von Friederike Teller | Illustrationen: © Lena Leitner
Als ich die Straße überquere, muss ich aufpassen, da sind Menschen. Es regnet. In glitschiger Metamorphose werden sie zu Menschen im Regen, die Nässe verlängert den Bremsweg – ich passe auf. Es ist wieder nicht die Bedeutung, die vom Himmel fällt. Es ist unangenehm und kalt. Keine Erkenntnis hier. Ich laufe nach Hause. Es ist Dienstag. Ich bin eben auch so ein Mensch. Wobei, ohne die von der Realität angedichteten Beziehungsdiskurse, wer bleibt da schon. Wenn meine Gedanken aus den Fugen der Silben springen und in der Präsenz von Sinnlichen und Sinnlosen verschwimmen, wer bin ich, wenn ich diese Frage so nicht stelle.
Strukturloses stürzt hinab. Der Boden, auf den der Regen tropft, ist tot. Ich falle hinein, bewege mich keinen Zentimeter in den drei reflexiven Zwischenrealitäten weiter. Dem Asphalt ist der Regen egal. Verstehst du, weil ich verstehe nicht mehr. All die Dinge sind plötzlich aufgeschreckt auf der Suche nach einem Ort, der sie aus der Suche entlässt. Ich benenne um mich zu konturieren und mit meinen Gedanken mich von dieser tristen Realität zu lösen. Ampel, Bordstein, Mensch, Hauswand.
Sie klebt wie Kaugummi an meinen Schuhen, diese Ortlosigkeit. Nur ein weiterer Blick, der niemanden trifft. Ich biege in die nächste Straße ein. Auf einem Klingelschild komprimiert lauert meine Existenz in sieben Buchstaben.
Vielleicht haben die Menschen Häuser gebaut um sich zu schützen. Wände, welche die ungefilterte Erkenntnis des unnennbaren Alles im Nichts abhalten, denke ich noch als ich Treppen hinauf steige.
Es flackert die Neonröhre, es ergibt keinen Sinn und es liegen Bücher und Tüten auf dem Boden. Ich drehe die Echos meines Bildschirms an. Reagiere, kommentiere, resigniere – nicht.
Circa zweiundvierzigmal täglich nisten sich so die Weltenwaisen in mir ein. Tumoren aus Zweifeln schwellen dann weiter an. Nachrichten essen Seele auf. Manchmal kann ich nicht einschlafen vor Bauchschmerzen in meinem Kopf.
In meinem Stück Himmel fliegt blaues Licht vorbei. Schnell schaue ich wieder auf den Bildschirm und es bringt nichts, immer wieder bringt es nichts. So ein Tag ist lang, murmele ich und bin lauter als die Sirenen vor dem Fenster. Da war der Buchladen an der Straßenecke, da im Regen und darum waren rote Absperrungen vorhin. Die Straße direkt vor meinen Fenster direkt auf meinem Bildschirm, nur anders. Der Name des Buchladens steht darüber in sachlichen Buchstaben, aber ich habe doch gerade noch– Libre – ich scrolle nochmal durch den Nachrichten Feed, da war ich doch gerade– Libre. Ja genau, Schießerei. Vier sind geflohen, die Büchern im Schaufenster Blut überströmt. Herkunft der Täter? Es liegen dazu noch keine genaueren Fakten vor, aber wir vermuten, dass es Menschen waren. Drei Schwerverletzte, also auch das wahrscheinlich Menschen. Sind die ignoranten Worte jetzt endlich still? Sind sie an ihre Grenzen gekommen? Es überfordert die Erkenntnis, die Realität und Endlichkeit als gemeinsame Gebärde der Drohung äußern – den Tod.
Ich kreise mit den Schultern und ich hätte dort sein können. Wände dazwischen. Im Regentropfenteppich der Fensterscheibe spiegelt sich ein ich. Und ich bin eben Mensch. Da rutscht mein Laptop vom Tisch. Ein dumpfes vollkommenes Geräusch erklingt als er auf dem Boden aufkommt. So sonderbar – ich will ihn aufheben und noch einmal zum Boden schieben. Und immer wieder noch einmal und, und ihm folgen bereits Bücher und Tüten. Wie Murmeln – bin gebannt von der Dynamik der Dinge.
Alles sammelt sich in der linken Ecke meines Zimmers. Der Boden ist abfallend ungerade. Um 23,5 Grad ist die Erde schief. Es gibt eine natürliche Unausgeglichenheit hier und eine unnatürliche Ungerechtigkeit überall. Es ist kompliziert oder so. Ich weiß nicht genau, wer Schuld hat. Menschen vielleicht. Libre. Es sind auch nur fünf Buchstaben.
Es strengt mich an, das Zimmer zu verlassen, aber ich muss auf Toilette. Wenn ich wiederkomme, ist hoffentlich alles wieder gerade. Sonst rufe ich die Vermieterin an und wenn sie nicht gestorben ist, dann