von Jöran Landschoff und Sven Bloching | Kunst: © Marit Brunnert
„Fußball bleibt grau“ titelte am 22.06.2021 ein Artikel von ze.tt, weil die Allianz-Arena in München beim Fußballeuropameisterschaftsspiel zwischen Deutschland und Ungarn nicht in den Farben des Regenbogens erstrahlte. Der europäische Fußballverband UEFA hatte die vom Münchner Stadtrat beantragte Aktion verboten – weil sie ein politisches Statement darstelle. Ein solches ist unvereinbar mit den Statuten des Verbandes.
Die folgerichtige Empörung über die UEFA überrollte neue wie alte Medien, Regenbogenflaggen zierten Instagram-Storys, auf Twitter verbreiteten sich bessere wie schlechtere Witze über die Geldgier und Doppelmoral der UEFA. So weit so richtig, so moralisch. Einige Zeit später (und nach dem Ausscheiden der deutschen Mannschaft) lohnt aber ein Blick zurück auf die Logik der Reaktion und die Frage nach der Kraft der Symbole in einem Raum der Erlaubnis beziehungsweise des Verbots.
Die UEFA versteht sich als unpolitische, rein sportliche Organisation, die fußballerische Wettkämpfe über politische Unterschiede hinweg fördern möchte.
Wo die Geschichte der Doppelmoral der UEFA beginnt, lässt sich ebenso schwer beziffern wie der Beginn der Geschichte von Homophobie und Widerständen gegen LGBTQ+ im Fußball. Die Geschichte des Regenbogens auf der Allianzarena aber beginnt früher, als es viele bemerkt haben, die sich einreihen in die Anklagen gegen den Fußballverband, den Fußball aber ansonsten wenig verfolgen. Bereits am 20. Juni, also drei Tage vor dem Spiel gegen Ungarn, wurde bekannt, dass die UEFA gegen DFB-Kapitän Manuel Neuer sportgerichtliche Ermittlungen eingeleitet habe, weil dieser in den ersten beiden Gruppenspielen statt der vorgeschriebenen Kapitänsbinde eine regenbogenfarbene getragen hatte. Tatsächlich trug Neuer diese Binde bereits beim letzten EM-Test gegen Lettland (7:1). Noch am selben Tag stellte der Kontinentalverband die Ermittlungen wieder ein.
Die Begründung: Das Tragen des Regenbogens am Arm des Nationalkeepers sei ein „Symbol der Diversität und daher für einen guten Zweck“ (engl. Original: „a symbol of diversity and thus a good cause“). Aus diesem Grund seien die Regenbogenfarben nicht als ein politisches Symbol zu werten, weshalb es auch nicht unter die den Statuten nach zu ahnenden Aktionen falle. Die UEFA versteht sich als unpolitische, rein sportliche Organisation, die fußballerische Wettkämpfe über politische Unterschiede hinweg fördern möchte. Aus diesem Grund sind eindeutig politische Äußerungen im Rahmen von UEFA-Veranstaltungen untersagt.
Vor diesem Hintergrund mag es erstaunen, dass das Münchner Stadion nicht bunt erstrahlen durfte. Deutschlands Kapitän spielte übrigens auch gegen Ungarn mit besagter Kapitänsbinde. Beim Ausscheiden im Achtelfinale trug auch der Kapitän der gegnerischen Engländer Harry Kane den Regenbogen. Wo also liegt für die UEFA der Unterschied zwischen dem Farbspektrum am Arm eines Spielers im Stadion und denselben Farben auf demselben Stadion?
Offenbar wertet der Verband Letzteres als politisches Zeichen, Ersteres nicht. Die Sprachwissenschaft, in der letztlich die Untersuchung von Symbolen vorgenommen wird, weiß schon länger, dass Zeichen jeder Art nur Zeichen sind, wenn sie in bestimmte Situationen integriert werden. Zeichen treten selten, ja eigentlich nie isoliert auf, sondern werden kontextualisiert, also in einen Zusammenhang gestellt. Und tatsächlich stehen die Kapitänsbinde und das erleuchtete Stadion, obwohl sie örtlich kaum zu trennen sind, in unterschiedlichen Kontexten.
