von Leonie Ziem
Das, was da aus meinem Wasserhahn fließt, schmeckt nicht nach Menschenrecht. Auch nicht nach Privilegien, eher so nach Alltag. Ich dusche leidenschaftlich gerne, und zwar länger als 15 Minuten, manchmal bade ich zum Spaß und die restliche Zeit bade ich aus Vergnügen.
Eine Idee davon, dass Wasser knapp ist, habe ich im Hinterkopf – aber sie hat Urlaub, wenn ich gerade unter der Dusche stehe. Wasser und Ich – wir sind per Du. Wann immer es mir danach verlangt, bekomme ich es. Ertrinken die einen im Überfluss, während die anderen verdursten?
Warum Wasser ein Imperativ ist
36 Stunden. Das ist circa die Zeitspanne, in der ein Mensch ohne Wasser überleben kann. Erreichbare Wasserquellen waren demnach in der Geschichte der Menschheit – und der Tiere – stets ein existentielles Thema. Das elementare Bedürfnis nach der Ressource Wasser führte und führt oft zu Konflikten, wenn nicht gar Kriegen. Der Begriff „Wasserrechte“ klingt intuitiv erst mal nicht sehr lebensnah. Dabei bekommt Wasser gerade jetzt zunehmend eine politische Bedeutung. Entgegen der deutschen Selbstverständlichkeit, hängt mit Wasser auch immer eine (globale) Verantwortung zusammen, denn Wasser ist knapp.
Die Welt ist blau
Die Welt, die ich kenne, steht in meinem Wohnzimmer. Sie ist ein alter Globus vom Trödelmarkt, und wir benutzen ihn vor allem als Lampe. Ein peripherer Blick in Richtung Kommode genügt, um zu erkennen, dass die Welt doch eher weniger bunt ist, dafür aber sehr blau.
Es ist die Lieblingsfarbe der meisten Menschen – das gibt zumindest Google als erste Information an, wenn man blau in die Suchmaske eingibt – und Google muss es ja wissen.
Das ganze Blau auf dem Globus suggeriert erst einmal, dass Wasser bestimmt einiges ist, ganz sicher aber nicht knapp. Denn ja – die Wassermenge auf der Erde ist enorm und bleibt auch immer gleich. Wenn wir jedoch davon reden, dass Wasser knapp ist, dann meinen wir Süßwasser. Das Wasser, das das Blau in meinen Globus malt, ist vorwiegend Salzwasser.
Der Prozentsatz des Süßwassers liegt jedoch bei nur drei Prozent. Und von diesen drei Prozent ist nur ein geringfügiger Teil auch zugänglich, der Rest liegt beispielsweise in polaren Eismassen eingefroren. Zur gleichen Zeit sorgt der Klimawandel dafür, dass noch mehr Wasserquellen vertrocknen. Außerdem wird die Verschmutzung von Wasser immer massiver – eine Million Liter Wasser können von nur einem Liter Öl unbekömmlich gemacht werden.
Ich frage Johannes Schmiester, Projektmanager für das Thema Water Stewardship beim WWF Deutschland, ob man von einer Wasserkrise sprechen kann. Er erzählt mir, dass das Problem mit der physischen Ressource Wasser vor Allem ihre ungleiche Verteilung ist. Hier ist eine Weltkarte der Wasserknappheit einsehbar.



Wasserprivatisierung – Wem gehört Wasser?
Der Zugang zu sauberem Wasser ist ein Menschenrecht, das hat die UN 2010 anerkannt. Wenn Wasser zur Ware wird, wird Wasser zu einem Mittel von Unternehmen, um Profit zu machen. Wasser ist dann nicht länger ein öffentliches Gut, sondern Privateigentum. Der Film „Bottled Life“ geht mit dem Schweizer Konzern Nestlé hart ins Gericht. Der Film zeigt, wie Nestlé durch das Abpumpen des Wassers den Grundwasserspiegel senkt und daraufhin das Wasser abgefüllt unter dem Namen „Pure Life“ zu hohen Preisen an die lokale Bevölkerung verkauft. Dabei geht es vor Allem um einen Standort in Pakistan.
Inzwischen ist dieser Standort Aushängeschild des Konzerns, der nach der heftiger Kritik, die dem Unternehmen entgegen gebracht wurde, mit dem WWF Standards ausgearbeitet hat und nach diesen zertifiziert wurde.
Ich rufe bei Nestlé an. Den Namen des Schweizer Konzerns kenne ich sonst auch sehr gut von den unzähligen Marken, die mich aus den Supermarktregalen anblicken. Zu seinem Sortiment gehört zum Beispiel auch San Pellegrino, Perrier oder Vittel. Ich spreche mit Achim Drews, Leiter der Public Affairs, er sagt: „Wir selber sehen uns eher in Konkurrenz zu Anbietern von anderen Erfrischungsgetränken wie Limonaden“.
