Die Vision der Einen Welt

von EineWeltblabla | Bilder: © Julie Matthées

Kriege und deren Flüchtende, der Klimawandel, Ausbeutung durch Rohstoffhandel – die weltweiten Verflechtungen sozialer, ökologischer und wirtschaftlicher Missstände sind derzeit an Aktualität und Dringlichkeit nicht zu überbieten. Sie reißen Kluften in unsere globale Gesellschaft, die uns stetig herausfordern. Schaffen wir es als Weltgesellschaft diese Kluften zu schließen oder bleibt die Vision der Einen Welt eine Utopie?

Dass es nur eine Welt gibt, also eine Erde, so wie wir sie kennen, darin sind sich (zumindest die meisten) Menschen einig. Doch die Eine Welt umfasst mehr als die physischen Grenzen unseres Planeten. Am populärsten scheint der Begriff im Zusammenhang mit den Eine-Welt-Läden zu sein, die diesen Namen ihrer bisherigen Bezeichnung als Dritte-Welt-Läden vorziehen. Es geht also um die Abschaffung der veralteten Einteilung in eine Erste Welt mit den sogenannten Industrienationen, eine Zweite Welt mit den ehemals kommunistischen Ländern und eine Dritte Welt mit – dem Rest.

Zu diesem „Rest“ zählen in erster Linie die Länder des globalen Südens. Sie bekommen darüber hinaus die Stigmatisierung einer Unterentwicklung aufgedrückt. Es zeigt sich: Die Mächtigen bestimmen, wie die Welt eingeteilt, wie sie bezeichnet und wie über sie gesprochen wird – und sie legitimieren damit ihr Handeln. Seit den 1970ern findet aber ein Umdenken statt. Vor allem aus dem Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit kommt der bewusste Gebrauch der Bezeichnung Eine Welt.

Koloniale Denkmuster wirken weiter

Gab es denn jemals die Eine Welt? Die Einteilung der Welt fand ihren Höhepunkt während des Kalten Krieges, als sich der Westen, also die Erste Welt, und der Osten, die Zweite Welt, mit einem Wettrüsten provozierten. Und davor? Wohl kaum, denn die erste „Annäherung“ der Neuzeit zwischen Menschen aus Europa und anderen Kontinenten gipfelte im dunklen Zeitalter des Kolonialismus.

Bronzestatue einer Frau und Holzstatue eines Mannes mit Kind in der Ausstellung: Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum. Die Ausstellung  Unvergleichlich: Kunst aus Afrika im Bode-Museum stellt Exponate aus wovon der größte Teil der Sammlung im kolonialen Unrechtskontext „erworben“ wurde ohne dies kritisch und offen darzulegen.
© Julie Matthées

Aber zum Glück gibt es ja jetzt die Idee der Einen Welt. Wir leisten nicht mehr Entwicklungshilfe, sondern Entwicklungszusammenarbeit. Denn „die Menschen in Afrika“ benötigen nicht mehr unsere Hilfe, aber ja wohl immer noch die Zusammenarbeit mit uns und unserem Geld, um sich zu entwickeln. Und während der drei Wochen Work & Travel in Südafrika habe ich gemerkt, wie lebensfroh die Leute sind, obwohl sie ja so wenig haben. Bitte hier ein Augenzwinkern einfügen. Das war etwas zynisch, aber es soll deutlich machen, wie kompliziert immer noch alles ist.

Dass koloniale Denkmuster und Strukturen heute noch sichtbar sind und weiterwirken – sowohl in den ehemaligen Kolonien als auch in den Ländern der ehemaligen Kolonialmächte – belegen die Forschungen des Postkolonialismus. Sie befassen sich unter anderem damit, den aktuellen Diskurs zu differenzieren und gesellschaftliche Annahmen zu entlarven. Die Denkweise, dass zum Beispiel koloniale Gebiete und ihre Einwohner*innen von Natur aus dem Westen untergeordnet seien, wurde von den ehemaligen Kolonialmächten konstruiert. Doch gerade solch ein Denken durchzieht unsere heutige Gesellschaft immer noch. Die ehemaligen Kolonialmächte differenzierten das Eigene und das Fremde und schreiben diesen Kategorien so eine vermeintliche Wesenhaftigkeit zu.

Die Vorstellung des Orients

Wir haben uns Jahrhunderte lang ein buntes, exotisches Bild des Morgenlands gemalt. Doch wissen wir, ob es in dieser Region wirklich so aussieht? Wir malen in unseren Köpfen Bilder von Orten, bringen diese Bilder auf Papier oder den Bildschirm, obwohl wir noch nie dort gewesen sind. Edward Said erklärt in „Orientalismus“ von 1978, dass die Vorstellung des Orientszu Zeiten des französischen und britischen Imperialismus allein aus dem Austausch mit anderen Menschen hervorgegangen ist und sich in deren Köpfen festsetzte. Die Menschen stellten sich einen Gegensatz zu ihrem zivilisierten Europavor. Aus ihrer eurozentrischen Perspektive betrachteten sie die Länder und deren Einwohner*innen des Orientsals mysteriös, bedrohlich und wild. 