Zwar sind beide im Zusammenhang des Pride Month zu verstehen, allerdings war bereits bei den Spielen der DFB-Elf gegen Frankreich und Portugal (ebenfalls in München) Pride Month, ohne dass es Pläne gegeben hätte, die Arena bunt zu beleuchten. Neuer trug hingegen schon gegen diese Gegner den Regenbogen am Arm. Die Vermutung, dass ein regenbogenfarbenes Stadion beim Spiel gegen Ungarn in Deutschland eine deutliche politische Botschaft gegen die ungarische Regierung und erst zweitrangig als Bekenntnis zu Diversität sei, ist daher ganz und gar nicht abwegig.
Häufig war zu lesen, die UEFA würde nur für Vielfalt eintreten, wenn es ihr nicht wehtun würde.
Tatsächlich wurde der Antrag der Stadt München ausdrücklich mit dem ungarischen Gesetz, das am 23.05.2021 verabschiedet wurde und gemeinhin als trans- und homosexuellenfeindlich gilt, begründet. Im Antrag heißt es: „Diese Gesetzgebung stellt einen neuen Höhepunkt einer Unsichtbarmachung und Entrechtung von Lesben, Schwulen, bisexuellen, trans- und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) dar und reiht sich ein in die seit Jahren betriebene systematische Einschränkung von Rechtstaatlichkeiten und Grundfreiheiten in Ungarn.“ Trotz aller noch existierenden Homophobie in Deutschland wird eine große Mehrheit der hier lebenden Menschen diese Formulierung unterschreiben. Weil sich die Botschaft aber direkt und ausdrücklich gegen die ungarische Gesetzgebung wendet, ist sie für die UEFA „politisch“.
Das Verständnis der UEFA davon, was „politisch“ ist und was nicht, mag willkürlich, inkonsequent und auch unverständlich erscheinen. Das persönliche (und, sicherlich auch politische) Statement Manuel Neuers, allgemein für Diversität und Toleranz einzustehen, unterscheidet sich aber doch ganz eindeutig von einem symbolischen Akt eines deutschen Regierungsorgans gegen die Gesetzgebung eines Nationalstaates. Dass für die UEFA in Wahrheit die guten Beziehungen zu Ungarn im Vordergrund standen, ist ein offenes Geheimnis. Dass die internationalen Fußballverbände und der medial omnipräsente Fußball überhaupt von Korruption, Doppelmoral und in der Summe billigen Lippenbekenntnissen zu Vielfalt, Menschenrechten und Fairplay durchzogen sind, ebenfalls. Dies macht für die Argumentation der UEFA im Fall Allianz-Arena aber keinen Unterschied. Im Sinne der oben beschriebenen Unterscheidung vom eher allgemeinen Statement Neuers und der sehr deutlich mit der ungarischen Gesetzgebung begründeten Symbolik der Stadt München ist die Argumentation der UEFA nachvollziehbar.
Der DFB und der Münchener Stadtrat zeigten zwar ihr Unverständnis über die Entscheidung der UEFA, den Regenbogen an der Münchener Arena wollten sie aber auch nicht anschalten.
Umso spannender ist dann auch die Betrachtung der öffentlichen Reaktionen, die diesen Unterschied entweder nicht bemerkten oder nicht nennen wollten. Der Fall Neuer und die eindeutige Haltung der UEFA in diesem Fall (wenn auch verspätet) fanden in den Empörungen über das Verbot der Stadionbeleuchtung kaum Erwähnung. Dass Neuer auch gegen Ungarn mit Regenbogen am Oberarm spielen durfte, spielte offenbar keine Rolle. Häufig war zu lesen, die UEFA würde nur für Vielfalt eintreten, wenn es ihr nicht wehtun würde. Das ist korrekt, aber wie bereits erwähnt hinlänglich und nicht erst seit der EM 2021 bekannt. Die Geldgier der UEFA wurde überdies bereits beim Drama um den Zusammenbruch des dänischen Nationalspielers Christian Eriksen beim Spiel Dänemark – Finnland offenbar.