Moment, denke ich, das ist, als ob man Äpfel mit Birnen vergleicht. Das eine Menschenrecht, das andere Partygetränk. Er erklärt: „Was wir machen: wir sind ein Abfüller von Mineralwasser oder von Quellwasser und verkaufen es in Flaschen. Und ich glaube nicht, dass es möglich oder sinnvoll ist, das Grundrecht auf Wasser über Mineralwasser in Flaschen zu decken. Das geht nicht. Das ist viel zu teuer und auch viel zu aufwendig, auch ökologisch. Das ist ein häufiges Missverständnis.“



Das Problem liegt darin, dass nicht alle mühelos für ihr Wasser zahlen können. Ob Wasser privat ist oder nicht, spielt hierbei eine zweitrangige Rolle. Ärmere Staaten können mit der Rolle des Wasserversogers überfordert sein. Private Akteure sind also per se nicht schlecht – jedoch fördert eine diskriminierende Preispolitik der Unternehmen den Missstand in der Welt. So Nestlé: „Mineralwasser oder Quellwasser richtet sich in erster Linie an aufstrebende mittlere Einkommensschichten. Eine Grundversorgung für die breite Bevölkerung mit Mineralwasser und Quellwasser in Flaschen ist weder möglich noch sinnvoll. Die leitungsgebundene Grundversorgung ist eine staatliche Versorgungsaufgabe. In diesem Bereich wollen wir nicht tätig sein. Die öffentliche Grundversorgung ist entscheidend, um das Grundrecht auf Wasser zu erfüllen. Für private Unternehmen birgt dies auch ein Risiko, mit dem Menschenrecht auf Wasser in Konflikt zu geraten.“
Nestlé will also explizit nicht Wasserversorger sein. „Wir bewegen uns eher in dem Bereich: trinken unterwegs.“, sagt Achim Drewes. Auch wenn Nestlé nicht Wasserversorger sein will, ergibt sich ein ethisches Problem – Der Konzern zieht sich aus der Verantwortung.
Der Knackpunkt Nummer eins sind die gesundheitlichen Gründe. Sauberes Wasser ist eine Notwendigkeit und kein Bedürfnis, das auf Marketingtricks zurückzuführen ist. Daher kann man nicht einfach sagen „schränke deinen Konsum ein und trinke weniger Wasser“. So sagt selbst Drewes: „Es gibt Länder, wo die Qualität einer öffentlichen Wasserversorgung so schlecht ist, dass die Menschen fürs Trinken Flaschen bevorzugen oder andere Systeme der Wasseraufbereitung nutzen. Allein, weil sie sonst ihr Leben gefährden würden. Und gerade in vielen Ländern des Südens ist das der Fall: wenn man dort unterwegs ist, ist man gut beraten, nicht aus der Leitung zu trinken.“
Auch besteht Nestlé darauf, keine Wasserressourcen zu kontrollieren oder Monopolmacht zu besitzen. Der Knackpunkt Nummer zwei ergibt sich jedoch dadurch, dass Nestlé, wie andere Konzerne, die mit Wasser Profit machen, überhaupt erst auf die Idee kommt, Wasser abzufüllen und zu verkaufen. Das Geschäft mit dem Menschenrecht ist nämlich ein lukratives – indem Nestlé als Landbesitzer z.B. in einigen Staaten der USA das Recht besitzt, Wasser aus dem Boden zu pumpen, kann der Konzern sich kostenlos an der flüssigen Ressource aus dem Grundwasserspiegel bedienen – und dann ungeniert an seine Nachbarn vermarkten.
Nach dem Gespräch mit Nestlé halte ich inne, und sehe Nestlé in den verwirrenden Grautönen abseits von schwarz und weiß. Nestlé verweist darauf, die Wasserversorgung als ein Menschenrecht sei Aufgabe des Staates. Nestlé selbst bedient „nur“ die Sparte Wasser als „Luxusgut“. Kann man Nestlé damit die Absolution erteilen?
Nestlé will alle Standorte weltweit, an denen es Wasser abschöpft, an die Standards des WWFs angleichen, Drewes sagt: „Wir achten bei unseren Standorten strikt darauf, dass die Wassernutzung durch uns nicht zu Lasten der öffentlichen Wasserversorgung geht. An vielen Standorten, gerade in Ländern mit unzureichender öffentlicher Wasserversorgung, unterstützen wir aber die lokalen Gemeinschaften dabei, diese zu verbessern.“
Gleichzeitig ist Wasserprivatisierung nicht dadurch zu verharmlosen, dass sie sich an gewisse Standards hält. Es ist kein altruistisches Konzept Nestlés, das darauf achtet, den Grundwasserspiegel nicht drastisch absinken zu lassen, sondern eine Selbstverständlichkeit – man klaut der Allgemeinheit eben kein Wasser, nicht mal ein bisschen. Das gilt für wasserreichere Regionen aber eben auch besonders in Ländern, in denen ein Wassernotstand herrscht, weil nicht viel Wasser da ist oder bloß verunreinigtes. Das Privileg der wohlhabenden dann zu einer Flasche „Pure Life“ zu greifen und einem Konzern damit zu Profit zu verhelfen, ist nicht mit der Tatsache vereinbar, dass Wasser ein Menschenrecht ist. Dabei jedoch auch wichtig: im globalen Kontext gesehen, verwendet Nestlé nur einen Bruchteil des zur Verfügung stehenden Wassers. Das meiste Wasser wird weltweit für die Landwirtschaft verbraucht.