Aus solchen Vorstellungen legitimieren Menschen ihre Handlungen. Rassismus, wirtschaftliche Ausbeutung oder der Anspruch auf eine Entwicklung, die angeblich noch nicht stattgefunden hat, beruhen auch heute noch auf kolonialen Denkweisen. Die Mächtigen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft manifestieren heute noch solche Denkweisen. Im Angesicht der globalen Missstände sind das keine guten Voraussetzungen. Die Klimakrise macht deutlich, dass Ursache und Auswirkung sich nicht mehr an Nationalgrenzen halten. Alle sitzen also im selben Boot? Nein, denn die Verursacher*innen und die, die am meisten unter der Klimaerwärmung leiden, können ganz klar benannt werden. 

 Als Mensch aus dem globalen Süden stellt man sich nun zu Recht die Frage: Warum sollten wir als Weltgesellschaft, als Eine Welt, ein Problem angehen, deren Ursache in ein paar wenigen Ländern ihren Ursprung hat?

Eigeninitiative von Bürger*innen um den bestehenden rassistischen und diskriminierenden Straßennamen der „M-Straße“ in Berlin Mitte umzubenennen. © Julie Matthées

Verkommt meine Utopie der Einen Welt zur Dystopie?

Auch wenn ich gerade beginne und damit weitermachen könnte, eine dunkle Zukunft zu malen – die Eine Welt ist nicht aussichtslos. In unserer globalisierten Gesellschaft profitieren wir vom kulturellen Austausch und von wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Wir tragen für unsere nachfolgenden Generationen die Verantwortung, koloniale Strukturen und Denkweise zu überwinden. Statt Kluften zu vergrößern, sollten wir versuchen, der Utopie der Einen Welt so gut es geht näher zu kommen.

Wie oben bereits erwähnt umfasst die Eine Welt mehr als einen Planeten mit seiner physischen Oberfläche, der sich in einer elliptischen Bahn um die Sonne bewegt. Doch gerade dieser Planet überfüllt unser Wissen mit seiner Einzigartigkeit, dass Venus und Mars nur müde rüber lächeln können. Die 4,6 Milliarden Jahre alte Heimat aller bekannten Lebewesen strotzt vor Ehrfurcht und stellt alles noch so Bedeutsame in den Schatten. Die nächste partielle Mondfinsternis findet übrigens am 16. Juli 2019 statt.

Mit dieser Ehrfurcht beschäftigt sich inzwischen auch die Wissenschaft. Der sogenannte Overview-Effekt tritt bei Astronaut*innen auf, die unsere Erde als Ganzes aus dem Weltraum sehen. Der Effekt beschreibt die veränderte Einstellung, die Raumfahrer*innen zur Erde haben. Der Blick „von oben“ lässt Nationalgrenzen verschwinden, löst Empathie für die Menschheit und ein Gefühl der Einheit aus. Doch auch die Zerstörung wird ersichtlich. Alexander Gerst berichtet vor dem Abflug zu seiner zweiten Mission, dass das enorme Ausmaß der Abholzung des Amazonas-Regenwaldes und die Explosionen in Kriegsgebieten deutlich zu sehen seien. Das Empfinden von Mitgefühl und Besorgnis über den Zustand der Erde, an dem das menschliche Handeln Schuld trägt, lässt sich bei zahlreichen Astronaut*innen nach ihrem Raumflug beobachten. Ist er das also? Der Anstoß zum Handeln? Sich für eine bessere Welt, für die Eine Welt einzusetzen? Einmal alle ins All?

Nein, so einfach geht es natürlich nicht. Doch die Untersuchungen zum Overview-Effekt können auch bei uns Erdlingen ein neues Bewusstsein für die Eine Welt und den Umgang mit unserem Planeten wecken. Think globally, act locally! Lasst uns die Kluften unserer globalisierten Gesellschaft schließen – sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltig. Übernehmt Verantwortung, damit die Eine Welt keine Utopie bleibt.


Mit dem Blog EineWeltblabla wollen wir, die Redaktion, diese Verantwortung mittragen und junge Menschen erreichen, die sich für die Idee der Einen Welt interessieren. In dem großen „Bla Bla“ finden sich konkrete und persönliche Themen, die uns im Alltag beschäftigen. Nachhaltigkeit, kritischer Konsum, Globales Lernen – Begriffe, die jede*r mal gehört hat. EineWeltBlaBla macht komplizierte Gesellschaftsthemen greifbar und gibt den Anstoß zum Weiterdenken. Gemeinsam stellen wir uns der Frage: Wie wollen wir in Zukunft leben?

Wir sind eine kleine, aber feine Redaktion, die von der Eine-Welt-Internet-Konferenz (EWIK) berufen wurde. Die EWIK ist ein Zusammenschluss von rund 100 Organisationen und Institutionen, die über das Internet Angebote zur entwicklungspolitischen Bildung machen. Wir beschäftigen uns beruflich und privat viel mit dem Thema Globales Lernen. Am wichtigsten ist es uns, Zugänge zu erleichtern und eine Community aufzubauen. Bei EineWeltBlaBla darf jede*r mitmachen, egal ob Texte schreiben, eine Aktion oder Veranstaltung vorstellen oder sich in einer Diskussion einbringen. Sei dabei, wenn wir gemeinsam die Eine Welt gestalten.

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