Nachdem dieser noch in der ersten Halbzeit ins Krankenhaus eingeliefert und bekannt wurde, dass er in stabilem Zustand sei, stellte die UEFA das dänische Team vor die Entscheidung, noch am selben oder aber am nächsten Tag das Spiel zu Ende zu spielen. Angesichts des psychischen Schocks der Spieler eine unmenschliche Alternative. Die vor Eriksens Zusammenbruch überlegenen Dänen verloren das Spiel schließlich auch mit 0:1. Wer über die Verhandlungen über die millionenschweren Übertragungsrechte von Spielen und Anstoßzeiten im Fußball Bescheid wusste, erkannte hier schnell, worum es der UEFA ging – und es war sicherlich nicht der Gesundheitszustand von Eriksen, noch der seiner Teamkollegen.
Die UEFA tat also nur das Erwartbare. Bei näherer Betrachtung ist es erstaunlich, dass die öffentlichen Vorwürfe kein anderes Ziel fanden: nämlich den DFB und den Münchner Stadtrat. Beide zeigten zwar ihr Unverständnis und ihre Entrüstung über die UEFA, den Regenbogen an der Münchner Arena wollten sie aber auch nicht anschalten. Für die Beleuchtung zuständig ist aber wohl kaum die UEFA selbst. Nicht nur die UEFA liefert bloße Lippenbekenntnisse, sondern auch jene, die es wundersamerweise schaffen, als die Guten in dieser Geschichte dazustehen.
Einen bestehenden Konsens zeichenhaft zu reproduzieren, wäre nicht politisch, sondern moralisch.
Der Schutz von LGBTQ+-Rechten ist keineswegs selbstverständlich und wird somit, wie jetzt in Ungarn immer wieder bestritten und bekämpft, und genau darin liegt das Risiko, symbolisch für sie einzustehen. In diesem Risiko wiederum liegt die Kraft des Einstehens. Wenn ein Zeichen für die Rechte von LGBTQ+- Menschen nicht politisch und bestreitbar eingesetzt würde, würde es auch zu keinem Streit führen und somit außer einigen Schulterklopfern für die Zeichenverwender wenig bewirken.
Zum Vergleich: Wenn über der Allianz-Arena die Aufschrift „Heilt krebskranke Kinder“ prangen würde, wäre wohl kaum mit Widerspruch zu rechnen. Einige krebskranke Kinder oder deren Eltern würden sich dadurch vielleicht verstanden und unterstützt fühlen, andere empfänden es vielleicht gleichsam als zynisch. Abseits davon würde die Aufschrift in Sachen Krebs vermutlich wenig bewirken. Einen bestehenden Konsens zeichenhaft zu reproduzieren, wäre nicht politisch, sondern moralisch.
Wer ab und an mal ein Wahlplakat in Augenschein nimmt, weiß: Auf diese Art und Weise benutzen Politiker:innen Zeichen am liebsten – bloß nicht politisch! Bloß niemanden vor den Kopf stoßen und bloß keine Wähler:innen abschrecken oder ausländische Despoten verärgern. Entsprechend erstrahlten dann auch während des Ungarn-Spiels in ganz Deutschland hie und da Schlösser, Regierungsgebäude und andere Fußballstadien in den Farben des Regenbogens – aber nur dort, wo weder ungarische Politiker:innen noch UEFA-Funktionär:innen sich daran stören könnten oder auch nur etwas davon mitbekämen.
Gewaltloser Widerstand erlangt seine Macht nur im Angesicht des gewaltwollen und übermächtigen Gegners.
Das ist ein wichtiges Zeichen der Solidarisierung mit LGBTQ+-Menschen, sichert aber vor allem einen bestehenden Konsens, anstatt die Rechte sexueller Minderheiten dort zu verteidigen, wo dieser Konsens nicht geteilt wird. Dort artikuliert der Regenbogen kaum mehr Mut und Widerstand als der Regenbogen im Hintergrund der Kindersendung „Kinderquatsch mit Michael“. Die Regenbogenbeleuchtung der Allianz-Arena hingegen hätte ein Fingerzeig, vielleicht sogar ein Mittelfinger Richtung Orbán sein können.
