit schenken?
„Wenn wir mehr drüber reden, dann gewinnt er.“
Also medial tot-schweigen? Bringt uns das mehr?
Ich glaube nicht – wir fühlen uns leer.
„Oder warte mal; Was war’n das nochmal für Brände?
Qualmts da wohl noch? Was seit Oktober!?
Meinst der WWF hilft; und die retten Koalas,
Wenn ich hier heldenhaft den Euro spende
Und mich zwecks Rückerstattung später noch an ELSTER wende?“
„Was, es gibt da noch ein Thema?
Ich weiß nicht ob ich das noch kann…
Ich helf‘ so viel und zahle GEMA!
Doch der Gemeinsinn lässt‘s an mich ran…
Man munkelt leise, spricht kaum drüber;
Aber an Europas Grenzen
Sterben täglich schon seit Monaten
Immer wieder Menschen.“
Unsere Welt wird dunkel und noch trüber;
„Hach das ist mir jetzt zu viel
zu schwer und zu traurig zu verdauen.
Ich betrachte das lieber ganz subtil
Ich kann nichts machen; nur bedauern
Und aufrichtig um die Opfer trauern.“
Und so denken wir zum ersten Mal
-also wir, mit westlicher Gesinnung-
Wieder an die Menschen um uns
Nutzen die Zwangspause zur Besinnung.
Es fehlt uns an nichts;
-Außer Mitgefühl –
Auch in diesen Zeiten:
„Wie’s dir geht;
interessiert mich nicht ganz.
Alles dreht sich um mich;
der Rest ist Firlefanz.
Aber klar – falls jemand fragt:
Meinungen können sich spalten,
aber alles in allem versuch ich’s doch;
hab’s bei Corona solidarisch gehalten.“
Das Fenster
„Der Blick aus dem Fenster – ein wenig betrübt und doch hoffnungsvoll. Das einzige was einem in diesen schweren Zeiten bleibt. Ja, schwere Zeiten sind das. Man rührt die Fertigsuppe in seiner Heißen Tasse an und schaltet den Fernseher leiser; er läuft schon den ganzen Tag in der verbitterten Hoffnung auf Nachrichten verschwörerisch im Hintergrund. Wann wird es enden, dieses sich zu Hause einsperren müssen und das Lauschen nach Neuigkeiten in den Berichterstattungen jeglicher Plattformen? Man müsse sich ja informiert halten in diesen Zeiten; man weiß ja nie und überhaupt weiß man grad eigentlich gar nichts. Da fängt es auch schon fast direkt an überzukochen, aber man wollte sich ja nicht mehr sorgen, sich nicht mehr über Dinge aufregen, auf die man keinen Einfluss ausüben kann – also…“
Ich wende den Blick nach draußen aus dem Fenster, verwerfe meine vorherigen Gedanken, stelle die Heiße Tasse beiseite und stochere in der am Boden festgesetzten Suppenmasse. Ich beobachte einige Vögel die auf dem Hinterhof ihre kleinen Kreise ziehen. Ich frage mich, ob es stimmt, dass durch die wenigen Tage Stillstand einiger Produktionszweige die Erde ebenso einen Moment zum Durchatmen bekommen hat; oder ob wir uns das nur stolz einreden. Als hätten die drastischen Ausmaße unserer freien Marktwirtschaft niemals stattgefunden; als wären niemals Grenzen überschritten worden, als Menschen an Grenzen das Überschreiten verwehrt wurde; und als würden wir diesen Menschen jetzt helfend beiseite stehen? Als würde sich irgendwer für über tausende von geflüchteten Kindern scheren? Als würden wir uns dann noch mit den frappierenden Fällen von spurlos verschwindenden Mädchen und Frauen in Lateinamerika beschäftigen können?
Aber klar, der Smog in Großstädten geht zurück. Scheiße! Als würden ein paar zurückgekehrte Fische in den Kanälen von Venedig nun all das wieder wett machen?
Und wir tun, als würden wir’s nicht wissen. Tun immer wieder so unwissend, als würden wir uns nicht alle einvernehmlich für den einfachsten Weg entscheiden und untätig, aber offen, unser Bedauern aussprechen. „Doch als würde; als ob, als wenn das alles noch in irgendeiner Form überschaubar wäre!“, das sagen wir uns doch, damit wir uns besser fühlen, damit wir unsere Untätigkeit und Meinungsstummheit mit kollektiver Unwissenheit begründet wissen. Scheiße, beschissene Zeiten sind das!