Laut Unicef haben 2,1 Milliarden Menschen weltweit keinen Zugang zu sauberem Wasser und etwa 884 Millionen Menschen dabei noch nicht einmal eine Grundversorgung. Weil Zahlen meist schwer zu greifen und noch schwerer zu fühlen sind, wiederhole ich einfach: 2,1 Milliarden Menschen weltweit haben keinen Zugang zu sauberem Wasser.
Neben dem Trinkwassermangel ist die Problematik auch in der Hygiene spürbar. Durch mangelnde Hygiene verbreiten sich Krankheiten schneller. Laut Unicef kostete ein Cholera-Ausbruch im Jahr 2016 im Südsudan 400 Menschenleben. Währenddessen sterben jeden Tag mehr als 700 Kinder durch verunreinigtes Wasser. Bereits Durchfall kann zum Tod führen.
Management- oder Umweltproblem?
Aufgrund der Dürre in Kapstadt dürfen nicht mehr als 50 Liter Wasser pro Tag und Person verbraucht werden. Zum Vergleich: In Deutschland sind es durchschnittlich 120 Liter. Ist die Wasserkrise in Südafrika ein Management- oder ein Umweltproblem?
Johannes Schmiester vom WWF erklärt, dass man natürlich sagen könnte, dass man jede Wasserressource vernünftig managen könnte, jedoch ganze Systeme in Schiefstand geraten sind – auch aufgrund der hohen Nachfrage aus dem globalen Norden. Gerade Landwirtschaftliche Systeme, beispielsweise in Spanien oder Südafrika, sind massiv gewachsen und diese basieren natürlich auch auf Bewässerung. Daneben spielt der Klimawandel in manchen Gebieten eine Rolle, sowie das Bevölkerungswachstum.
Ideen zur Wassergewinnung sind zum Beispiel Entsalzungsanlagen, die in einigen Ländern der Welt dazu genutzt werden, Trinkwasser herzustellen. Dieses Verfahren ist jedoch sehr teuer und dazu noch – sofern keine grüne Energie verwendet wird – umweltschädlich.
Effiziente Bewässerungsanlagen für die landwirtschaftliche Nutzung sind in den letzten Jahren häufiger geworden. Zudem, so erzählt Schmiester, gibt es sogar Projekte, in denen versucht wird, Eisberge schmelzen zu lassen und somit das darin enthaltene Süßwasser für den Menschen zugänglich zu machen. Die technologische Entwicklung sieht er nicht als das Allheilmittel, stattdessen spricht er sich für lokale Ansätze aus.
Wasser sparen – Wie landet mein Wasser dann in Südafrika?
Gar nicht. Vor Allem nicht, wenn das Wasser, das wir im Haushalt sparen, dann wieder nur in einem Land zur Verfügung steht, das momentan eh genug Wasser hat. Natürlich soll man auch in Deutschland nicht verschwenderisch mit Wasser umgehen – gerade Warmwasser, das dann auch wieder Energien verbraucht, so Johannes Schmiester. Viel entscheidender sind jedoch die Produkte, die wir konsumieren. So steht die Literzahl an Wasser, die wir im Haushalt verbrauchen, der überwältigenden Literzahl virtuellen Wassers gegenüber.
Das sogenannte virtuelle Wasser bezeichnet das Wasser, das bei der Herstellung von Gütern oder Leistungen verbraucht oder verschmutzt wird. Vor dem ersten Duschgang am Morgen hast du bereits mit deiner ersten Tasse Kaffee 140 Liter Wasser verbraucht. Für das Rindfleisch am Abend sind es 15.500 Liter. Lebensmittel, Textilien, ein neues Handy – Wasser steckt in Allem, was wir konsumieren. Ob wir im Winter Lebensmittel aus Südafrika kaufen, jede Woche ein neues Kleiderstück brauchen oder ob wir die Lebensmittel teilen statt wegwerfen, da das virtuelle Wasser dann gleich mit weggeworfen wird – darin finden wir unsere globale Verantwortung. Mal wieder im Konsum. Hast du davon auch manchmal Tränen im Kopf? Nicht verzagen. Die Plastikflasche ist halb leer, das Wasserglas aus der Leitung halb voll. Prost.