Ein noch deutlicherer Fingerzeig wäre es gewesen, das Stadion zu beleuchten, gerade weil es verboten war. Diese Chance verpasste die Stadt München jedoch – gemäß dem Motto „Wir setzen ein Zeichen für Menschenrechte, aber nur, wenn es der UEFA auch recht ist“. Es zeigt sich: Wo aber Gefahr ist, da wächst die Feigheit mit ihr, denn wie bei der UEFA sind auch in diesem Fall die Gründe für die fehlende Courage kaum verhüllt. Auch die Stadt München profitiert finanziell von der Austragung der Europameisterschaft und dem DFB (wie auch vielen schwarz-rot-goldenen Fans) ist ein gutes Abschneiden der Nationalmannschaft wichtiger als alles andere. Ein möglicher Punktabzug als Strafe für den Münchner Regenbogen hätte für Deutschland ein noch früheres EM-Aus bedeutet.
Politisch war es als Colin Kaepernick sich alleine zur Nationalhymne der USA hinkniete, um gegen rassistische Polizeigewalt zu protestieren.
Jede Symbolpolitik ist maßgeblich abhängig vom Risiko des öffentlichen Gebrauchs des Symbolischen. Gewaltloser Widerstand zum Beispiel erlangt seine Macht nur im Angesicht des gewaltvollen und übermächtigen Gegners: der Staatsgewalt. Auch das Niederknien im Zeichen des Antirassismus vor dem Spiel verkommt immer mehr zu einer leeren Geste, weil sie mit keiner realen Gefahr des Ausschlusses mehr verknüpft ist, wie dies noch der Fall war, als der Football-Profi Colin Kaepernick sie ins Leben rief. Damals kniete er, während die Nationalhymne der USA im Stadion erklang. Im Ergebnis stand letztlich das Ende seiner Karriere. Wer unter allgemeinem Zujubeln kniet, begibt sich nicht in Gefahr, ja er tut sogar das Verlangte. Nicht von ungefähr gibt es bereits Schwarze Fußballer, die nun wieder das Gegenteil tun: Stehen, während alle anderen obligatorisch knien.
Entsprechend wird auch das Knien vor den Spielen von der UEFA nicht als politisches Zeichen aufgefasst und verboten. Politisch war es noch für Colin Kaepernick, der sich, indem er kniete, allein gegen ein ganzes Stadion und quasi eine ganze Nation stellte. Das politische, widerständige Zeichen bestand genau in dem Kontrast und der Non-Konformität, die Kaepernick durch die Weigerung des Sich-Erhebens zum Ausdruck brachte. Wird die Geste jedoch einheitlich nachgeahmt, so gleicht sie weniger einem Ausdruck des Widerstands gegen rassistische Polizeiwillkür, sondern eher den anderen formellen Routinen, die zum Spektakel eines sportlichen Großereignisses dazugehören, wie das Singen der Nationalhymne. Auch dieses ist für die UEFA augenscheinlich kein Ausdruck eines politischen Nationalismus, sondern Teil der rituellen Rahmung eines Länderspiels, eine reine Routineformel, deren Inhalt kaum eine Rolle spielt. Spieler verschiedenster politischer Couleur können, dürfen und sollen die Nationalhymne mitsingen, ganz gleich welche Haltung sie privat zum Liedtext einnehmen.
Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass die Regenbogenflagge denselben Weg der symbolischen Inflationierung gehen könnte wie das Hinknien. Damit dies nicht geschieht, wäre es wichtig, mit ihr nicht nur zum Pride Month pflichtbewusst Häuserfassaden und H&M-Regale in liberalen Großstädten zu schmücken, sondern sie gerade dort einzusetzen, wo mit ihr protestiert, gestört (im Sinne von „das unterdrückerische System stören“) und widersprochen werden kann. Und in jedem Fall darf dieses Symbol nicht zur Image-Politur eines Fußballverbandes wie der UEFA oder gar der FIFA vereinnahmt werden, die Milliarden in eine WM in Katar steckt, wo auf Homosexualität eine mehrjährige Haftstrafe steht und homosexuellen Fans rät, dort aus Respekt vor dem Gastgeberland besser keinen Sex zu haben.
#China #Money