Verstört und betroffen von dem Gedanken, dass wir uns als gesamte Gesellschaft wissentlich den politisch bequemeren und damit – global betrachtet – einen höchst unsolidarischen Weg einschlagen, starre ich nach draußen, in die Freiheit, durch mein Fenster. Obwohl wir wissen, was sich dahinter verbirgt. Glas ist durchschaubar. Es lässt uns entscheiden, wie sehr wir es verschmutzen lassen, wie sehr es unsere Wahrnehmung einschränkt. Damit lassen sich Gräueltaten und Ungerechtigkeiten in der Öffentlichkeit immer gut vertuschen, oder retuschieren – einfach, weil es sich so leichter leben lässt. Angewidert all dessen rümpfe ich die Nase und kippe den roten klumpigen Restinhalt meines Tassenmahls in die Spüle unter dem Fenster.
Dann, in meinem Blick nach draußen, entdecke ich eine junge Frau auf einem Longboard. Sie fährt sicher, doch nicht wie ein Profi, lässig und in die Sonne grinsend die Straße hinunter. Ohne zu wissen, wer sie ist und welchen Grund sie dazu bewegt sich mit dem Board draußen aufzuhalten verzieht sich mein Gesicht. Wie kann sie bitte den heutigen Tag in diesen ungewissen Zeiten genießen? Ruckartig bäumt sich in mir tobender Ärger, tiefsitzende Wut oder vielleicht doch nur einfacher Neid auf. Wenn ich nicht raus kann, soll die doch auch gefälligst mit ihrem Arsch zu Hause bleiben!
Mit dem Blick bin ich draußen; lasse meine Imagination spielen, stell‘ mir vor, ich sei das Mädel auf dem Longboard. Stell mir vor, wie ich gelassen die Straßen herunterfahre, ungestört von all dem Ganzen. Doch da merke ich, wie ich auf dem Board ins Schwanken gerate, wie ich drohe zu fallen – zu voreilige Schlüsse gezogen habe, es mir anmaßte zu wissen, wie es ihr geht. Ich spüre den Balanceakt, fühle die schwere im Herzen des Mädchens und die Freude, die ihr dieser kurze Moment in der Sonne auf ihr Gesicht zauberte. Ich genieße den Moment; genieße ihren Moment. Krampfhaft drücke ich die Augen zusammen, reibe meine Handflächen tief in meine Augenhöhlen und reiße danach meine Lieder hoch. Das Licht ist jetzt grell; in mir dämmert Erleuchtung.
Der Blick nach draußen – verstimmt, verspannt, verzweifelt; – der ist doch derzeit alles was wir haben! Und trotzdem scheint es mir, als wäre es noch so viel mehr als das, was der Großteil der Menschheit überhaupt für sich als Standard beanspruchen könnte. Und dabei ist das doch wieder nur ein lausiger Versuch mich zu besänftigen. Ja, wir haben den Blick nach draußen. Das und 13 Pakete Klopapier, 8-mal 2 verschiedene Nudelsorten und 20-mal Reis und eigentlich auch alles andere, was uns empfohlen wurde, sich für den Hausarrest anzuschaffen – und Heiße Tassen natürlich; in mehreren Geschmackssorten. Komische, wirklich komische Zeiten sind das.
Mir wird schlecht – speiübel. Meine Paranoia greift. Ich fühle mich schwitzig und fiebrig; ein letzter Blick aus dem Fenster. Ich taumle ins Bad und schaff‘ es grade noch zur Toilette. Zusammengekrümmt liege ich auf dem Badezimmerboden; ich hechele und wische mir ein bisschen Kotze aus dem Mundwinkel mit meinem Ärmel ab. Der Ekel dieser Tatsache lässt mich ein zweites Mal zu tief in die Kloschüssel blicken. Hustend spuke ich den letzten Gallerotz und drück‘ die Spülung. Und da kommt er wieder; der Zweifel aus dem Hinterhalt; der Janus und der Harvey Dent in mir. Hin und Hergerissen; Ich bin mir nicht sicher – wie spät, was sagt die Zeit? Mein Kopf ist betäubt und meine Hände sind kalt. Im Bad ist kein Fenster, alles ist eng. An der Decke ist die Lampe mit Spinnweben behangen. Muss ich nochmal? Und hab‘ ich mir wohl Corona eingefangen oder spüre ich nun zum ersten Mal seit langem die innere Abscheu meiner eigenen Doppelmoral?