Antonia und Helge aus Göttingen wollen zwischen der Landwirtschaft und den Konsument*innen vermitteln. Sie meinen, Ökologie und Wirtschaftlichkeit können in der Landwirtschaft zusammen funktionieren. Gemeinsam haben sie deswegen das Projekt „Calenberg Blüht“ ins Leben gerufen, in dem sie Ackerland zu Blühacker verwandeln. Bei uns erzählen die zwei, was sie antreibt.
Von Antonia Michel und Helge Hische
„Helge, du studierst Landwirtschaft, kennst viele Sichtweisen und bist später selbst Landwirt – du hast die Chance, in der Landwirtschaft etwas zu verändern und Stadt und Land wieder mehr zusammenzuführen“.
Diese Aussage von der Mutter eines guten Freundes beim Abendessen hat sich Helge sehr zu Herzen genommen. Fortan begleitete ihn der Gedanke, denn sie hatte Recht: Tatsächlich sollte er doch vielleicht einmal den elterlichen Betrieb übernehmen. Aber die Frage war, was konnte er tun, an welcher Stelle sollte er was tun und wie, um den Anforderungen der Zeit in der Landwirtschaft gerecht zu werden?
Ambivalenz der Landwirtschaft
Bekannt ist, dass die Biodiversität auf deutschen Äckern in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen ist und bekannt ist auch, dass die Landwirtschaft – so wie sie die letzten Jahrzehnte geführt wurde – dazu ihren Beitrag geleistet hat. Und klar ist auch, dass das ein großes Problem ist, nicht zuletzt für die Landwirt*innen selbst. Schließlich sind diese oft die ersten direkt Betroffenen, wenn das Ökosystem gestört ist. Wir sollten uns also nicht der Illusion hingeben, dass die Landwirt*innen die rückläufige Biodiversität und die Schädigung der Ökosysteme nicht auch bekümmert.
Im Gegenteil! Die meisten von ihnen sind schließlich auf dem Land, also mit unserer schönen Natur aufgewachsen, können uns die Tausenden von unterschiedlichen Vogel-, Insekten- und Pflanzenarten aufzählen. Sie haben die Natur ihr Leben lang vor Augen, viel mehr als die meisten Städter.
Entsprechend würden viele gerne ökologischer wirtschaften, doch geht es bei der Bewirtschaftung ihrer Felder eben auch oft um ihre Existenz und umweltfreundlichere Wirtschaftsprodukte sind leider oft untragbar teuer.
Diese wirtschaftlichen Tatsachen sollten unbedingt berücksichtigt werden in der Planung einer umweltfreundlicheren Landwirtschaft!
Allerdings sind die Landwirt*innen auch Teil unserer Wirtschaftslogik. Markteingriffe der Politik bestimmen bis heute die Landwirtschaft.
Niedrige Preise werden durch Agrarförderungen ausgeglichen. Gleichzeitig muss der*die Landwirt*in immer mehr und immer kostengünstiger produzieren, damit sein*ihr Hof weiterleben kann. Hinzu werden ihre Existenzen durch billig importierte Ersatzprodukte als auch den voranschreitenden Klimawandel bedroht. Steigende Temperaturen und Wetterextreme bedeuten einen höheren Schädlingsdruck, notreife Pflanzen und Ertragsrisiken. Hieraus resultiert ein immer schwieriger werdender Kompromiss zwischen Nahrungsmittelproduktion und nachhaltigem Wirtschaften.
Wie lässt sich unsere Landwirtschaft mit Biodiversität verbinden?
Und so kam Helge eines Abends mit einer irren Idee nach Hause und unterbreitete sie seiner Mitbewohnerin Antonia:
Ein Blühacker von 15.000 qm, auf dem die Blumen zwischen Juni und Oktober blühen, soll auf dem Land der Eltern im Calenberger Land bei Hannover entstehen. Mit diesem Pilotprojekt möchten wir in die Öffentlichkeit und die Ökoleistung des Blühackers direkt vermarkten und so ein Modell entwickeln, dass sich hoffentlich dann auch auf andere Landwirtschaften übertragen lässt.
