von Patricia Cemus
Foodsharing: Ein Versuch unser Bewusstsein im Umgang mit Lebensmitteln zu verändern.
Schwarze Wolken verdunkeln den Himmel, als ich auf einen Weg abbiege, der zu einer etwas abgelegenen Passage führt. Ich bin ein bisschen aufgeregt. Mein Ziel: Zum ersten Mal Foodsharing, in Bayerns Landeshauptstadt München, ausprobieren. Schon aus der Ferne sehe ich eine kleine Gruppe, die aus fünf Foodsharer*innen und der Foodsaverin Susanne* besteht. Sie ist seit sechs Monaten als Lebensmittelretterin unterwegs und holt fast jede Woche belegte Sandwiches, Salate, Obst, Gemüse und eine Menge anderer übriggebliebener Nahrungsmittel bei verschiedenen Betrieben ab. Ansonsten würden diese im Müllcontainer landen. Susanne verteilt sie an Menschen, zu denen ich jetzt auch gehöre, die sie gebrauchen können. Diese nennen sich Foodsharer*innen.
Foodsharing, eine 2012 gegründete Initiative, versucht die Lebensmittelverschwendung zu bekämpfen, auf das Thema aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren. Anders als die Tafeln, bindet die Initiative das Verteilen nicht an Bedürftigkeit. In erster Linie geht es um die Vermeidung von Ressourcenverschwendung.
Laut einer Studie der UN werden rund ein Drittel aller Lebensmittel weltweit weggeschmissen. Wenn man sich das am Beispiel einer Großstadt wie München anschaut, bedeutet das, dass jeden Tag 168 000 Kilogramm genießbare Lebensmittel im Müllcontainer landen. Jede*r Bürger*in der Stadt entsorgt täglich also ca. 118 Gramm an Nahrung, die noch gegessen werden könnte. Woran liegt das?
Zum einen leben wir in einer Wohlstandgesellschaft. Für viele wird Überfluss und grenzenlose Verfügbarkeit zur Selbstverständlichkeit. So erwarten die Kund*innen, wenn sie 5 Minuten vor Ladenschluss einen Supermarkt betreten, dass noch unzählig verschiedene Obst- und Gemüsesorten bereitliegen. Mit dieser Ausrede machen Unternehmen Konsument*innen für ihr Überangebot verantwortlich, erklärt Günes Seyfarth, Vorstandsmitglied von Foodsharing München. Sie ist davon überzeugt, dass in der Lebensmitteldebatte unsere Mentalität und das Umfeld, in dem wir aufwachsen eine sehr bedeutende Rolle spielt. Und damit ist sie nicht allein. Denn rund 32.000 Freiwillige, Tendenz steigend, engagieren sich bei Foodsharing. Durch ihren Aktivismus möchten sie vor allem aufklären und einen Teil zu einem nachhaltigeren Bewusstsein beitragen.
Des Weiteren ist zu beachten, dass mit jedem Produkt, das in der Mülltonne landet auch Transport, Verpackung, Bewässerung, aufgebrachter Energieaufwand bei der Herstellung, etc. umsonst waren. Diese ungeheure Kosten- und Energieverschwendung ist vielen Verbraucher*innen gar nicht bewusst.
Ist es denn wirklich so schwierig, die Milch oder den Joghurt zu öffnen, daran zu riechen und notfalls einen kleinen Löffel davon zu probieren? Den Menschen fehle hier das Selbstvertrauen, sie fühlen sich nicht mehr dafür verantwortlich und kompetent genug, um bewerten zu können, ob etwas noch verzehrbar oder schlecht geworden sei, ergänzt Seyfarth. Nahrungsmittel als Müll zu bezeichnen, sei völlig unangebracht, betont sie.
Günes Seyfarth ergänzt, sie könne sich nicht mehr vorstellen, durchschnittliche Konsumentin zu sein. Die Familie gehe nur noch selten in den Supermarkt. Fast alle Lebensmittel, die sich auf dem Tisch in der Küche befinden, an dem wir unser Gespräch führen, hat sie gerettet. In den viereinhalb Jahren, in denen sie Foodsaverin ist, kam sie nur zwei Mal mit leeren Händen nach Hause.
Klara*, mit der ich am nächsten Tag ein Telefongespräch führe, ist seit einigen Jahren ebenfalls Foodsaverin. Sie ernährt sich genau wie Günes, hauptsächlich von Lebensmitteln, die sie rettet. Sie möchte aber noch einen Schritt weitergehen. Bei ihrer Hochzeit im Sommer, wird sie das Catering mit Gerettetem ergänzen. Am liebsten würde sie den Caterer ganz weglassen, jedoch würde das bei einigen Verwandten und Bekannten auf Ablehnung stoßen.
Klara macht es wütend, mit welchen Vorurteilen und Unverständnis manche Menschen der Initiative entgegentreten. Bevor sie vor 5 Jahren anfing sich bei Foodsharing zu engagieren, ging sie regelmäßig containern. Dabei sucht man „Müllcontainer“ von Supermärkten auf, in denen Lebensmittel landen, die nicht mehr frisch genug oder beschädigt sind oder deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Containern ist in Deutschland illegal. Erwischt wurde Klara damals nie, einmal erschrak sie aber doch, als sie eine Mülltonne gefüllt mit rund 20 Kilogramm an tadellosem Essen öffnete und feststellen musste, dass eine Packung Waschmittel darüber ausgekippt worden war, um die Lebensmittel ungenießbar zu machen.
Nach meinem Gespräch mit Klara bin ich erneut mit Susanne verabredet. Wir treffen uns im Eine-Welt-Haus in München. Dort befindet sich einer von drei sogenannten Fair-Teilern. Groß ist er nicht, nur ein Regal und ein Kühlschrank stehen im ersten Stock des Gebäudes. Dadurch gibt es eine weitere Möglichkeit der sinnlosen Verschwendung von Nahrungsmitteln entgegenzuwirken. Jeder kann dort vorbeikommen, um Lebensmittel, die nicht benötigt werden, abzulegen und ein Anderer, der für sie Verwendung findet, nimmt sie einfach mit.
Bei meinem ersten „Essenskorb“, bei der Susanne in einer Passage das Essen austeilt, gilt ein etwas anderes Prinzip. Ein Freiwilliger oder eine Privatperson nennen einen Ort und Zeitpunkt um Lebensmittel zu verteilen und es kann sich eine begrenzte Anzahl an Foodsharer*innen anmelden und diese abholen. Jeder von uns fünf bekommt mehr als ein Dutzend belegter Sandwiches, Salate und frischen Fruchtsaft. Ich freue mich über zwei gefüllte Taschen und mache mich mit dem leckeren Essen auf den Nachhauseweg.
Schön wäre es, wenn Foodsharing einmal nicht mehr existieren müsste, weil jeder von uns verantwortungs- und respektvoll mit Lebensmitteln umgeht. Das ist der Wunsch von Günes Seyfarth und der vieler Freiwilliger, die sich bei der Initiative engagieren. Eine schöne Vorstellung, bis zu deren Verwirklichung wohl noch etwas Zeit vergehen wird.
*Namen geändert
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