Text und Illustrationen: Mathis Gilsbach
Meistens reden wir nur über das, was passiert, über das, was gesagt wird, das, was auffällt, Lärm macht und Aufmerksamkeit verlangt. Selten nur beachten wir das, was dazwischen passiert, wenn eben nichts passiert. Wenn alles still ist. Wenn man nur noch das Rauschen des Windes oder das Knacken der Holzbalken hört. Wenn man nebeneinander hergeht und niemand etwas sagt und sich das richtig anfühlt. Dabei umrahmt die Stille doch alles andere. Ohne Momente der Ruhe – wüssten wir dann die Momente des Lärms überhaupt zu schätzen?
Wenn ich mit Freunden einen Film schaue, dann ist einer der kostbarsten Momente für mich die paar Sekunden, vielleicht auch Minuten, nach dem Abspann, wenn alle still sind. Noch ganz gefangen von der Zauberwelt des Kinos erst langsam wieder aufwachen. Oder dieser Moment im Theater, wenn das Licht ausgeht. Auf einmal sind alle ganz ruhig, in gespannter Erwartung des sich öffnenden Vorhangs. Und wenn man sich dann nach der Vorstellung verabschiedet hat, empfängt einen die kühle Stille der Nacht mit einem Moment des Innehaltens zwischen dem Erlebnis des Theaters und dem ankommenden Bus nach Hause.
In der japanischen Philosophie gibt es das Konzept des negativen Raumes – Ma (間).
Der Gedanke dahinter ist, dass es nicht allein auf die materiellen Dinge selbst ankommt, sondern auch auf den Raum, der sie umgibt. In einem schön gestalteten Raum wird unsere Wahrnehmung der Schönheit demnach nicht allein von den Gegenständen beeinflusst, die dort stehen, sondern auch von dem Raum zwischen ihnen. Wenn die Gegenstände alle eng aufeinander hocken, dann wirkt der Raum chaotisch und wir können die einzelnen Dinge kaum wertschätzen. Leere strukturiert den Raum.
Stille ist dementsprechend negativer Raum zwischen Lauten. Ohne die Stille zwischen den einzelnen Noten, vor und nach einem Stück, wäre Musik nicht als Musik erkennbar und ginge in einem konstanten Rauschen unter. Wollen wir ein Wort besonders betonen, dann machen wir oft eine Pause dazwischen. Die Stille in der Musik oder die Stille im Theater scheinen sich von der Nachtstille oder der spontanen Stille beim Spazierengehen zu unterscheiden. Im Theater und der Musik hat Stille die offensichtliche Funktion einen Kontrast zu schaffen. Die andere Stille entsteht oft eher spontan und wird weniger bewusst wahrgenommen. Aber genauer betrachtet macht sie auch nichts anderes als die Theaterstille – sie schafft Kontraste und Ruhepunkte im hektischen Trubel des Alltagslebens.
Stille und Leere strukturieren unser Leben und dennoch versuchen wir oft alles, um sie aus unserem Leben zu verbannen. Fernseher auf Dauerschleife, dauerndes Gerede, um nicht schweigen zu müssen. Ständige Unterhaltung, um nicht mit unseren Gedanken allein zu sein. Dabei scheint uns oft die Verbindung zum bewussten, intensiven Leben verloren zu gehen. Wir haben nicht mehr die Ruhe und Konzentration, die einzelnen Noten zu hören, sondern nehmen nur noch das ständige Rauschen des Konsums wahr. Selten schalten wir ab und ergeben uns ganz der Stille und dem Raum, den sie uns öffnet, um die Welt intensiver und klarer wahrzunehmen.
Das manifestiert sich auch in unserem Verständnis eines ähnlichen Konzeptes, der Langeweile. Diese wird häufig als etwas Negatives gesehen, etwas das man vermeiden möchte. Dabei kann sie eine ganz ähnliche Funktion einnehmen, wie die Stille und Leere. Sie ist der negative Raum zwischen Taten. Die Stille zwischen den lauten und bewegten Momenten des Lebens. Langeweile gibt uns Raum, erlebte Dinge zu verarbeiten. Sie erlaubt dem Geist hin und herzuwandern, bis eine wirkliche Inspiration auftaucht, was wir mit unserer Zeit anfangen wollen. Sofern wir uns nicht mit anderen Dingen ablenken und die Inspiration gar nicht erst hervortreten lassen. Dabei ist Inspiration etwas, das aus uns selbst heraus entsteht, etwas, das uns Impulse gibt Dinge zu tun, die uns zufrieden machen. Ablenkung hingegen ist meist bloßes Zeittotschlagen – Befriedigung ohne tiefere Zufriedenheit. Deshalb kommen uns die besten Ideen wohl auch unter der Dusche und im Schlaf. Schließlich sind das oft die einzigen Zeiten, die wir uns nicht mit Ablenkung vertreiben können.
Stille, Leere und Langeweile sind nur Facetten derselben Sache. Es geht um das Innehalten im Alltag und das Wahrnehmen der Zwischenräume im Leben. Der Stille zwischen den Wörtern, der Leere zwischen den Dingen und der Langeweile zwischen den Taten.
Vielleicht tut es gut, ab und zu innezuhalten. Das schnelllebige Rad der Moderne einfach mal zu ignorieren und sich Zeit zu nehmen. Zeit, um die Stille zu hören und den leeren Raum zu sehen. Zeit, um die Weile lang werden zu lassen, und wieder zu sich selbst zu finden.
Ich bin so unentschlossen darüber, ob ich einen Kommentar schreiben soll. Gern würde ich den Text gern so stehenlassen – ohne sofortige Kommentierung und den Lärm, der damit kömmt.
Danke für deinen Text, er ist eine schöne Erinnerung.