Text: Michael Nagel | Collagen: © Marit Brunnert
Hurra, wir reden übers Klima! Dank der weltweiten Umweltbewegung, die es im letzten halben Jahr unter anderem unter dem Label Fridays for Future in die Köpfe fast aller Menschen geschafft hat, reden wir endlich übers Klima!
Die Tatsache, dass nicht nur die globalen Ressourcen endlich sind, sondern auch die vorhandenen Senken, also die Speicherstätten für Stoffe wie CO2, scheint jetzt mehr als nur eine Randnotiz in den Abendnachrichten zu sein. Die Klimakrise hat es in die Mitte des gesellschaftlichen Diskurses geschafft. Medien berichten beinahe täglich über einschlägige Thematiken und Politiker*innen fast aller Parteien äußern sich zu Klimathemen. Neben den üblichen Verdächtigen versucht sich jetzt selbst der konservative CSU-Vorsitzende Markus Söder – Glaubwürdigkeit hin oder her – als Klimaretter zu profilieren. Zweifellos ist das ein großer Erfolg der Klimabewegung.
Zwar ist es großartig, dass über das Klima gesprochen wird, problematisch ist aber weiterhin, wie über das Klima gesprochen wird. Statt das große Ganze anzugehen, geht es ständig nur um individuellen Konsum und den Beitrag des*der Einzelnen.
Ein Beispiel: Vor kurzem kam die Idee auf, eine sogenannte Fleischsteuer zu erheben. Gemeint ist damit keine zusätzliche Steuer auf Fleisch, sondern lediglich eine Anhebung der Mehrwertsteuer von bisher 7% auf dann 19%. Damit würde man für Fleisch dann genauso viel Mehrwertsteuer bezahlen, wie derzeit zum Beispiel für Hafermilch. Ziel dieser Steuererhöhung soll angeblich vor allem mehr Tierwohl sein. Zusätzlich kommt natürlich schnell der Gedanke an eine Senkung des Fleischkonsums insgesamt auf. Das ist allemal nötig! Nicht nur, dass die Millionen Tiere, die jedes Jahr in Deutschland aufgezogen und getötet werden, oft unter unwürdigen Bedingungen gehalten werden und unvorstellbares Leid erfahren müssen, auch die Umwelt leidet enorm unter der exzessiven Tierhaltung.
Ein Viertel des gesamten Ausstoßes an CO2-Äquivalenten stammt aus der Landwirtschaft. Insbesondere Rinder tragen durch das von ihnen ausgestoßene Methan einen nicht unerheblichen Anteil zu den globalen Treibhausgas-Emissionen bei. Weil Tiere eine Menge Futter brauchen, um schnell viel Fleisch anzusetzen, werden 80% der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche weltweit direkt oder indirekt für die Tierhaltung genutzt. Nicht selten muss dafür beispielsweise der Regenwald weichen. Gleichzeitig leiden 820 Millionen Menschen Hunger. Und das ist nur die Kurzfassung. All das ist bekannt.
Zum Glück scheinen die Chancen gar nicht mal so schlecht zu stehen. Nicht nur Grüne unterstützen die Forderung nach einer höheren Steuer auf Fleisch, sondern auch Politikerinnen aus der SPD und sogar Vertreterinnen der CDU zeigen sich nicht verschlossen gegenüber dem Vorschlag. Es handelt sich also um ein auf jeden Fall erstrebenswertes Ziel und die Umsetzung der Steuererhöhung scheint realistisch. Nur leider stellt diese Steuererhöhung ein völlig unzureichendes Mittel dar, wenn man den Fleischkonsum senken und das Tierwohl steigern will.