Da Antonia selbst auch an der Uni Göttingen Biologie studiert, war sie natürlich gleich Feuer und Flamme für seine Projektidee auf dem eigenen Hof. Denn nachhaltige Gedanken in den Reihen der Leute, die angesichts der unaufhaltsamen Klimaveränderungen und insbesondere dem Rückgang der Artenvielfalt eine echte Chance haben viel zu verändern, müssen gefördert und unterstützt werden. Gemeinsam bilden wir seither das Team hinter Calenberg Blüht.
Mit der Blühfläche schaffen wir im Sommer wertvolle Rückzugsorte und Lebensräume für Wildtiere und geben eine von vielen Antworten auf das Insektensterben. Zusätzlich binden die Blumen CO2, welches dann in Form von Humus langjährig im Boden gespeichert wird. Ob und wie viel der Umwelt damit tatsächlich geholfen ist, analysieren wir mithilfe der Uni Göttingen und des NABUs.
Blick in die Zukunft
Wir sehen gespannt in die Zukunft der Landwirtschaft.
Schon jetzt lassen sich viele Veränderungen durch ein kollektives Umdenken in unserer Gesellschaft feststellen, die sich auch in einem Wandel der Landwirtschaft äußern.
Durch die veränderte Nachfrage wird der Bio-Marktanteil voraussichtlich steigen, aber wahrscheinlich nicht den Nahrungsmittel-Markt übernehmen.
Dennoch wird auch die restliche, konventionelle Landwirtschaft zunehmend „biologisiert“. Seit Jahren werden auch hier Maßnahmen aus dem Bio-Ackerbau verstärkt angewendet, gerade unter einer neuen, jungen Generation Landwirt*innen. Monokulturen gibt es nur noch vereinzelt. Die verschiedenen Früchte pro Acker nehmen zu und gefährliche Pestizide werden verboten. Allerdings benötigen wir Landwirt*innen dennoch einzelne Pflanzenschutzmittel, damit gegen das Ertragsrisiko der oben genannten Folgen des Klimawandels angekämpft werden kann. Das Risiko des Totalausfalls ist in Biobetrieben fundamental. Zwei Missernten reichen aus, damit ein Hof vor dem Ruin steht.
Wir gehen davon aus, dass die nächsten Jahre noch einige Innovationen bringen werden. Der Trend geht weg von der Betrachtung eines ganzen Ackers hin zu der Einzelpflanze. Drohnen und Roboter bestimmen die Zukunft, um Krankheiten früh zu erkennen, sodass Pflanzenschutzmittel nur noch wesentlich zielgerichteter eingesetzt werden können.
Unsere Botschaft
Unsere Natur und auch unsere Gesellschaft sind sehr komplex, wir verstehen lange noch nicht alles, weshalb es wichtig ist, sich einander zu öffnen und achtsam zuzuhören.
Uns geht es um die Umwelt! Aber eine umweltfreundliche Landwirtschaft muss und kann vereinbar sein mit unserer Versorgung mit Grundnahrungsmitteln und der Sicherung von Existenzen der Bauern und Bäuerinnen. Es bringt uns wenig, wenn lauter gutmeinende Kleinbauern und -bäuerinnen ihre Existenzen dafür opfern müssen, dass wir eine Zukunft in einer lebenswerten Welt haben. Wenn einzelne Höfe zugrunde gehen, weil sie die Kosten der neuen Normen und Regelungen schlicht nicht tragen können, stimmt etwas an unseren Überlegungen nicht.
Im Rahmen unseres Projektes ist es uns deshalb wichtig, ein Forum für den Dialog zu bieten, denn offensichtlich ist, dass niemand von uns allwissend ist, umso mehr soll jede*r sich eingeladen fühlen, sein*ihr Wissen und seine*ihre Einwände mit uns zu teilen! Das Ziel ist es, im Gespräch zu sein, sich auszutauschen, um gemeinsam sinnvolle und nachhaltige Lösungen zu finden. Nehmen wir einander ernst, hören wir zu und lassen wir uns aufeinander ein!
Antonia
Helge
Wir, das Team hinter Calenberg Blüht, glauben, dass wir die Lösung aller Probleme nur zusammen erreichen können. Wir müssen diese Verantwortung uns und unserer Natur gegenüber gemeinsam tragen. Erwarten wir von den Bäuerinnen und Bauern nicht, was sie allein nicht tragen können. Lasst uns zusammenstehen und sie in der Gestaltung einer zukunftsfähigen und umweltfreundlichen Landwirtschaft unterstützen.