Nicht nur, dass die Erhöhung der Mehrwertsteuer nur eine sehr geringe Preissteigerung von oft nur wenigen Cent zur Folge hätte, die vermutlich kaum jemandem wehtun würde, auch ist eine Preissteigerung das völlig falsche Mittel um mehr Tier- und Umweltschutz zu erreichen. In Deutschland gibt es viele Menschen, die jeden Tag Fleisch essen. Menschen wie der rassistische Schalker Aufsichtsratsvorsitzende Clemens Tönnies, die betonen, zu jeder Mahlzeit Fleisch essen zu wollen. Klar, Tönnies verdient ja selbst sein Geld mit der industriellen Fleischproduktion.
Es ist sonnenklar, dass das ein Ende haben muss. Der Fleischkonsum in den frühindustrialisierten Staaten muss drastisch reduziert werden. Nur wird man das mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer nicht erreichen. Nicht nur, dass die Preiserhöhung viel zu niedrig ist, um einen Effekt zu haben, nein eine Preiserhöhung ist auch deshalb der falsche Weg, weil sie vor allem die Menschen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status trifft, für die ein Produkt dann zum Luxus wird, während reiche Menschen fröhlich weiter konsumieren.
Viel mehr muss man an den Ursachen ansetzen. Fleisch ist in Deutschland nur deshalb so günstig, weil es enorm mit Steuergeldern subventioniert wird. Jedes Jahr erhalten Fleischkonzerne Millionen Euro in Form von direkten und indirekten Subventionen, um so billig Tiere halten und töten zu können, damit das Fleisch in den Supermarkttheken für Centbeträge zu kaufen ist. Die Produktion ist sogar so billig, dass Produzentinnen wie Tönnies mehr als die Hälfte des Fleischs ins Ausland exportieren. Am liebsten in afrikanische Staaten, wo das Billigfleisch ganz nebenbei Existenzen von lokalen Bauern und Bäuerinnen, die im Wettbewerb mit den niedrigen Preisen nicht mithalten können, zerstört.
Wer etwas an der Fleischproduktion ändern will, muss endlich aufhören, das Problem auf individuelle Konsumentscheidungen zu verkürzen! Wenn wir wirklich mehr Schutz für Tiere, Umwelt und in der Konsequenz auch Menschen haben wollen, müssen wir die grundlegende Produktionsweise angehen und die Massentierhaltung konsequent verbieten. Natürlich muss dann auch der Import von Fleisch beschränkt werden, um zu verhindern, dass die Produktion sich einfach in andere Staaten verlagert.
Was am Beispiel des Fleischs deutlich wird, gilt für die gesamte Klimapolitik: Das Problem sind nicht individuelle Konsumentscheidungen. Natürlich muss ein Umdenken stattfinden und Menschen muss klar werden, dass es schlecht für uns ist, wenn wir jeden Tag Fleisch essen, SUV fahren oder dreimal im Jahr in den Urlaub fliegen. Ansonsten werden Menschen strukturelle Veränderungen nicht akzeptieren.
Aber das Problem ist viel grundlegender. Das Problem ist eine Wirtschaftsordnung, deren Ziele die stetige Profitmaximierung und ein unendliches Wachstum sind. Dafür werden Mensch, Tier und Umwelt rücksichtslos ausgebeutet und zerstört. Wer wirklich konsequenten Klimaschutz betreiben, die fortschreitende Umweltzerstörung stoppen und damit die große Katastrophe für Menschen und Tiere noch abwenden will, der*die muss die Grundfesten des Wirtschaftssystems angehen.
Wir brauchen einen Wandel hin zu einem System, dessen Ziel ein gutes Leben für alle, statt Reichtum für Wenige ist. Darüber müssen wir reden, statt uns in kleinteiligen Debatten über individuellen Konsum zu verlieren und damit wertvolle Zeit zu vergeuden, die wir brauchen, wenn wir die Welt noch retten wollen. Ja, es klingt pathetisch, aber nichts Geringeres steht auf dem Spiel.
Super guter Artikel! 🙂
Hallo Michi!
Ich habe Deinen Beitrag von Carolin gemailt bekommen.
Sehr guter und richtiger Artikel. Wir müssen die Wurzeln anpacken!
Viele Grüße,
Uwe